Ludwig Feuerbach
Gemeinfrei
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Ludwig Feuerbach

Philosoph der Sinnlichkeit

Vor 150 Jahren, am 13. September 1872, ist Ludwig Feuerbach gestorben. Der Philosoph und Anthropologe war ein radikaler Denker, der eine grundlegende Kritik der christlichen Religion vornahm. Er machte sie für die Abwertung der Sinne verantwortlich und plädierte für deren Aufwertung.

Der konkrete Mensch, der seine Sinnlichkeit und Leiblichkeit als zentrale Voraussetzungen für ein erfülltes, glückliches Lebens ansieht, stand im Zentrum von Ludwig Feuerbachs Philosophie. „Aus Gottesfreunden Menschenfreunde und aus Kandidaten des Jenseits Studenten des Diesseits machen“, wolle er mit seiner Philosophie.

„Ich bin himmelweit unterschieden von den Philosophen, welche sich die Augen aus dem Kopfe reißen, um desto besser denken zu können; ich brauche zum Denken die Sinne, vor allem die Augen, gründe meine Gedanken auf Materialien, die wir uns stets vermittelst der Sinnlichkeit aneignen“, schrieb Feuerbach.

„Gott als Hauspapa“

Ludwig Feuerbach entfaltete seine Kritik des Christentums und das „Denken der Sinnlichkeit“ außerhalb des universitären Betriebs. Er begann zwar eine akademische Laufbahn als Privatdozent in Erlangen, wurde jedoch bald das Opfer der damals herrschenden politischen Verhältnisse. In der anonym erschienen Schrift „Gedanken über den Tod und Unsterblichkeit“ hatte er den personalen Gott der christlichen Religion „als Hauspapa, Wachtmeister und Nachtwächter“ titulierte, der dem menschlichen Bedürfnis nach Sicherheit nachkomme. Durch eine Indiskretion wurde Feuerbachs Autorschaft bekannt und er musste die Universität verlassen.

Diese Schrift war der Grundstein für sein Hauptwerk „Das Wesen des Christentums“, das 1841 erschien. Es ist dies ein Schlüsseltext der Religionskritik im 19. Jahrhundert von dem eine starke Wirkung ausging. Darin findet sich im ersten Teil eine Darstellung der Motive, die Menschen dazu bewegen, die Dogmen der christlichen Religion anzunehmen. Für Feuerbach war die Religion ein Traum des menschlichen Geistes, der nicht im Himmel, sondern auf der Erde stattfindet. Religiös zu sein, an Gott zu glauben ist ein durchaus nachvollziehbarer menschlicher Gedanke, ein anthropologisches Faktum, aber nicht mehr. „Gott ist der Spiegel des Menschen“, postulierte Feuerbach.

Religion – „Quelle des Fanatismus“

Im zweiten, kürzeren Teil der Studie akzentuierte er „die Religion in ihrem Widerspruch mit dem Wesen des Menschen“ und attackierte „das böse Wesen der Religionen – die unheilschwangere Quelle des religiösen Fanatismus“. Es besteht darin, dass im Namen der Religionen blutige Kriege geführt werden, die zahlreiche Opfer fordern und „die prima materia aller Gräuel, aller Schauder erregenden Szenen in dem Trauerspiel der Religionsgeschichte“ darstellen.

Neben den Angriffen auf die Religion bezog Feuerbach auch die universitäre Philosophie in seine Kritik mit ein. Er erhob die Forderung, dass die Philosophen von den Kathedern steigen sollten; der streitbare Philosoph ortete auch absolute Widersprüche zwischen produktiven, innovativen Philosophen und Philosophieprofessoren. Es sei das Kennzeichen eines wahren Philosophen, dass er kein Professor der Philosophie sei, bemerkte Feuerbach.

Der Leib als „Grund der Welt“

Die Religionskritik Feuerbachs war die Voraussetzung für seine Philosophie der Sinnlichkeit, die auch die Emotionen, Leidenschaften, Wünsche, Triebe und körperliche Bedürfnisse des Menschen umfasste. Die Leiblichkeit war für ihn die Basis der menschlichen Existenz. Das Ich, das Überich oder das gesellschaftlich-soziale Wesen fungieren gleichsam als Überbau – als „ein hohles, wesenloses abstractum“. „Der Leib ist das Subjekt der Persönlichkeit“, schrieb Feuerbach, „nur durch den Leib unterscheidet sich die reale Persönlichkeit von der eingebildeten eines Gespenstes.“ Für ihn war der Leib „der Grund der Welt“.

