Künstlerische Illustration einer Synapse
katestudio – stock.adobe.com
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Young Science

Daumenkino im Gehirn

Bei Krankheiten wie Alzheimer und Epilepsie spielen auch die Synapsen – die Verbindungen zwischen Gehirnzellen – eine wichtige Rolle. Die Neurowissenschaftlerin Olena Kim hat am IST Austria eine Methode entwickelt, diese Synapsen genau zu untersuchen – sie können dabei wie mit einer Art Daumenkino beobachtet werden.

Österreich ist auch über die Landesgrenzen hinweg als wichtiger Forschungsstandort bekannt. Nicht umsonst finden sich an den heimischen Universitäten und Instituten zahlreiche motivierte Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Ländern. So wie Olena Kim – sie stammt aus der Ukraine und hat in Kiew ihr Bachelor- und Masterstudium im Bereich der Biologie und Biophysik abgeschlossen.

Obwohl sie eher durch Zufall mit dem Biologiestudium begonnen hat, wurde Kim nach und nach von der Idee gefesselt, die biologischen Vorgänge im Körper zu erforschen. Vor sieben Jahren kam sie daher an das Institute of Science and Technology Austria (ISTA), um dort ihr Doktoratsstudium zu starten.

Struktur und Funktion

Am ISTA ist die heute 30-Jährige Teil der Forschungsgruppe um den Neurowissenschaftler Peter Jonas, die sich vor allem mit der Kommunikation zwischen den Nervenzellen im Gehirn auseinandersetzt. Diese Prozesse zu untersuchen ist aber alles andere als einfach. Genaue Elektronenmikroskope sind notwendig, um die extrem kleinen Strukturen in den Zellen überhaupt erst erkennen zu können. „Über ihre tatsächlichen Funktionen kann dann aber noch kaum etwas gesagt werden“, erklärt Kim gegenüber science.ORF.at.

Young Science in ORF Sound

Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stehen im Mittelpunkt der Serie „Young Science“. Die Beiträge sind auch auf ORF Sound zu finden.

Mit vielen bisherigen Methoden waren so nur Aussagen über die Strukturen in den Zellen oder deren Funktion möglich. Kim hat es sich im Rahmen ihres Doktoratsstudiums zur Aufgabe gemacht, beides miteinander zu verbinden. „Die Idee meines Projekts war es, die Elektronenmikroskopie und die Elektrophysiologie zu kombinieren und damit die Struktur und Funktion der verschiedenen Zellen miteinander zu vergleichen.“

Gefrorene Gehirnzellen

Um die Kommunikation zwischen intakten Nervenzellen überhaupt erst untersuchen zu können, müssen sie an Ort und Stelle fixiert werden. Dafür werden Methoden der Kryofixierung genutzt. Die Zellen werden schockgefroren und erstarren.

Bei Muskelzellen ist das laut Kim auch kein Problem, im Gehirn können die Eiskristalle aber schnell die Struktur der Nervenzellen zerstören. Die junge Forscherin machte sich daher Technologien der vergangenen Jahre zunutze, wie etwa die sogenannte „Flash and Freeze“-Methode. Dabei werden die Nervenzellen mit Lichtblitzen stimuliert und das Wasser wird daran gehindert, Eiskristalle zu bilden. Auch mit dieser Methode bekam Kim aber keine befriedigenden Aufnahmen der Nervenzellen im Gehirn.

Neurowissenschaftlerin Olena KIM
O. Kim
Olena Kim forscht am ISTA in Klosterneuburg

Daumenkino im Gehirn

Die heute 30-jährige Neurowissenschaftlerin hat daher zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Forschungsgruppe die „Flash and Freeze“-Methode mit sehr hohem Druck verbunden und damit eine neue Methode der Kryofixierung erschaffen.

In Untersuchungen am Hippocampus von Mäusen ist es Kim so gelungen, Aufnahmen der Nervenzellen zu erstellen, die ihre innere Struktur zu verschiedenen Zeitpunkten zeigen. „Das Ergebnis kann man sich wie eine Art Daumenkino vorstellen“, erklärt Kim, „wenn man die Aufnahmen schnell durchblättert, gibt uns das Informationen über die Struktur und eben auch die Funktion der Nervenzellen und Synapsen.“

Zusammen mit Carolina Borges-Merjane hat Kim auch den Fritz-Grasenick-Preis 2019 der Österreichischen Gesellschaft für Elektronenmikroskopie erhalten.

Großes Potential

Mit der neuen Methode konnten die Forscherinnen und Forscher auch intaktes Gehirngewebe der Mäuse untersuchen, das aus dickeren Proben als normalerweise üblich stammte. Im Labor waren so noch umfangreichere Untersuchungen möglich.

Potential habe die Methode etwa im Bereich der Medizin. Im Hippocampus finden Prozesse statt, die für die Verarbeitung von Gedächtnisinhalten im Kurz- und Langzeitgedächtnis und für die räumliche Orientierung wichtig sind. Auch einige Krankheiten stehen mit dem Bereich des Gehirns in Verbindung, wie etwa Epilepsie und Alzheimer. Die Methode von Kim könnte daher als Grundlage dienen, diese Störungen genauer zu erforschen und die Prozesse hinter epileptischen Anfällen zu beleuchten. „Man könnte zum Beispiel genauer herausfinden, welche Synapsen und Zellen nach epileptischen Anfällen absterben und eventuell etwas dagegen unternehmen“, so Kim.

Bis es so weit ist, dauere es aber bestimmt noch einige Jahre. „Die Methode ist momentan noch für die Grundlagenforschung bestimmt, für einen Einsatz in der Industrie ist es noch zu früh“, erklärt die junge Forscherin. Generell sei die Methode in Wissenschaftskreisen aber auf großes Interesse gestoßen. „Ich weiß auch bereits von einigen Forschungsteams, die unsere Methode gerade in Studien und Untersuchungen nutzen“, so Kim.

Maßgeblicher Fortschritt

Am ISTA in Klosterneuburg entwickelt Kim ihre Methode bereits weiter, um sie künftig noch für andere wissenschaftliche Untersuchungen und weitere Bereiche des Gehirns bereitzustellen. Dass die gebürtige Ukrainerin mit nur 30 Jahren bereits maßgeblich zum Fortschritt im Bereich der Neurowissenschaft beigetragen hat, freut sie natürlich sehr. „Nach all der Zeit und dem Abschluss meines Doktoratsstudiums macht es mich wirklich stolz, dass meine Arbeit überall so gut aufgenommen wird“, erklärt sie.