Weltkarte mit Verteilung von Coronavirus-Ausbrüchen
MACLEG – stock.adobe.com
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Coronavirus

„Weltweites Versagen“ bei Pandemiebekämpfung

Anfangs zu zögerlich, zu wenig Kooperation, speziell der Globale Süden im Abseits: Die internationale Staatengemeinschaft hat bei der Covid-19-Bekämpfung auf vielen Ebenen versagt. So lautet das harte Urteil von internationalen Fachleuten, das soeben in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ erschienen ist – sie finden aber auch ein paar Lichtblicke.

Geschätzte 18 Millionen Tote weltweit bis Ende Mai 2022, dazu das Erreichen sowohl der Nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO als auch der Pariser Klimaziele um Jahre verzögert: „Die Welt hat einen hohen Preis bezahlt für die Kombination aus schlechter Vorbereitung und mangelhafter Kooperation bei der Bekämpfung von Covid-19“, schreibt ein Team um den US-Ökonomen Jeffrey Sachs in dem “Lancet“-Artikel.

Die 28 Expertinnen und Experten aus Epidemiologie, Politik, Wirtschaft, Psychiatrie und anderen Bereichen sind Bestandteil der “Lancet-Covid-19-Commission“ und haben gemeinsam mit zig anderen Fachleuten nun Bilanz gezogen. Ihr Artikel mit schlanken 500 Fußnoten ist eine beinharte Kritik an so gut wie allen handelnden Institutionen, gibt eine Reihe von konkreten Vorschlägen, was man in Zukunft besser machen könnte, und lobt auch den ein oder anderen Aspekt.

Positiv: Schnelle Impfstoffe und Finanzhilfen

Um mit dem Positiven zu beginnen: Die schnelle Entwicklung von Impfstoffen durch öffentlich-private Partnerschaften sei ein Lichtblick gewesen. Ebenso die finanziellen Unterstützungen für Menschen und Betriebe in den reicheren Ländern. Auch regionale Initiativen seien lobenswert, wie etwa die AVAT-Initiative, die den Kauf und das Verteilen von Impfstoffen in Afrika koordiniert, und die „Allianz für inklusive Impfstoffe“ in Europa.

Reaktionen zu langsam, zu zögerlich

Der Kritikteil der Experten und Expertinnen fällt weit üppiger aus. Angefangen mit China, das beim Melden der ersten Verdachtsfälle zögerte, sei die Pandemie zu Beginn von einer institutionellen Langsamkeit und übertriebenen Vorsicht geprägt gewesen. Das betreffe vor allem die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Coronavirus-Ausbruch erst verspätet zu einem „Gesundheitsnotstand von internationaler Tragweite“ erklärte. Auch die Warnung vor einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung des Virus, die Empfehlung von Reisebeschränkungen und Gesichtsmasken als wirksame Maßnahmen sowie die Anerkennung der Luftübertragung von CoV seien zu spät erfolgt.

Grafik zur Analyse der Lancet-Covid-19-Commission
The Lancet
Die Analyse der Lancet-Covid-19-Kommission

Globale Impfungleichheit

Die Länder hätten ebenfalls auf vielen Ebenen versagt, allem voran bei der Zusammenarbeit miteinander – von Reisebeschränkungen über Teststrategien und Datenaustausch bis zu den medizinischen Schlüsselfaktoren Schutzausrüstung, Medikamente und Impfstoffe.

Eineinhalb Jahre nachdem die ersten CoV-Impfstoffe verabreicht wurden, sei eine globale Impfgerechtigkeit in weiter Ferne. „In Ländern mit hohen Einkommen sind drei von vier Menschen vollständig geimpft, in Ländern mit niedrigen Einkommen ist es nur einer von sieben“, sagt Maria Fernanda Espinosa, ehemalige Vorsitzende der UNO-Generalversammlung und Koautorin der Studie. „Wenn wir Impfpatente und -technologien nicht mit Herstellern in ärmeren Ländern teilen, werden alle Länder zunehmend anfälliger sein für neue CoV-Ausbrüche und andere Pandemien.“

Trügerische Vorhersagen

Vor Covid-19 erstellte Bewertungen, die Länder nach ihrem Vorbereitungsgrad auf künftige Pandemien einstuften, hätten sich als falsch erwiesen. Laut dem Global Health Security Index 2019 etwa seien die USA und viele europäische Länder besonders „pandemiegerüstet“ gewesen. Sie hatten aber tatsächlich höhere CoV-Todesraten als Länder in Ostasien und Ozeanien, die vermutlich aufgrund von Erfahrungen mit früheren Coronavirus-Epidemien auf strengere Maßnahmen setzten.

In Europa, Nord- und Südamerika habe es die relativ höchsten Todesraten aller WHO-Regionen gegeben. Im Gegensatz dazu stehen Länder im Westpazifik – darunter China, Australien, Neuseeland und Südkorea. Große Unterschiede zeigten sich auch innerhalb von Kontinenten: So verzeichneten Island und Norwegen 210 bzw. 280 CoV-Tote pro Million Einwohner, in Schweden waren es 1.500.

Politik und Desinformation

Viele Länder hätten Maßnahmen nicht konsequent durchgeführt und besonders vulnerable Gruppen zu wenig geschützt, schreiben die Fachleute. Dazu zählen ältere Menschen, aber auch Frauen, Kinder und sozial schwächere Menschen, die von den Folgen besonders stark betroffen waren. Mit verantwortlich für diese Ungleichheiten und Unterschiede zwischen Ländern seien die konkreten Handlungen von Politikern und Politikerinnen sowie gezielte Desinformation. Alleine in den USA seien bis zu 200.000 Menschen gestorben, weil sie sich nicht impfen ließen. „Die antiwissenschaftliche Bewegung hat sich mit tragischen Folgen globalisiert."

Grafik zu den Empfehlungen der Lancet-Covid-19-Commission
The Lancet
Die Empfehlungen der Lancet-Covid-19-Kommission

Wie man es besser machen könnte

Das Fazit der Expertinnen und Experten: Die Pandemie hat die UNO-Ziele für eine Nachhaltige Entwicklung – darunter Hunger und Armut in aller Welt bis 2030 zu beenden, Geschlechtergleichstellung zu erreichen und ein gesundes Leben für alle zu gewährleisten – um Jahre verzögert. Um diesen Zielen doch wieder näherzukommen, brauche es eine Reihe von Maßnahmen, allen voran mehr und bessere weltweite Zusammenarbeit. Die WHO solle reformiert und finanziell gestärkt werden, sie brauche einen stärkeren wissenschaftlichen Beirat, zusätzlich müsse die Rolle der Weltgesundheitsversammlung politisch aufgewertet werden.

“Impfung-Plus“-Strategie

Für die Zukunft von Covid-19 plädieren die Fachleute für eine „Impfung-Plus“-Strategie, also eine weitestgehende Durchimpfung der Bevölkerung mit gleichzeitigen Schutzmaßnahmen der öffentlichen Gesundheit und finanziellen Maßnahmen. Der Ursprung des Virus – ob natürlich oder im Labor entstanden – solle nachdrücklicher als bisher erforscht werden. Die Länder sollten mehr in die medizinische Primärversorgung investieren und sich jetzt schon auf die nächste Pandemie vorbereiten.

Mit Unterstützung der WHO sollten finanzkräftige Institution wie die G-20-Staaten und die Weltbank in diesem Sinne lokale und nationale Initiativen in Entwicklungsländern unterstützen. Rund 60 Milliarden US-Dollar seien dafür jährlich notwendig, nur 0,1 Prozent der Bruttosozialprodukte der reichen Länder.