„Der Mensch ist, was er isst“

In Feuerbachs Philosophie der Sinnlichkeit nimmt die Ernährung einen wesentlichen Stellenwert ein. Sein Leitspruch lautet: „Essen und Trinken hält Ich und Du zusammen“ und „Der Mensch ist, was er isst“. Feuerbach begeisterte sich für den berauschenden Wein und für die Üppigkeit der Gänseleberpastete. Er konnte sich aber auch an einer spartanischen Gerstensuppe erfreuen. In seiner Gastrosophie nahm Feuerbach eine Umwertung philosophischer Werte vor:

„Was haben sich nicht die Philosophen mit der Frage gequält: was ist der Anfang der Philosophie? Ich oder Nicht-Ich, Bewusstsein oder Sein? O ihr Toren, die ihr vor lauter Verwunderung über das Rätsel des Anfangs den Mund aufsperrt und doch nicht seht, dass der offene Mund der Eingang ins Innere der Natur ist, dass die Zähne schon längst die Nüsse geknackt haben, worüber ihr noch heute euch vergeblich den Kopf zerbrecht!“

Philosophie der Liebe

Feuerbach entwarf auch eine Philosophie der Liebe; in der sinnlichen Liebe sah er das Grundmodell menschlicher Beziehungen, das den Glückseligkeitstrieb des Menschen befriedigt. „Die Liebe des Anderen sagt Dir, wer Du bist“ notierte Feuerbach. Seine „Philosophie der Liebe“ stützt sich auf die Ich-Du-Beziehung, die für jedes Individuum von existenzieller Bedeutung ist. „Ohne den anderen wäre die Welt für mich nicht nur tot und leer, sondern auch sinnlos“, schrieb Feuerbach, „wo kein Du ist kein Ich“.

Parallel zur Philosophie der Sinnlichkeit entwickelte Feuerbach seine Naturphilosophie. Im Gegensatz zu Hegel, der die Natur nur als etwas Defizientes, Unvernünftiges betrachtete, nobilitierte Feuerbach die Natur, die er durchaus schätzte. Er lehnte auch die Verwertungslogik der Natur ab, die sowohl im Kapitalismus und im Marxismus vertreten wurde. Die Natur war für ihn keine totgeschlagene Materie, die möglichst effizient ausgebeutet werden sollte, sondern vielmehr die Fülle der Wirklichkeit. Die Natur war das Eine und Ganze, das aus sich selbst ist, und keine Konkurrenz zu Gott darstellt: „Aut deus aut natura – entweder Gott oder Natur“ postulierte Feuerbach.

Sympathien für den Kommunismus

Durch seine umfassende Religionskritik, die Feuerbach durch eine materialistische Anthropologie ersetzte, avancierte Feuerbach zur intellektuellen Leitfigur der revolutionären Vormärzbewegung. Feuerbach sympathisierte mit Vertretern des Frühsozialismus und des Kommunismus und verfasste politische Schriften. Bis zu seinem Tod hielt er Vorträge in Heidelberg, an denen neben Studenten auch Handwerker teilnahmen. Als Vermächtnis hinterließ Feuerbach seine Apologie der Sinnlichkeit:

Ö1 Sendungshinweis

Der Denker der Menschlichkeit - Zum 150. Todestag des Philosophen Ludwig Feuerbach: Salzburger Nachtstudio, 14. September 2022, 21:00

„Wollt ihr die Menschen bessern, so macht sie glücklich; wollt ihr sie aber glücklich machen, so geht an die Quellen des Glücks – an die Sinne. Die Verneinung der Sinne ist die Quelle aller Verrücktheit und Bosheit und Krankheit im Menschenleben, die Bejahung der Sinne die Quelle der physischen, moralischen und theoretischen Gesundheit.“

Prekäre Existenz als Privatgelehrter

Geboren wurde Ludwig Feuerbach am 28. Juli 1804 in Landshut als Sohn des angesehenen Rechtsgelehrten Anselm Ritter von Feuerbach. Er studierte Philosophie bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel in Berlin und hielt nach seiner Promotion und Habilitation Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, Logik und Metaphysik. Wegen seiner religionskritischen Schriften erhielt der Gelehrte ein Berufsverbot und führte eine prekäre Existenz als Privatgelehrter.

Dies wurde ihm durch die Heirat mit Bertha Löw, der Mitbesitzerin einer Porzellanfabrik, ermöglicht. Feuerbach bezahlte für sein radikales Philosophieren einen hohen Preis: Er verarmte und war auf die finanzielle Unterstützung von Freunden angewiesen. Am 13. September 1872 starb Feuerbach nach einem Schlaganfall; sein Begräbnis fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt.