Drei Würfel, auf dem einen ein Männer-, auf dem anderen ein Frauenzeichen, dazwischen einer mit einem Istgleich- und einem Istnichtgleich-Zeichen
Getty Images/iStockphoto/ronstik
Getty Images/iStockphoto/ronstik
Young Science

Mathematik hilft Gendermedizin

Medizin und Mathematik sind oft eng miteinander verbunden. Eine junge Forscherin an der Medizinuni Innsbruck etwa nutzt mathematische Berechnungen, um mehr über Herz-Kreislauf-Erkrankungen herauszufinden. So lassen sich etwa unterschiedliche Risikofaktoren zwischen Frauen und Männern ermitteln.

Grundsätzlich wollte Lena Tschiderer immer schon im Bereich der Medizin tätig sein. Nach ihrem Schulabschluss hat sich die heute 29-jährige Tirolerin aber dann doch für ein Mathematikstudium in Innsbruck entschieden. Bis heute bereut das Tschiderer nicht. „Die Mathematik ist wie ein Werkzeug, das man in extrem vielen unterschiedlichen Bereichen anwenden kann“, erklärt sie gegenüber science.ORF.at.

Young Science auf ORF Sound

Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stehen im Mittelpunkt der Serie „Young Science“. Die Beiträge sind auch auf ORF Sound zu finden.

Die junge Forscherin hatte während ihres Studiums aber immer noch den Wunsch, mit ihrem Beruf auch irgendwann anderen Menschen zu helfen. Im Laufe der Zeit hat sie sich daher für eine Stelle an der Medizinischen Universität Innsbruck im Bereich Statistik und Datenwissenschaften beworben, bei der auch ihre mathematischen Kenntnisse gefragt waren. „Das war die perfekte Möglichkeit für mich, Mathematik und Medizin miteinander zu kombinieren“, erklärt sie.

Unverzichtbare Mathematik

Generell werde die Mathematik in Zukunft immer wichtiger, so Tschiderer – egal ob in der Medizin oder anderen wissenschaftlichen Bereichen. Mit großen Datenmengen umgehen zu können, Statistiken zu erstellen und auch richtig zu lesen sowie umfangreiche Datenbanken aufzubauen, werde immer relevanter. „Es werden einfach immer größere Datensätze gesammelt mit auch immer komplexeren Daten – ohne Mathematik kommt man da nicht weit“, stellt die Tirolerin klar.

Dass Tschiderer die mathematische Seite bei medizinischen Projekten im Griff hat, hat sie bereits während ihres Doktoratsstudiums unter Beweis gestellt. Bei einem vorübergehenden Aufenthalt an der britischen Cambridge Universität war sie mit dem Aufbau des sogenannten Proof-Athero-Konsortiums beschäftigt. Die daran beteiligten Expertinnen und Experten wollten mit dem Sammeln großer Datenmengen mehr über Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atherosklerose in Erfahrung bringen. „Für das Proof-Athero-Konsortium haben wir epidemiologische Daten und Informationen von über 100.000 Personen gesammelt. Entstanden ist eine umfangreiche Datenbank, die auch als Quelle für zukünftige Analysen dienen soll“, so Tschiderer.

Lena Tschiderer, Mathematikerin und Epidemiologin an der Medizinischen Universität Innsbruck
MUI/D. Bullock
Lena Tschiderer erforscht die Geschlechtsunterschiede bei Atherosklerose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Ausgezeichnete Forschung

Die Datenbank wird auch tatsächlich genutzt – unter anderem in weiteren Projekten von Tschiderer selbst. In ihrer Dissertation hat sie aufbauend auf die Untersuchungen aus dem Proof-Athero-Konsortium zum Beispiel herausgefunden, dass die Gefäßwanddicke der Halsschlagader einen wichtigen Biomarker für Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellt. „Je dicker die Gefäßwand ist, desto mehr Ablagerungen gibt es und desto größer ist dann auch das Risiko für spätere Probleme“, so Tschiderer. Für ihre Arbeit erhielt die junge Mathematikerin im Dezember 2021 auch den Otto-Seibert-Preis zur Förderung junger, begabter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Geschlechtsunterschiede bei Erkrankungen

Seit 2021 arbeitet Tschiderer nun an einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt, das sich ebenfalls mit Atherosklerose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auseinandersetzt. Dafür war die heute 29-Jährige auch sechs Monate lang an der Universität Utrecht in den Niederlanden tätig.

Tschiderer richtet den Fokus im aktuellen Projekt speziell auf geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen Frauen und Männern. „Diese Unterschiede besser zu charakterisieren, besser zu verstehen – das ist das Ziel meines aktuellen Projekts“, erklärt die Forscherin. Vor allem im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen sei es wichtig, weder Frauen noch Männer außer Acht zu lassen. Tschiderer: „Viele stellen sich immer noch einen Mann als den klassischen Herz-Kreislauf-Patienten vor. Es ist aber mittlerweile bekannt, dass Frauen und Männer mindestens gleich häufig von derartigen Erkrankungen betroffen sind."

Stillen verringert Schlaganfall-Risiko

Je nachdem, um welche Krankheiten es sich handelt, seien auch die Unterschiede zwischen Männern und Frauen verschieden groß. „Es gibt schon Unterschiede, wie sich die Krankheit bei Frauen oder Männern darstellt oder wie sie sich mit der Zeit weiterentwickelt. Es gibt aber auch unterschiedliche Risikofaktoren und ganz wichtig – es gibt auch Faktoren, die nur Frauen oder nur Männer betreffen."

Schon in einer früheren Studie hat Tschiderer etwa einen Zusammenhang zwischen dem Aufkommen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dem Stillen von Neugeborenen entdeckt. „Bei der Studie haben wir Daten von über einer Million Frauen kombiniert und miteinander verglichen“, erklärt die Forscherin. Das Ergebnis: Frauen, die gestillt haben, hatten ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als jene Mütter, die nie gestillt haben. „Das gilt sowohl für den Herzinfarkt als auch für den Schlaganfall“, stellt Tschiderer klar.

Gegenseitiges Profitieren

Dass Tschiderer bei den internationalen Projekten mit ihren 29 Jahren oft eine der jüngsten Forscherinnen ist, stört sie nicht – eher im Gegenteil. „Ich finde, dass es sehr wichtig ist, dass die erfahreneren Leute und jüngere Forscherinnen und Forscher gemeinsam arbeiten. So können alle davon profitieren“, erklärt sie – die Jüngeren vom Erfahrungsschatz der Älteren und die Älteren vom frischen Wind, den die jüngeren Forscherinnen und Forscher in die Labore bringen.

Das vom FWF geförderte Projekt läuft noch mindestens ein Jahr, auch danach möchte Tschiderer aber in der Forschung bleiben. Ideen für künftige Studien, in denen sie Medizin und Mathematik erneut miteinander verbindet, hat die junge Tirolerin bereits einige.