Der künftige Uni Wien-Rektor Sebastian Schütze am Dienstag, 27. September 2022.
APA/TOBIAS STEINMAURER
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Sebastian Schütze

„Uni hat große Verantwortung“

Zu seinem Amtsantritt am 1. Oktober muss der neue Rektor der Universität Wien gleich ein Budgetloch von ca. 100 Mio. Euro stopfen. Außerdem wünscht sich Sebastian Schütze im dritten Pandemiejahr wieder ein wenig mehr Normalität. Wie der Kunsthistoriker im Interview betont, hat die Universität in Zeiten kolossaler Verunsicherung eine spezielle Verantwortung – für die jungen Leute, aber auch für die Gesellschaft insgesamt.

Der 61-jährige Deutsche Sebastian Schütze folgt Heinz Engl nach, der seit 2011 an der Spitze der – mit rund 90.000 Studierenden und etwa 10.000 Angestellten mit Abstand größten – Hochschule des Landes stand.

science.ORF.at: Heinz Engl, Ihr Vorgänger, ist Mathematiker, er kann also gut mit Zahlen umgehen – was für einen Rektor immer hilfreich ist. Was können Sie aus der Kunstgeschichte mitnehmen, das Sie als Rektor unterstützt?

Sebastian Schütze: Als Kulturwissenschaftler bringt man vielleicht historische Perspektiven mit, ein Verständnis für komplexe Krisensituationen und Diversität aus der Vergangenheit – denn das macht Geschichte ja aus.

Wir befinden uns gerade in so einer komplexen Krisensituation. Uniko-Präsidentin Sabine Seidler sprach zuletzt von einem 1,2-Milliarden-Euro-Budgetloch, das die Unis Österreichs in der aktuellen Leistungsperiode haben – wie hoch ist es an der Uni Wien?

Schütze: Das ist im Moment noch schwer zu quantifizieren – es fehlen noch wichtige Parameter wie die Gehaltsverhandlungen, die für unser Budget immer zentral sind. Allen Unis fehlt viel Geld, um in den nächsten zwei Jahren den Kernaufgaben in Lehre und Forschung gut nachzukommen. Legt man aber das normale Verhältnis vom Gesamtbudget aller Universitäten zum Uni-Wien-Budget zugrunde, dann sind es etwa 100 Millionen, die wir als Fehlbetrag in den nächsten beiden Jahren zu verkraften hätten.

Der künftige Uni Wien-Rektor Sebastian Schütze am Dienstag, 27. September 2022.
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Sebastian Schütze wurde 1961 in Düsseldorf geboren. Seit 2009 hat er an der Universität Wien den Lehrstuhl für Neuere Kunstgeschichte inne, seit 2016 ist er wirkliches Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Italienische Kunst der Frühen Neuzeit und ihre europäische Ausstrahlung, die Kunst und Kunstpatronage im päpstlichen Rom sowie die Wechselwirkungen zwischen Kunst und Literatur um 1900.

Wie sieht der Verhandlungsstand mit dem Ministerium aus?

Schütze: Die Verhandlung wurden schon den ganzen Sommer geführt. Klar ist: Wir befinden uns generell in einer schwierigen Lage, in der alle – von den Pensionisten bis zur Industrie – ihre Schwierigkeiten Richtung Ministerium vortragen. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Anliegen möglichst weit oben auf der Agenda bleiben und gesehen wird, welche wichtige Rolle das Unibudget gesamtgesellschaftlich spielt.

Zeithorizont für das Budget?

Schütze: Der definitive Zeitpunkt ist sicher die Budgetrede des Finanzministers im November. Wir hoffen aber, dass wir schon vorher einen Eindruck davon bekommen, wie die Dimensionen dieses Budgets aussehen – weil wir ja schon mitten in den Planungen für das nächste Jahr sind. Ich bin aber zuversichtlich. Die Vorgespräche sind gut gelaufen, es gibt von allen Seiten ein großes Verständnis für unsere Anliegen.

Falls doch ein Budgetloch bleibt – wie sieht Ihr Plan B aus?

