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Gorodenkoff – stock.adobe.com
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Young Science

Arbeitsmarkt que(e)r gedacht

Nicht dazuzugehören, Mobbing und das Gefühl, sich für die eigene sexuelle Orientierung schämen zu müssen – das ist für Menschen der LGBTQ-Gemeinschaft keine Seltenheit. Beim Einstieg in den Arbeitsmarkt sorgt das oft für Probleme. Ein Wiener Forschungsteam hat die Erfahrungsberichte von jungen Erwachsenen gesammelt und bietet Hilfe für Betroffene und Unternehmen.

Junge Erwachsene haben es beim Einstieg in den Arbeitsmarkt ohnehin oft nicht leicht – noch schwieriger wird ihre Situation aber, wenn sie von ihren neuen Kolleginnen und Kollegen ausgeschlossen und diskriminiert werden. Auch in Österreich ist das für homosexuelle Menschen oder Transpersonen keine Seltenheit. Angehörigen der LGBTQ-Gemeinschaft wird in Unternehmen laut der Psychologin Charlotte Rösel von der Medizinischen Universität Wien immer noch oft nicht auf Augenhöhe begegnet.

Young Science in ORF Sound

Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stehen im Mittelpunkt der Serie „Young Science“. Die Beiträge sind auch auf ORF Sound zu finden.

Mikroaggressionen und chronischer Stress

Zu groben Beleidigungen oder offener Diskriminierung komme es selten. „Das gibt es zwar in bestimmten Unternehmen auch noch, die Betroffenen erzählen aber eher von vielen kleinen Mikroaggressionen, mit denen sie im Laufe eines Arbeitstages konfrontiert sind. Sie werden gemobbt, ihre sexuelle Orientierung oder Genderidentität wird nicht ernstgenommen und es wird zum Beispiel auch immer noch sehr selten nach den korrekten Pronomen einer Person gefragt“, so Rösel gegenüber science.ORF.at. Viele junge Erwachsene würden so in heteronormative Strukturen von Unternehmen eingeführt, in denen ihre individuelle Einstellung zum Tabuthema wird.

Mit den neuen Kolleginnen und Kollegen gefühlsmäßig nicht auf einer Ebene zu stehen, kann sich auch auf die Gesundheit der jungen Erwachsenen auswirken. Auf LGBTQ-Personen herrsche generell oft hoher Druck, da ihr Privatleben immer wieder auch von anderen thematisiert wird.

„Jedes Mal, wenn man eine Kaffeepause macht oder mit den Kolleginnen und Kollegen über das letzte Wochenende spricht, muss man sich vielleicht outen und sagen, dass man mit dem Freund oder Partner unterwegs war, weil sonst danach gefragt wird. Das führt zu dauerndem Stress“, sagt der ebenfalls an der MedUni Wien tätige Mediziner Igor Grabovac. Irgendwann wirke sich dieser Stress dann auch auf die psychische und körperliche Gesundheit der Betroffenen aus.

Psychologin Charlotte Rösel und Mediziner Igor Grabovac
ORF/Raphael Krapscha
Charlotte Rösel und Igor Grabovac erforschen Thematiken der LGBTQ-Gemeinschaft in Wien

Betroffene berichten

Um mehr über die Probleme von jungen Erwachsenen der LGBTQ-Gemeinschaft beim Eintritt in den Arbeitsmarkt herauszufinden, hat Grabovac das Thema schon in seiner Heimat Kroatien erforscht. Eine europaweite Ausschreibung hat ihn dann dazu bewogen, an der Entstehung des WE-Projekts mitzuarbeiten und dessen Leitung zu übernehmen.

In vorerst sechs europäischen Ländern haben Forscherinnen und Forscher seit Oktober 2020 Erfahrungsberichte von jungen Erwachsenen gesammelt. Rösel hat sich Grabovac in Wien angeschlossen, mit vielen Betroffenen direkt gesprochen und zahlreiche Umfragen durchgeführt.

Fehlende Konsequenzen

Das Resultat: In Österreich kommt es an vielen Arbeitsplätzen nicht nur regelmäßig zu Mikroaggressionen gegenüber Personen der LGBTQ-Gemeinschaft, auch die Konsequenzen für diskriminierendes Verhalten fehlen. „Wir haben die Personen, die von Problemen am Arbeitsplatz berichtet haben, auch gefragt, wie es weiterging. Die meisten haben gesagt, dass das Thema quasi ignoriert wurde und dass es keine Konsequenzen gab“, erzählt Rösel.

