Frauen gehen an einem Modegeschäft vorbei, die Perspektive ist verschwommen
APA/AFP/various sources/Fredrik Sandberg
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Mode

Fast Fashion – was tun?

Die Textilindustrie trägt maßgeblich zur Klima- und Umweltkrise bei. Billig und schnell produzierte Mode landet meistens im Müll oder wird verbrannt. Gegen Fast Fashion helfen nur politische Rahmenbedingungen – wie auch Konsumentinnen und Konsumenten beitragen können, erzählt die Expertin Heike Derwanz im Interview.

Ganz oben auf der Tippliste: sich vor jedem Einkauf fragen, ob man die neuen Sneakers oder das neue Kleid wirklich braucht. Oder ob man ein älteres Stück nicht aufpolieren, reparieren oder mit einer individuellen Note versehen kann. Wenn nicht, stünde auch noch der Weg zum Secondhandshop oder zur Kleiderbörse offen. Die Kulturanthropologin Heike Derwanz von der Akademie der bildenden Künste Wien hat die Modeindustrie vielfältig untersucht, unter anderem beim Sortieren von Altkleidung und auf Kleidertauschpartys. Zur Ö1-Fashion Week gibt sie einen Einblick in die Abgründe von Fast Fashion.

science.ORF.at: Ich bin gerade über die Mariahilferstraße gegangen, wo permanent Menschen mit riesigen Sackerln frisch gekaufte Kleidung nach Hause tragen – der ideale Ort, um sich auf dieses Interview einzustimmen?

Heike Derwanz: Ich finde, die Mariahilferstraße ist einer der Orte, an dem wir verstehen, was das Zeitalter der Fast Fashion bedeutet, wie schnell der Konsum ist, wie allgegenwärtig, die Möglichkeit zu kaufen ist. Aber gleichzeitig ist für mich die Mariahilferstraße auch im Gegensatz zur Innenstadt von Wien das Symbol dafür, dass sich alle Alters- und Einkommensklassen in unserer Gesellschaft Mode leisten können, mit der sie dann ihre Identität ausdrücken möchten. Kleidung oszilliert immer zwischen „Ich möchte zu einer Gruppe gehören“ und „Ich möchte meine eigene Identität ausdrücken“. Man kann mit Kleidung nicht nicht kommunizieren, sondern egal, was man anzieht, man zeigt immer etwas. Es hat immer einen Geschmack, es gehört immer einer zu einer Gruppe, es hat immer dieses Soziale.

Das ist einer der Haken der Nachhaltigkeitsdebatte: Fast Fashion hat Mode demokratisiert. Es können sich jetzt viel mehr Menschen leisten, über Kleidung ihre Identität auszudrücken und ihre Gruppenzugehörigkeit zu kommunizieren. Wird Nachhaltigkeit nicht schon allein aufgrund der Menge zum Problem?

Derwanz: Das ist eine historische Verkürzung, weil sich Menschen schon lange, bevor es Fast Fashion gab, über die Kleidung ausgedrückt haben. Sie hatten zwar weniger Möglichkeiten, aber sie konnten z. B. auf eine einfache Schürze etwas sticken oder drucken. Fast Fashion ist nicht der Beginn dieser „Demokratisierung von Kleidung“. Wir haben ab Ende des 19. Jahrhunderts bereits eine Massenproduktion von Kleidung. Viele große Ketten, die wir heute noch kennen – C&A, Karstadt usw. – haben sich bereits zu Beginn des 20 Jahrhunderts gegründet.

Veranstaltung

Von 15.10-5.11. findet in Wien das re:pair FESTIVAL statt. Heike Derwanz hält in diesem Rahmen den Vortrag „Fast Fashion reparieren?“ (3.11., 18 Uhr, Volkskundemuseum).

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Auch Versandhandel gibt es schon sehr lange. Aus Nachhaltigkeitsperspektive der große Unterschied: Wir hatten damals zwar schon einzelne chemische Faserstoffe, aber heute riesige Mengen von vor allem Mischgewebe, die ein großes Müllproblem generiert haben. Kleidungsstücke aus Wolle, Seide, Baumwolle, Leinen usw. konnten noch auf den Kompost geworfen werden. Heute geht das nicht mehr. Studien schätzen, dass Polyester ca. 400 Jahre auf der Erde verbleiben wird, bis es weg ist.

Noch kurz zur „Demokratisierung“: Es gibt diese urbane Beobachtung, dass die Menschen sprunghaft besser angezogen waren, nachdem H&M und andere Fast-Fashion-Ketten in den 1990er-Jahren ihre ersten Geschäfte eröffnet hatten. Dadurch konnten sich viel mehr Leute modisch ausdrücken, nicht zuletzt, weil diese Ketten ja auch High Fashion nachmachen…

Derwanz: Ja, das ist eines der Charakteristika der Fast-Fashion-Ketten: Sie kopieren sehr schnell die Laufstegmodelle aus hochpreisigen Kollektionen und arbeiten sie um. Aber auch dieses Phänomen ist modehistorisch gesehen viel älter. In den 1930er Jahren sind etwa Besucherinnen und Besucher aus Amerika oder Berlin zu den Modeschauen in Paris gekommen, haben mitgezeichnet und sind dann nach Hause gefahren, um die Entwürfe für ihr Publikum zu adaptieren. Aber es gab einfach nicht diese Riesenmengen an Kleidungsstücken und deren Rohmaterialien. Durch die Chemieindustrie konnte man die Baumwollproduktion ebenso unglaublich in die Höhe treiben wie die Produktion von Polyester und anderen Chemiefasern.

