Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Freitag, 18. Dezember 2020, im Rahmen einer Pressekonferenz  im Bundeskanzleramt in Wien.
APA/HERBERT NEUBAUER
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Wissenschaftskommunikation

Kommunikation in der Krise

Wenn der Wald hinterm Haus brennt oder ein neues Virus auftaucht, muss schnell gehandelt werden – und kommuniziert. Dennoch ist ein reiner Kommandoton nicht zu empfehlen, meint die Wissenschaftsforscherin Sarah Davies. Auch in Krisen sollte demokratisch-partizipatorisch kommuniziert werden – d. h. möglichst viele unterschiedliche Menschen zu Wort kommen lassen und ihre Ängste und Sorgen ernst nehmen.

Sarah Davies stammt aus Großbritannien und hat lange in Dänemark als Wissenschaftsforscherin gearbeitet. An die Universität Wien gekommen ist zu einem besonderen Moment: im Februar 2020. Kaum Zeit, die neuen Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen, befand sie sich einen Monat später im Lockdown – so wie große Teile der Welt.

“Ein Journalismus über alles“

Die Pandemie war auch ein Realwelt-Experiment für die Wissenschaftskommunikation. Viele Forscherinnen und Forscher rückten erstmals ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, wurden als Fachleute von klassischen Medien eingeladen oder begannen selbst über die Sozialen Netzwerke zu kommunizieren. „Die Bedeutung der Wissenschaftskommunikation stieg in vielerlei Hinsicht an, aber einige Bereiche hatten auch wirklich zu kämpfen“, sagt Davies. „Alles, was Live-Events oder das physische Treffen von Menschen beinhaltete, kam fast zum völligen Zusammenbruch – etwa Museen oder Wissenschaftszentren.“

Wissenschaftsforscherin Sarah Davies
Universität Wien

Artikel

Sarah Davies hat vor Kurzem den Artikel „Science Communication at a Time of Crisis: Emergency, Democracy, and Persuasion“ in der Fachzeitschrift „Sustainability“ veröffentlicht.

Für den Wissenschaftsjournalismus war die Pandemie jedenfalls eine große Bewährungsprobe. Sie habe gezeigt, dass er ein „Journalismus über alles ist“, wie Davies mit Verweis auf einen Artikel des Wissenschaftspublizisten Ed Yong betont. „Denn diese riesige Wissenschaftsgeschichte endete damit, dass sie wirklich jeden Aspekt unseres Lebens beeinflusst – von der Politik bis zum Lebensstil, vom Alltag bis zu sozialen Fragen.“ Wissenschaftskommunikation solle dem Rechnung tragen und sich „nicht nur isoliert mit Wissenschaft beschäftigen“.

Demokratie als Grundlage und Ziel

Warum aber überhaupt Wissenschaft kommunizieren? Für Sarah Davies ist das eine zentrale Frage. Ihre Antwort: Es gehe nicht in erster Linie darum, Informationen über Wissenschaft zu verbreiten – so interessant diese auch sein mögen -, sondern um die grundlegende Annahme, dass man mit ihrer Hilfe Demokratie fördern könne. „Wir leben in Demokratien und glauben, dass wir demokratische Werte wie Gerechtigkeit mit wissenschaftlichen Argumenten in der öffentlichen Debatte und in der Politik stärken können.“

Aus dieser Überzeugung ergebe sich auch ein Auftrag für die Kommunikation. Diese sei dann weniger strategisch – will Menschen also nicht von etwas überzeugen oder zu etwas überreden -, sondern demokratisch. „D. h. es geht ihr darum, Bürgerinnen und Bürger so auszustatten, dass sie eine kritische, engagierte und informierte Debatte über wissenschaftliche Themen führen können.“

Menschen teilhaben lassen

Heißt konkret: möglichst unterschiedliche Perspektiven darstellen, auch und gerade von Menschen und Gruppen, die oft nicht gehört werden und marginalisiert sind; die konkreten Betroffenheiten von Menschen adressieren, mögliche Auswege und Lösungsvorschläge vorstellen; die Bedürfnisse und Ängste von Menschen ernstnehmen, mit ihnen in Dialog treten, auch wenn sie einer Meinung sind, die wissenschaftlich nicht gedeckt ist – und ihnen vielleicht erklären, warum das so ist. Und ganz allgemein: Kommunikation nicht als Einbahnstraße betrachten nach dem Motto „Hier sind die wissenschaftlichen Fakten – glaubt an sie, und alles wird gut!“