Junge Erwachsene, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Genderidentität diskriminiert wurden, waren so oft weiterhin in einem Arbeitsumfeld tätig, in dem sie sich nicht wohlfühlten. „Im Grunde hat es oft nur negative Konsequenzen für die Personen gegeben, die diskriminiert wurden. Viele haben mittlerweile gekündigt oder wurden bald wieder von den Unternehmen entlassen“, so die Psychologin.

Wenige klar positionierte Unternehmen

Mit dem WE-Projekt will Grabovac den jungen Erwachsenen eine Plattform bieten, um eventuelle Fragen zu beantworten. Daher sind die Forschungsresultate und zahlreiche weitere Informationen auch kostenlos online verfügbar. Bei Problemen im Arbeitsumfeld können Betroffene auch direkt auf der Website Kontakt mit Expertinnen und Experten aufnehmen.

Neben den jungen Erwachsenen richtet sich das Onlineangebot aber auch an alle Unternehmen. Ein spezielles Toolkit bietet Informationen und Weiterbildungsmöglichkeiten für mehr Gleichberechtigung im Arbeitsumfeld. Vor allem gehe es darum, Bewusstsein für die Diskriminierung zu schaffen. „Es reicht nicht zu sagen, dass man Diversität fördert. Was bedeutet das? Was wird getan, damit sich Menschen im Unternehmen wohlfühlen können und damit sie nicht diskriminiert werden? Bei all dem kann das Toolkit helfen“, so Rösel. Besonders wichtig ist laut der Psychologin eine klare Regelung: „Die Angestellten müssen einfach wissen, was passiert, wenn sie jemanden diskriminieren oder sie selbst diskriminiert werden. Und da fehlt es oft an einer ganz klaren Positionierung im Unternehmen.“

Sich als offenes Unternehmen zu präsentieren und auch dementsprechend zu handeln habe dabei mehrere Vorteile. „Jungen Menschen sind heute andere Dinge wichtig, wenn es um ihren Beruf geht. Sie schätzen ein gutes Arbeitsklima und Orte, an denen sie sich wohlfühlen“, erklärt Grabovac. Für junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sei es daher oft ein großer Pluspunkt, wenn mit Offenheit und Diversität im Unternehmen geworben wird – die Arbeit im Unternehmen wird attraktiver.

Gesellschaftlicher Wandel

Rösel und Grabovac sind froh, dass Thematiken rund um die LGBTQ-Gemeinschaft auch in den Medien immer stärker ins Rampenlicht rücken. „Berichte in den Nachrichten, aber natürlich auch zum Beispiel Netflix-Serien mit LGBTQ-Protagonisten tragen dazu bei, das Thema in den Köpfen der Menschen präsenter zu machen“, so Grabovac. Das führt laut dem Mediziner wiederum dazu, dass auch die Homo- oder Transnegativität in der Gesellschaft weiter abnimmt.

Wichtig ist laut Rösel aber auch, nicht alle Personen der LGBTQ-Gemeinschaft zu verallgemeinern. „Man kann die Erfahrungen einer Transperson nicht mit denen einer bisexuellen Person vergleichen. Das sind ganz unterschiedliche Herausforderungen, auf die man auch unterschiedlich eingehen muss.“ Das müsse man sowohl in Unternehmen als auch generell der Gesellschaft noch besser verstehen.

Ausbau der Plattform

Offiziell ist das WE-Projekt seit Jänner beendet, die Arbeit von Grabovac und Rösel ist aber noch nicht getan. „Wir sind ständig dabei, die Plattform weiterzuentwickeln und zu verbessern. Wir analysieren auch die bereits erhobenen Daten noch genauer“, erzählt der Mediziner. Derzeit wird das Projekt weiter ausgeweitet, um die Plattform auch mit Informationen aus anderen europäischen Ländern zu füllen und noch mehr Material darauf zur Verfügung zu stellen. Das junge Forschungsteam in Wien hofft, damit so vielen jungen Erwachsenen wie möglich den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.