Schütze: Das kann ich jetzt hier nicht im Detail erörtern. Aber wir werden bei Einsparungen sicher stufenweise vorgehen. Oberster Gesichtspunkt ist, dass unsere Kernaufgaben in Lehre und Forschung möglichst wenig davon betroffen sind. Was wir auf jeden Fall machen werden, ist Energiesparen – wir werden die Temperatur in unseren Gebäuden auf 19 Grad runterfahren. Und wir werden in unserem Budgetvollzug möglichst restriktiv sein, also Dinge nicht verhindern, aber vielleicht ein bisschen hinausschieben.

Geht es dabei auch um Personal?

Schütze: Das wäre schon eine einschneidende Maßnahme. Aber klar, das Budget von Unis ist zu rund zwei Drittel ein Personalbudget. Das heißt, wenn ganz harte Sparmaßnahmen nötig sind, wird das auch am Personal nicht vorbeigehen.

Zur gleichen Zeit wird in Linz mit der TU eine neue Uni geschaffen. Die Skepsis in den bestehenden Unis ist diesbezüglich sehr groß – wie groß ist Ihre?

Schütze: Genauso groß wie die Skepsis aller anderen Unirektoren. Denn bei einem Budget, das für die existierenden Unis schon knapp ist, und bei der Annahme, dass das Geld nicht unendlich wachsen wird, sind wir natürlich jeder Neugründung erst mal skeptisch gegenüber. Aber das war eine politische Entscheidung, die schon gefallen ist, und das werden wir uns jetzt sehr aufmerksam anschauen.

Eine andere Krise: Covid-19. Wie sieht Ihr Coronavirus-Konzept für das beginnende Wintersemester aus?

Schütze: Es gibt zwei Grundsätze. Erstens müssen wir die Situation dynamisch interpretieren, weil niemand weiß, wie sie sich im Herbst entwickelt. Zweitens sind wir überzeugt, dass nach zwei sehr stark von der Pandemie beeinflussten Jahren in der Lehre Präsenz angesagt ist. Das sind wir unseren Studierenden, aber auch unseren Lehrenden schuldig. Denn Didaktik funktioniert dann am besten, wenn Lehrende und Lernende gemeinsam am gleichen Tisch sitzen – und die Uni auch als sozialen Raum erleben. Deshalb ist mir wichtig, dass wir möglichst zur Normalität zurückkehren. Wir werden aber auf jeden Fall sehr vorsichtig sein. Deshalb empfehlen wir nach wie vor das Tragen von Masken. Und wir werden positiv getestete, aber symptomfreie Personen dazu auffordern, zu Hause zu bleiben, bis sie sich frei getestet haben. Und das bedingt, dass wir diesen Studierenden digitale Zusatzangebote machen, damit ihr Studienerfolg nicht beeinträchtigt wird. Das gleiche gilt auch für Risikogruppen. Wir werden also das, was wir an digitalem Know-how gelernt haben, konstruktiv weiter einsetzen und vielleicht auch in der Zukunft stärker ausbauen.

Eine Verpflichtung zu digitaler Lehre wird es aber nicht geben?

Schütze: Nein, aber ich weiß, dass sehr viele Kolleginnen und Kollegen weiter in einem Hybridformat planen, um flexibel reagieren zu können. Generell macht ein digitales Zusatzangebot bei Vorlesungen in großen Hörsälen, wo die Dialogmöglichkeit ohnehin eingeschränkt ist, mehr Sinn als bei einem Seminar, wo es darauf ankommt, dass man sich austauscht.

Nicht wenige haben sich an die Situation einer Fernuni gewöhnt …

Schütze: In bestimmten Veranstaltungen wird man anwesend sein müssen. Und das ist, denke ich, auch zum Wohle der Studierenden. Ich weiß, dass es dazu ganz verschiedene Perspektiven gibt. Es gibt Argumente wie: „Wenn es digital angeboten wird, dann brauche ich gar kein Zimmer in Wien mehr mieten.“ Aber ich glaube die Mehrheit der Studierenden ist sehr froh, wenn sie in die Uni kommen und mit Lehrenden, aber auch mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen am Tisch sitzen können.