Sarah Davies nennt diesen Kommunikationsansatz demokratisch-partizipatorisch, denn er versucht, Menschen an Entscheidungen teilhaben zu lassen. Im Gegensatz dazu steht ein strategisches Kommunikationsverständnis, das durchaus auch seine Berechtigung hat: Unternehmen etwa wollen überzeugen, dass man ihre Produkte kauft; NGOs wollen Menschen zu umwelt- oder klimafreundlicherem Verhalten überreden usw.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Dienstag, 24. März 2020, im Rahmen der Pressekonferenz „Aktuelles zum Coronavirus“.
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März 2020, Coronavirus-Pressekonferenz mit dem damaligen Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne).

“Zu dringend, um schnell zu handeln“

Ein demokratischer Ansatz bei der Kommunikation von Wissenschaft sei aber zu bevorzugen, rät die Wissenschaftsforscherin – auch in Krisenzeiten. Zwar brauche es in einer Pandemie auch strategische Kommunikation – etwa um Menschen zu sagen, dass sie Abstand halten sollten, um sich und andere zu schützen. Schnelle Überzeugungsarbeit allein sei aber kontraproduktiv. „Manche Dinge sind so dringend, dass wir es uns nicht leisten können, sie schnell zu tun“, zitiert Davies einen britischen Armutsforscher.

Partizipation, und damit langsamere Kommunikation, bleibe deshalb auch in Krisenzeiten wichtig. „Wir können demokratische Prinzipien nicht über den Haufen werfen. Entweder wir sind für Demokratie oder nicht.“ Auch in Pandemie-, Klima- und Energiekrisen gelte es, „auf die Bürgerinnen und Bürger zu achten, und insbesondere auf jene, deren Stimmen selten gehört werden und die vielleicht Ansichten haben, die leicht zu ignorieren sind, und die keine Expertinnen oder Experten sind.“ Die politische Entscheidungsfindung sollte sensibel sein für die Erfahrungen und das gelebte Fachwissen der Menschen, „auch wenn dies in einem Moment des Chaos sehr schwierig ist“.

Demokratie ist auch strategisch besser

Ein demokratischer Kommunikationsansatz hat – zumindest in Demokratien – einen doppelten Vorteil. Zum einen, weil er eben demokratisch ist und damit normativ zur Gesellschaftsform passt. Zum anderen, weil er – nur scheinbar ironischerweise – auch strategisch besser wirkt. „Wenn man aufhört, Menschen mit einzubeziehen, dann verstärkt das deren Gefühl, ausgeschlossen zu sein.“ Und damit festigen sich auch die Meinungen dieser Menschen, die sie sich als Gegenbild zu jener der „Eliten“ gemacht haben. Bezieht man sie aber mit ein, dann erhöht das zumindest die Wahrscheinlichkeit, sie nicht an Parallelwelten zu verlieren.

Für Covid-19 heißt das konkret: mehr zu den Beweggründen, Sorgen und Ängsten etwa von Impfskeptikerinnen und -skeptiker zu forschen. „Ich denke, diese Art von Wissenschaft wäre sehr hilfreich gewesen, um besser zu verstehen, warum sich die Menschen so entmachtet und entfremdet fühlten. Und das würde natürlich auch eine gezieltere Kommunikation ermöglichen.“

Diese Kommunikation geht weit über Journalismus oder Publizistik hinaus. Davies betrachtet Wissenschaftskommunikation als „Netzwerk verschiedener Aktivitäten und Prozesse in einer Gesellschaft“ – mitgemeint sind da auch Museen, Veranstaltungen oder Bürgerbeteiligungsformate wie der Klimarat, der vor Kurzem seine Empfehlungen präsentierte. Nur zusammen, so Davies, könnten sie eine robuste öffentliche Diskussion über Wissenschaft ermöglichen.