Chinesische Näherin bei der Arbeit
APA/AFP/Hector Retamal
Nähmanufaktur in China

Heute trägt die Modeindustrie maßgeblich zur Öko- und Klimakrise bei. Bis zu zehn Prozent des CO2-Ausstoßes stammen nach Schätzungen aus dem Bereich…

Derwanz: Nachhaltigkeit hat verschiedene Komponenten, aus ökologischer Sicht gehören CO2-Fußabdruck, Wasserverbrauch, Energieverbrauch und Chemikalieneinsatz dazu. Man darf aber natürlich nicht die sozialen Aspekte von Nachhaltigkeit vergessen. Wie furchtbar die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie Europas im 19. Jahrhundert waren, hat etwa Friedrich Engels beschrieben. Diese Industrie hat sich im 20. Jahrhundert aus Mitteleuropa erst nach Osteuropa verschoben und dann immer weiter nach Asien – wo die sozialen Standards und ökologischen Belastungen für die Mitarbeiterinnen vernachlässigt werden. Ein prominentes Beispiel ist das Sandstrahlen von Jeans: Erst färbt man die Jeans dunkelblau, dann entfernen Arbeiter, hauptsächlich junge Männer, mit Sandstrahlern die Farbe zum Teil wieder, um den gewünschten Used-Look zu erzeugen – und machen sich dabei ihre Lungen so kaputt, dass sie sehr früh sterben können.

Wie sieht der durchschnittliche Lebenszyklus eines gebräuchlichen Kleidungsstücks heute aus, etwa eines T-Shirts aus Baumwolle?

Derwanz: Erst wird der Baumwollsamen gepflanzt. Um zu wachsen, braucht die Baumwollpflanze ganz viel Wasser, Dünger, Pestizide und andere chemische Stoffe. Dann wird sie geerntet, gefärbt, dann wird daraus ein Faden und Stoff gemacht, aus dem Stoff ein Kleidungsstück genäht. Die Kleidung wird dann aus dem globalen Süden, wo sie meistens produziert wird, in den globalen Norden zu den Konsumentinnen und Konsumenten geschifft. Für das Verschiffen und Verpacken braucht es wieder sehr viele Chemikalien und auch Plastik.

Das ist, grob gesprochen, die „textile Kette“, wie man es lange bezeichnet hat. Wir sprechen heute lieber vom „textilen Kreislauf“, um klarzumachen, wo die zur Herstellung gebrauchten Stoffe landen und was mit dem T-Shirt geschieht, wenn es nicht mehr getragen wird – was üblicherweise sehr schnell geschieht. Kann es repariert oder recycelt werden? Wenn ja, wo? Bei einem einfachen Baumwoll-T-Shirt ist das relativ einfach: Die Fäden sind aus Polyester, das T-Shirt selbst aus Baumwolle. Wenn es auf einer Müllhalde landet, wird es vergehen. Ist der Anteil von Polyester oder anderen Chemiefasern aber höher, dann dauert das viel länger. Der allergrößte Anteil von Kleidung wird deshalb – wie es so schön euphemistisch heißt – „thermisch verwertet“, also verbrannt.

In Österreich fallen laut Umweltbundesamt pro Jahr über 200.000 Tonnen Textilabfälle an, fast 80 Prozent davon werden verbrannt. Warum?

Derwanz: Das größte Problem sind Fasermixe, also Mischungen verschiedener Kunst- und Naturfasern, weil wir die im Moment massenindustriell noch nicht trennen können. Früher, als wir noch die Naturfasern hatten, war die Altkleidung oder die Lumpen, wie man gesagt hat, der Grundstoff für die Papierherstellung. Und das war natürlich ein ganzer Kreislauf. Fasermixe kann man aber nicht recyceln, sie werden meistens verbrannt.

Natürlich haben wir in Europa Filteranlagen und andere Technologien, um sie bestmöglich „thermisch zu verwerten“. Wie wir wissen, werden aber sehr viele dieser Kleidungsstücke aus Europa oder Nordamerika auf illegalen Müllhalden in Wüsten Südamerikas gefunden. Oder sie verschmutzen die Strände und Flüsse von afrikanischen Ländern, oder werden dort offen verbrannt. In Osteuropa wird damit geheizt. Das ist unglaublich gesundheits- und klimaschädlich. Deshalb ist es wichtig, bewusst zu machen, was mit dem Müll passieren soll. Da wir Dinge kaufen, denen man schon ansehen kann, dass sie nicht halten werden, dass sie nach der ersten Wäsche Form und Farbe verlieren etc.