Der künftige Uni Wien-Rektor Sebastian Schütze am Dienstag, 27. September 2022.
ORF / Lukas Wieselberg
Schütze an seinem Schreibtisch an der Uni Wien – noch als Dekan der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät

In der Pandemie hat sich wieder einmal gezeigt, dass Österreich vor allem in Sachen Wissenschaftsskepsis top ist – das zeigen entsprechende Umfragen. Wie wollen Sie dem begegnen?

Schütze: Eine Institution wie die Universität Wien muss dafür sorgen, dass möglichst breite Teile der Gesellschaft Wissenschaft ernst nehmen – auch und gerade in Bezug auf eine Pandemie. Gleichzeitig, denke ich, reden wir im Moment vielleicht ein bisschen zu viel über die Wissenschaftsskeptiker und zu wenig über den bei weitem größeren Anteil der Bevölkerung, der den Beitrag der Wissenschaft in der Pandemie sehr geschätzt hat und ihren Hinweisen auch gefolgt ist.

Im internationalen Vergleich ist Österreich dennoch sehr wissenschaftsskeptisch, planen Sie dazu Initiativen oder Schwerpunkte – ähnlich wie vom Bildungsministerium und ÖAW angekündigt?

Schütze: Schwerpunkte haben wir nicht geplant, auch weil ich glaube, dass es keinen Sinn macht, an jeder Ecke ein Debattierforum über Wissenschaftsskepsis einzurichten. Aber es ist uns ein wesentliches Anliegen und wir glauben, dass wir durch das, was wir in der Lehre vermitteln, wie wir mit unseren Studierenden über diese Themen reden, schon einen gewissen Einfluss zumindest auf die nächsten Generationen von hoffentlich sehr viel weniger wissenschaftsskeptischen Bürgern und Bürgerinnen haben.

Haben Sie generell neue Schwerpunkte für die Uni Wien im Sinn?

Schütze: Ja, aber vieles hängt natürlich vom Budget ab. Generell ist es mir wichtig, dass die Universität Wien stärker in Richtung Kooperationen mit Wirtschaft und Industrie geht – was wir auch aufgrund unseres Kanons traditionell weniger tun als zum Beispiel eine Technische Universität. Ich sehe da ein großes Potenzial für eine angewandte Forschung, die man ein vielleicht bisschen anders definiert. Angewandt ist Forschung nicht nur dann, wenn hinterher ein neues Medikament auf dem Tisch liegt oder ein neues Gerät erfunden wird.

Sondern?

Schütze: Ich bringe ein Beispiel aus meinem eigenen Bereich: Als Kunsthistoriker forsche ich, publiziere Ergebnisse in Fachjournalen, aber ich habe in meiner Karriere auch immer darauf geachtet, dass diese Ergebnisse auch in großen Ausstellungen thematisiert werden. Sie sind dann eben nicht mehr für 30 oder 100 Kollegen und Kolleginnen gedacht, sondern auch mal für 50.000, 100.000 oder 200.000 Besucher der Ausstellung. Das ist auch eine Form angewandter Forschung – sie für ein großes Publikum aufzubereiten und zu übersetzen.

Das kann in der Kunstgeschichte sicher gut funktionieren. Die Uni Wien hat aber auch viele Geistes- und Sozialwissenschaften, deren Ergebnisse man vermutlich nicht so leicht aufbereiten kann …

Schütze: Sie haben dennoch ein sehr hohes Potenzial, wenn wir etwa an unsere Beratungsfunktionen für Ministerien denken – zu Themen wie Demokratieverständnis, Antisemitismus usw. Das sind zentrale gesellschaftliche Fragen, und da kann die Universität Wien, wie schon in der Vergangenheit, einen großen Beitrag leisten und auch politische Entscheidungen ein bisschen historisch perspektivieren und in die richtige Richtung lenken.

Der künftige Uni Wien-Rektor Sebastian Schütze am Dienstag, 27. September 2022.
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Wo sehen Sie die konkrete Chance für mehr Kooperation von Geistes- und Sozialwissenschaft und Wirtschaft?

