Jochen Böhler
VWI/Manfred Huber
VWI/Manfred Huber
Wiener Wiesenthal Institut

Die Pläne des neuen Direktors

Mit Oktober übernimmt der deutsche Historiker Jochen Böhler die Leitung des Wiener Wiesenthal Instituts (VWI). Er ist spezialisiert auf die Geschichte des Antisemitismus in Ost- und Mitteleuropa. Im Interview betont er, dass die Täterforschung weiterhin im Fokus des Instituts stehen wird.

Zu Jochen Böhlers Spezialgebieten zählt die antisemitische Gewaltgeschichte in Ost- und Mitteleuropa ab dem Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Holocaust. Er war viele Jahre am Deutschen Historischen Institut Warschau tätig und zuletzt an der Universität Jena in Deutschland. Sein regionaler Schwerpunkt deckt sich mit dem des Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust Studien (VWI), das 2009 gegründet wurde, konzipiert vom 2005 verstorbenen Holocaust-Überlebenden Simon Wiesenthal. Das Institut verschreibt sich der Erforschung des Holocaust, des Antisemitismus und Rassismus, aber auch der Aufklärung und der NS-Tätergeschichte.

Täterforschung weiter im Fokus

Gerade die Täterforschung sei aber in den letzten Jahren zu kurz gekommen, kritisierte etwa die Israelitische Kultusgemeinde vor einiger Zeit, sie ist eine der zahlreichen Trägerorganisationen. Jochen Böhler sieht das gelassen: “Die Täterforschung steht im Fokus des Instituts und die wird es auch weiterhin bleiben unter meiner Leitung“, so Böhler, und verweist darauf, dass er seine Doktorarbeit über die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht im Jahr 1939 in Polen verfasst habe. „Ich habe darauf auf jeden Fall ein Augenmerk, auch weil ich als Direktor weiterhin vorhabe, dass die Ikone Wiesenthal als unser Patron immer maßgeblich für das sein wird, was wir tun.“ Konkret heiße das, Aufklärung in die Gesellschaft hinein, und die Beschäftigung nicht nur mit dem Holocaust, sondern speziell auch mit den Täterinnen und Tätern des Holocaust.

Aufarbeitung in Österreich

Simon Wiesenthal hat nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche geflohene Nazis aufgespürt, um sie zur Verantwortung zu ziehen. Sein Nachlass ist im Wiener Wiesenthal Archiv und das wiederum im Wiener Wiesenthal Institut untergebracht. Jochen Böhler möchte weiterhin die Geschichte der Vernichtung der Juden in Ost- und Mitteleuropa in den Vordergrund stellen, die Simon Wiesenthal selbst erlebt und überlebt hat. Und auch Österreichs Umgang mit der Geschichte im eigenen Land.

Jochen Böhler
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Jochen Böhler im Interview

„Da muss ich aber auch gleich dazusagen, dass ich natürlich auch mit dem entsprechenden Fingerspitzengefühl hier ans Werk gehen möchte, weil ich nicht den Eindruck erwecken möchte, dass jetzt ein Direktor aus Deutschland kommt, der den Österreicherinnen und Österreichern erzählt, wie man Aufarbeitung macht“, so Jochen Böhler. Er möchte sich vielmehr einfinden in die Arbeit des Teams, die seiner Meinung seit bereits über zehn Jahren hier hervorragend laufe.

Stellungnahmen zu Antisemitismus

Auch zu öffentlichen Statements zum Thema Antisemitismus bleibt Böhler vorerst zurückhaltend, aber bestimmt: „Ich denke, wenn das Wiesenthal Institut sich fast wöchentlich oder täglich zu Wort melden würde, wäre die Stimme auch nicht mehr so viel wert, sondern an entscheidenden wichtigen Punkten. Da denke ich, da sollte das Simon Wiesenthal Institut nicht einfach sich raushalten, sondern sollte dort auch Stellung beziehen."

Dazu gehören für ihn etwa antisemitische Übergriffe, die in den letzten Jahren, auch im Zuge der CoV-Pandemie, stark gestiegen sind. Aber auch Wandschmierereien oder Aufrufe zur Vernichtung des Staates Israel sollten nicht unkommentiert bleiben, so Böhler. Es sei wichtig, in solchen Fällen Stellung zu beziehen. „Einer der Schwerpunkte, die ich auch jetzt in den nächsten Monaten angehen werde, ist, dass wir das Konzept unserer Öffentlichkeitsarbeit noch mal genau anschauen und uns damit auch die Möglichkeit geben, schneller zu reagieren, da wo es notwendig ist“, so Böhler.

Antisemitismus und Israelkritik

Angesprochen auf seine Definition von Antisemitismus erklärt er: „Antisemitismus ist für mich, wenn ich identifizieren kann, dass es sich hier um Äußerungen handelt, die lediglich darauf abzielen, die jüdische Bevölkerung in Misskredit zu bringen“.

Es sei grundsätzlich ein schwieriger Gang zwischen Israelkritik und Antisemitismus. „Ich denke, in dem Fall, wo wir uns von dem Boden einer ganz sachlichen Auseinandersetzung mit der Politik des Staates Israel wegbewegen und uns hinbewegen zu einer Diskreditierung, dann haben wir es ganz klar mit Antisemitismus zu tun“.

Vermittlungsarbeit ausbauen

Als Schwerpunkt sei auch die Vermittlungsarbeit im Fokus. “Wir beschäftigen uns sehr stark mit der Erfahrung der Opfer. Und das ist eine humanitäre Konstante, egal, welchen kulturellen Hintergrund Menschen haben“, so Böhler.

Er wolle möglichst früh bei dieser Vermittlungsarbeit ansetzen, etwa gemeinsam mit Mitgliedern der Israelitischen Kultusgemeinde in die Schulen gehen und auch mit Studierenden zusammenarbeiten. „Ich komme ja selbst aus der universitären Lehre. Meine eigene Erfahrung ist: Sobald man den Holocaust nicht als ein abstraktes Geschehen beschreibt, sondern als das, was er tatsächlich gewesen ist, was Menschen anderen Menschen angetan haben – da hat man die Aufmerksamkeit der Leute. Und dann kann man auch dort, wo es notwendig ist, zeigen, was ein vielleicht unreflektierter Antisemitismus für furchtbare Auswirkungen hat, und so die Leute zum Nachdenken bewegen“.