Sitzreihen im Audi max der Uni Wien vor der Renovierung
APA/Guenter R. Artinger
APA/Guenter R. Artinger
100 Jahre WISO

Wo auch Frauen in den Hörsaal durften

Studieren war früher ganz klar Männersache. Am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien wurde das aber vergleichsweise früh geändert. Damals schon dem Zeitgeist voraus, präsentiert sich das Institut einhundert Jahre später immer noch weltoffen und aufgeschlossen.

Ob und was man studieren darf, hängt heute normalerweise nicht mehr vom eigenen Geschlecht ab. Früher war das anders. Die Universität Wien ist die älteste Universität im deutschen Sprachraum und wurde bereits 1365 gegründet. Erst über 500 Jahre später, im Jahr 1897, wurden Frauen erstmals zum Studium in Österreich zugelassen.

Auch nach 1897 hatten es Frauen an den damals noch ausschließlich von Männern geführten Universitäten und Seminaren nicht leicht. „Viele haben sich lange dagegen gewehrt, Frauen in ihre Hörsäle zu lassen. Am Institut für österreichische Geschichtsforschung hat man zum Beispiel erst in den 1930er-Jahren weibliche Mitglieder aufgenommen“, erklärt die Historikerin Annemarie Steidl gegenüber science.ORF.at.

Die Geschichte des WISO

Zum 100. Jubiläum des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte wird dessen Vergangenheit in einer umfangreichen Ausstellung präsentiert. Ab dem 14. Oktober 2022 ist sie in der Bibliothek der Universität Wien frei zugänglich.

Institut mit Platz für Frauen

Steidl leitet das Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte (WISO) der Universität Wien. Schon seit dessen Gründung im Jahr 1922 – damals als „Seminar für Wirtschafts- und Kulturgeschichte“ – war man dort dem damaligen Zeitgeist voraus. „Einer der Gründe, warum Alfons Dopsch das damalige Seminar errichtet hat, war, dass er Platz für Frauen an den Universitäten schaffen wollte“, erklärt Michael Adelsberger, Dissertant am WISO. Im Rahmen des hundertjährigen Bestehens hat sich Adelsberger intensiv mit der Geschichte des Instituts auseinandergesetzt.

Mit der Förderung des Frauenstudiums ist Dopsch lange aber auch auf Widerstand gestoßen. Dass er, anders als zahlreiche seiner damaligen Kollegen, das Wissen von Frauen aber tatsächlich wertschätzte, zeigte Dopsch schon bei Wahl seines beruflichen Umfelds. Mit der Gründung des Seminars verbunden hat der Historiker beim Ministerium auch eine einzige Mitarbeiterinnenstelle verhandelt und Erna Patzelt eingestellt.

Patzelts Einfluss am Seminar

Patzelt war wesentlich am Aufbau des Seminars beteiligt. Sie selbst war im Jahr 1925 auch die erste Frau in Österreich, die sich in Geschichte habilitiert hat. „Und das zu einer Zeit, als am Institut für österreichische Geschichtsforschung Frauen noch nicht einmal richtig zum Studium zugelassen waren“, gibt Adelsberger zu bedenken. Als Historikerin war sie auch international unterwegs und gab Vorträge in verschiedenen Ländern. Auch Dopsch war viel auf Reisen, zusammen mit Patzelt machte er das Seminar so im Ausland bekannt.

Historikerin Erna Patzelt, ca. 1958
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien
Historikerin Erna Patzelt circa 1958

Patzelt erhielt außerdem die Erlaubnis, Lehrveranstaltungen abzuhalten. Dass das trotz der vergleichsweise offenen Haltung am Institut eher unüblich war, belegen alte Vorlesungsverzeichnisse. „Darin sieht man, dass alle Lehrpersonen – das waren ja ausschließlich Männer – nur mit dem Nachnamen und einem mit Initialen abgekürzten Vornamen aufgelistet sind – außer Erna Patzelt“, erklärt Adelsberger. Der komplett ausgeschriebene Name von Patzelt könnte dabei als eine Art Warnung für die Studierenden gedacht sein – „Achtung, hier studierst du bei einer Frau.“

Offen für alle – mit Einschränkungen

Durch Patzelts Einfluss und die generellen Bemühungen von Dopsch war der Frauenanteil unter den Studierenden am Seminar schon früh vergleichsweise hoch. Das äußert sich unter anderem darin, dass von 117 Dissertationen, die Dopsch zwischen 1922 und 1937 betreute, 54 von Frauen verfasst wurden. Steidl: „Es gab damals einfach sehr viele junge und interessierte Frauen, die auch Dinge wie Geschichte oder sogar Wirtschaftsgeschichte studieren wollten. Dieses Potential hat Dopsch erkannt, während man sich an anderen Instituten gegen die Studentinnen gewehrt hat.“