Verschiedene Textilien auf Kleiderhaken
APA/HANS KLAUS TECHT

Worauf sollte man da als Konsumentin, als Konsument achten?

Derwanz: Zum Beispiel darauf, welche Art Stoff man trägt – Fasermixe oder reinen Stoff? Sachen kaufen, die zu 100 Prozent aus einem Stoff bestehen, wäre ein Anhaltspunkt für Konsumierende. Der Stoff sollte dann kompostierbar oder recyclierbar sein, weil er von modernen Maschinen als rein erkannt wird. Die Knöpfe sollten ebenso einfach abgemacht werden und der Reißverschluss herausgelöst werden können, damit die Teile irgendwie im Kreislauf gehalten werden können. Was da rausfällt, sind diese ganz modernen Kleidungsstücke und Schuhe, die wir alle so lieben: Funktionskleidung zum Beispiel, die häufig aus verklebten Stoffen bestehen und absolut nicht trennbar sind. Das ist wirklich Sondermüll.

Was sollte die Textilindustrie tun?

Derwanz: Sie sollte das „end of life“ von Kleidung schon im Designprozess mitbedenken. Die Textilindustrie muss konkrete politische Schranken bekommen, was sie darf und was nicht. Es kann nicht sein, dass etwas mit dem Wissen produziert wird, dass es kaputt geht. Diese geplante Obsoleszenz gibt es zwar in vielen anderen Bereichen auch, wird in der Mode aber oft unterschätzt. Die Politik ist bereits dabei, es gibt einen EU-Aktionsplan, wonach die Länder bis 2025 den textilen Müll zählen und sammeln müssen – und auch klar ausweisen, wohin er transportiert wird. Das ist aber eine Riesenherausforderung. Und ich glaube, die Branche selbst weiß noch nicht, wie sie das stemmen soll. Auf globaler Ebene gibt es seit 1989 die Basler Konvention zur Kontrolle von Sondermüll, dabei ging es aber eher um Abfälle aus der Atomindustrie und Medizin. Textilmüll gehört aber auch dazu.

Auch wenn sich das Problem nicht durch die Handlung Einzelner lösen wird: Wie lauten Ihre konkreten Einkaufstipps?

Derwanz: Ich finde es wichtig, sich vor jedem Einkauf zu fragen: Brauche ich das wirklich? Muss ich das wirklich neu kaufen? Oder kann ich es mir vielleicht leihen, Secondhand besorgen oder kann ich vielleicht ein altes Kleidungsstück reparieren? Reparieren wird oft unterschätzt, dabei hat es eine ganz wichtige Eigenschaft: dieses Moment der eigenen Selbstwirksamkeit und des die-Welt-verändern-Könnens. Reparieren bedeutet, die Nutzungsdauer von Kleidung zu verlängern – ohne Einsatz von Chemikalien und Wasser. Alles, was man braucht, sind Nadel, Faden und ein bisschen Zeit. Und wenn man selbst nicht nähen kann, sollte man Änderungsschneidereien oder Repair-Cafes besuchen – von denen es mehr geben sollte.

Das verweist auf Fähigkeiten und Fertigkeiten und somit auf Bildung und Schulen…

Derwanz: Schulen sind wichtige Multiplikatoren. Nachhaltigkeit, Reparieren, der textile Kreislauf sollten zur Grundbildung in die Schule gehören. Leider gibt es in Österreich keinen Textilunterricht mehr, sondern textiles und technisches Werken gehören zusammen – und das Fach heißt ab dem nächsten Jahr „Technik und Design“. Da wurde und wird immer weiter weggekürzt. Und das ist für die Verbraucher und Verbraucherinnen eine Katastrophe. Denn wenn man sich nicht mehr selbst zu helfen weiß, ist man diesem Kaufen und Wegwerfen ausgeliefert.

Was halten Sie von Online-Tauschbörsen oder Kleidertauschpartys?

Derwanz: Sie gehören zu den neuen Formen, Kleidung zirkulieren zu lassen. Das ist gut, weil ihre absolute Nutzungsdauer verlängert wird. Allerdings habe ich in meinen Forschungen festgestellt, dass die Personen, die dort regelmäßig teilnehmen, oft auch sehr viel Neues kaufen und diese Partys dafür benutzen, ihre – ja, zu vielen – Käufe mit gutem Gewissen weiterzugeben. Ich denke, das ist ein klassischer Rebound-Effekt, mit dem ein Neukauf dann refinanziert wird.

Worauf sollte man beim Kleiderspenden achten?

Derwanz: Die Sachen, die man abgibt, müssen wirklich frisch gewaschen oder gereinigt sein. Sonst können sie nicht als Kleidung weitergegeben werden. Ich kenne keine Kleiderkammern oder Unternehmen, die Kapazitäten haben zu waschen. Wenn man also will, dass sich andere noch über die Sachen freuen wollen – was die meisten Spender und Spenderinnen laut Statistik wollen – dann muss man frische Sachen abgeben. Die Sachen sollten deshalb auch nicht zu lange im Plastiksack gelagert gewesen sein.