Researchers work on one of the quantum network nodes, where mirrors and filters guide the laser beams to the diamond chip.
Marieke de Lorijn for QuTech
Marieke de Lorijn for QuTech
Physik

Die Vorboten der Quantenrevolution

Ein derzeit in Wien stattfindender Kongress gibt Einblicke in die Technologien der Zukunft: Die Quantenphysik sickert nun auch in Impfstoffforschung und Künstliche Intelligenz ein – und eröffnet dort ungeahnte neue Möglichkeiten.

Sechs Jahre ist es mittlerweile her, dass das Europäische Flaggschiffprojekt zur Quantenforschung offiziell vorgestellt wurde. Im damals publizierten Begleittext vulgo „Quanten-Manifest“ war von einer Revolution die Rede, die Physik, Technik und letztlich unsere ganze Gesellschaft transformieren würde. Was das konkret bedeuten könnte, war damals noch nicht so absehbar, abgesehen von den prinzipiellen Hinweisen auf die Macht der Quanten für neuartige Computerarchitekturen, Kryptografie und superempfindliche Sensoren.

Quantenkongress „BeyondC“ im Festsaal der Uni Wien
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Quantenkongress „BeyondC“ an der Universität Wien

Nun, sechs Jahre später, werden bereits erste Konturen dessen sichtbar, was uns da erwarten könnte. Mit durchaus überraschenden Anknüpfungen zu anderen Fächern: Kongress-Organisator Philip Walther etwa hat mit seinem Team Synapsen auf Licht- bzw. Quantenbasis gebaut, die bei Maschinellem Lernen zum Einsatz kommen.

Künstliche „Quantenintelligenz“

Ersten Ergebnissen zufolge erhöhen die „Quantensynapsen“ die Lerngeschwindigkeit im neuronalen Netz um den Faktor 100. Nachgewiesen haben Walther und sein Team das bislang durch Simulationen, jetzt gilt es, dies auch im Labor zu tun: Das entsprechende Experiment befindet sich bereits im Aufbau.

An der Schwelle von Theorie und Experiment befindet sich auch Sabrina Maniscalco mit ihren Forschungen. Die Physikerin von der Uni Helsinki und dem Start-Up Algorithmiq hat beim Wiener Kongress nun eine Methode vorgestellt, mit deren Hilfe man das Signal von Quantencomputern von störendem Rauschen befreien kann. Diese „Noise mitigation“, erklärt Maniscalco im Gespräch mit dem ORF, sei in gewisser Hinsicht mit der Software vergleichbar, die in Handykameras zum Einsatz kommt. „Da hat sich gezeigt: Es kommt nicht nur auf die Optik an. Wenn man die richtige Software hat, dann kann man auch mit Handys fast perfekte Fotos machen. So ähnlich ist das auch bei Quantencomputern.“

An der Schwelle zur Quantenüberlegenheit

Die Politur der Signale ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil sie die Rechenkraft der Quantencomputer nochmals deutlich erhöht. Laut Maniscalcos Berechnungen ist mit der neuen Rauschunterdrückung bereits jetzt die sogenannte Quantenüberlegenheit erreicht. Also der Nachweis, dass Quantencomputer Dinge können, an denen selbst die stärksten Supercomputer herkömmlicher Bauart scheitern.

Physikerin Sabrina Maniscalco bei ihrem Vortrag in Wien
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Sabrina Maniscalco bei ihrem Vortrag in Wien

Ein Beispiel dafür sind Simulationen in der Kontaktzone von Physik und Chemie. Penicillin etwa, erstmals entdeckt vom Wiener Chirurgen Theodor Billroth im Jahr 1874, ist mit all seinen pharmakologischen Wirkungen wohl eines der am besten verstandenen Moleküle – doch auf der Ebene seiner kleinsten Bausteine, der Quanten, gibt es immer noch Rätsel auf, sagt Maniscalco: Hier komme man durch Näherungsmethoden zwar zu sinnvollen Ergebnissen, „aber wenn wir das Verhalten des Penicillin auf Quantenebene präzise durchrechnen wollten, würden wir einen Computerspeicher benötigen, der mehr Bits hat als es Atome im Universum gibt.“

Und hier gilt, einer Vision von Richard Feynman aus den 1980er-Jahren folgend: Wenn sich die widerspenstigen Quanten nicht mit herkömmlichen Bits fassen lassen, warum verwendet man dann nicht gleich Quanten für diese Aufgabe? Feynmans Arbeitsauftrag an seine jüngeren Kollegen lautete letztlich: Versucht Kontrolle über die Quanten zu gewinnen, lernt sie zu manipulieren!

“Wie Hooks Mikroskop“

Der Vordenker vom Caltech in Pasadena hat nicht mehr miterlebt, wie galoppierend die Entwicklung dieses Forschungsgebiets in den letzten Jahren war. Seine Vision jedenfalls ist nun in der Realität der Labors angekommen: „Um das Penicillin mit einem Quantencomputer vollständig zu beschreiben“, sagt Maniscalco, „bräuchte es nicht mehr als etwa 300 Quantenbits.“ Davon ist man nicht mehr weit entfernt. Die derzeit stärksten Quantenmaschinen – eine davon steht übrigens im Labor der Arbeitsgruppe um Rainer Blatt in Innsbruck – verfügen derzeit über rund 50 kontrollierbare Quantenbits.

Die rechnerische Durchdringung der Materie eröffnet freilich auch ungeahnte Möglichkeiten jenseits der Physik, etwa für die Entwicklung neuer Medikamente. Wo man früher durch Versuch und Irrtum neue Wirkstoffe entwickelt hat, kann man nun Moleküle von Grund auf neu designen. Sozusagen von der Quantenebene bis hin zu den gewünschten chemischen Eigenschaften. Maniscalco sieht daher in den nächsten Jahren auch eine Zeitenwende in der Medizin auf uns zukommen.

Physiker Ian Walmsley macht sich bei einem Vortrag Notizen
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Ian Walmsley notiert

Ähnlich beurteilt das Ian Walmsley vom Imperial College London. Der britische Physiker vergleicht die neuen Quantenmaschinen mit dem Mikroskop von Robert Hooke: „So wie Hook im 17.Jahrundert erstmals einen Blick auf Zellen werfen konnte und damit für die Biologie eine Tür weit aufgestoßen hat – eben so wird es auch hier sein.“

Impfstoffe nach Quantendesign

Die Verbindung zwischen dem technisch Machbaren und dem Horizont des Denkbaren, so Walmsley, sei immer schon mächtig gewesen. Folglich erwarte er auch große Dinge in der Medizin. „Wenn wir neue Molekülstrukturen bauen können, dann wird das auch Auswirkungen auf die Impfstoffentwicklung haben. Es war bemerkenswert, wie schnell die RNA-Technologie zu neuen Impfstoffen gegen Covid geführt hat – doch wenn immer neue Viren auftauchen, könnten wir ein bisschen Hilfe von der Quantenforschung durchaus brauchen.“

Allem Optimismus und allen neuen Möglichkeiten zum Trotz sei an dieser Stelle ein Disclaimer angebracht, sagt Maniscalco. Denn die Wissenschaftsgeschichte zeige eben auch, dass der Transfer neuer Ideen nicht immer so glatt verläuft, wie man sich das ursprünglich vorgestellt hat. Oder, wie es die theoretische Physikerin ausdrückt: „Theoretisch sollte es keinen Unterscheid zwischen Theorie und Praxis geben. Aber in der Praxis dann eben doch.“