Schütze: Etwa bei Künstlicher Intelligenz (KI). Kollegen von der TU erzählen mir oft, dass bei der Entwicklung von KI-Projekten oft die gesellschaftliche Rahmung fehlt: Die entwickeln was, und dann stellt man hinterher fest, dass das arbeitsrechtlich, moralisch oder ethisch gar nicht machbar oder wünschenswert ist. Da sehe ich ein großes Potenzial für Geistes-, Sozial- und Rechtswissenschaften.

D. h., auch mehr Kooperation mit anderen Unis?

Schütze: Absolut, das ist ein ganz zentraler Aspekt für den doch relativ kleinen Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Österreich. Ihn zu stärken geht vor allem über Kooperationen, besonders in Forschungsbereichen, die extrem teuer sind, wie Quantenphysik oder Molekularbiologie. Das sind die großen Zukunftsthemen, und da gibt es auch schon viel Kooperation. Und das werden wir mit unseren wichtigsten Partnern – Medizinuni, Akademie der Wissenschaften, TU – aber auch mit anderen Bildungsinstitutionen noch verstärken.

Welchen Beitrag könnte die Uni Wien generell bei den Krisen, von denen wir gerade betroffen sind, leisten?

Schütze: Wir sind, wie schon in der Pandemie, immer gerne bereit, dass sich unsere Experten und Expertinnen in bestimmte politische Panels einbringen. Außerdem werden wir dafür sorgen, und tun das zum Teil bereits, dass verschiedene Fachleute aus ganz verschiedenen Fächern an einen Tisch kommen – etwa in einem Forschungsverbund. Themen dafür gibt es genug: die Energiekrise, die Umwelt- und Klimakrise, der Krieg in der Ukraine. Wir leben in einer Zeit kolossaler Verunsicherung. Gerade für die jungen Leute, aber für die Gesellschaft insgesamt, hat die Universität eine große Verantwortung, auch so etwas wie Stabilität zu liefern und Orientierung zu liefern. Die Uni Wien kann diesen Problemen mit einer Vielfalt von Perspektiven begegnen. Die verschiedenen Expertisen, die wir da ganz breit gestreut aus Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften haben, wollen wir noch stärker zusammenzubringen, um gemeinsam an diesen komplexen Problemen zu arbeiten.

Thema Zugangsbeschränkungen für bestimmte Studienfächer: Daran wird immer kritisiert, dass sie tendenziell den Ausschluss von sozioökonomisch benachteiligten Studierenden verstärken. Werden Sie das so beibehalten?

Schütze: Ich denke, dass wir im Moment ein sehr inklusives System haben. In bestimmten Bereichen, wo wir an die Kapazitätsgrenzen von Studienplätzen stoßen, zum Beispiel wenn es um Laborplätze geht oder um Studienrichtungen, in denen die Relation von Lehrenden und Studierenden zu einem Qualitätsverlust führt, haben wir diese Eingangstests eingeführt. Ich habe mir gerade die Ergebnisse dieser Tests für dieses Semester angeschaut: In den allermeisten Fällen wurde niemand ausgeschlossen, sondern es haben nur die, die sich nicht zum Test angemeldet haben oder nicht hingegangen sind, keinen Studienplatz bekommen. Fast alle, die wirklich studieren wollten und sich selbst darüber klar geworden sind, dass sie genau das studieren wollen, haben einen Platz bekommen.

Abschließend eine Frage wieder an den Kunsthistoriker: Sie sind Mitglied im Nationalkomitee zum 300. Todestag von Johann Bernhard Fischer von Erlach, der nächstes Jahr begangen wird. Was ist da zu erwarten?

Schütze: Fischer von Erlach ist der größte Architekt des österreichischen Barocks. Zum Jubiläum wird es im nächsten Jahr verschiedene Ausstellungen, Kongresse und Publikationen geben. Wir haben gedacht, dass es schön wäre, das ein bisschen zu koordinieren, damit wir nicht aneinander vorbei Dinge tun. Deswegen haben wir dieses Nationalkomitee ins Leben gerufen. Ich persönlich habe mit Kollegen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften einen großen Überblicksthemenband zu Fischer von Erlach herausgegeben, der schon jetzt im November erscheint.