Erna Patzelt, ca. 1958, mit Studierenden am Institut vor dem Porträt des Institutsgründers Alfons Dopsch
Otto Plettenbacher
Erna Patzelt, ca. 1958, mit Studierenden am Institut vor dem Porträt des Institutsgründers Alfons Dopsch

Durch das internationale Interesse, das Dopsch und Patzelt auf das Seminar gelenkt haben, waren unter den Studierenden auch schon früh Personen aus dem Ausland und solche mit unterschiedlichen politischen Meinungen. Das Seminar präsentierte sich unter Dopsch sehr weltoffen, Zutritt zu den Hörsälen bekamen dennoch nicht alle. „Das muss man natürlich auch im Kontext der damaligen Zeit sehen, aber die Studienplätze unter Dopsch und Patzelt waren ganz klar der bürgerlichen Elite vorbehalten“, erklärt Steidl. Das Studium kostete Geld – vor allem junge Frauen aus der Arbeiterklasse konnten sich das nicht leisten.

Lückenhafte Institutsgeschichte

Im Jahr 1936 wurde Dopsch schließlich mit 68 Jahren zwangspensioniert. Die Hintergründe dafür sind laut Adelsberger heute nichtmehr ganz klar: „Es könnte damit zu tun haben, dass Dopsch eine Zeit lang klar deutschnational eingestellt war, was nicht zur damaligen Stimmung in Österreich gepasst hat. Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass die Pensionierung einfach mit persönlichen Unstimmigkeiten mit Kollegen zu tun hatte.“ Klar sei jedenfalls: „Laut den noch erhaltenen Berichten über Dopsch war er nicht der Umgänglichste. Er wird oft als angriffig und kritisch beschrieben – persönliche Differenzen zu anderen Professoren gab es deswegen auf jeden Fall“, so Adelsberger.

Nach der Pensionierung von Dopsch wurde das Seminar in andere Bereiche der Universität Wien eingegliedert und verlor den Status als eigenständige Institution. Erst nach dem zweiten Weltkrieg versuchte Patzelt aus Eigenregie, es wieder zu einer solchen zu machen. Unterstützt wurde sie dabei von der späteren SPÖ-Politikerin und Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg. Firnberg selbst hatte unter Dopsch studiert.

Alfred Hoffmann (vorne) mit Sekretärin Rosalia Hohäusel, Michael Mitterauer und Alois Mosser anlässlich des 60. Geburtstags von Hoffmann
Alois Mosser
Alfred Hoffmann (vorne) mit Sekretärin Rosina Zacek, Michael Mitterauer und Alois Mosser

Vom Seminar zum Institut

Patzelt, die selbst eher als unangenehme und intrigante Person beschrieben wurde, leitete das Seminar schließlich bis 1959, zuletzt als „außerordentlicher Professor“. Zwei Jahre später erhielt es dann seinen heutigen Namen „Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte“. Auf den Lehrstuhl wurde der Dopsch-Schüler Alfred Hoffmann berufen. Hoffmanns erster Assistent war Michael Mitterauer, der sich Zeit seines Lebens vor allem mit der Geschichte der „kleinen Lebenswelten“, der Menschen und des Alltags auseinandergesetzt hat.

Auch in anderen Bereichen war man am WISO dem österreichischen Zeitgeist voraus. „Wir hatten zum Beispiel die erste Professur für Fachdidaktik an der Uni Wien“, erklärt Steidl. Die Ausbildung von Lehrpersonen war demnach immer schon eine wichtige Komponente am Institut – heute ist eine pädagogische Ausbildung fast überall gang und gäbe.

Unter Hoffmann und Mitterauer wurde die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Institut deutlich erhöht. Die dort behandelten Themen gewannen in den 70er- und 80er-Jahren außerdem zusätzlich an Popularität. Steidl: „Plötzlich tauchen neue Themen und Methoden auf, es entsteht eine Sozialgeschichte, es entsteht eine Frauen- und Geschlechtergeschichte – all diese neuen Ansätze waren sehr stark am WISO verankert. Das hat es damals für viele natürlich sehr attraktiv gemacht.“

WISO – einhundert Jahre später

Heute – einhundert Jahre nach dessen Gründung – sind am WISO knapp vierzig Personen beschäftigt. Steidl, die aktuelle Leiterin des Instituts, beschreibt es immer noch als eine sehr aufgeschlossene Institution mit flachen Hierarchien. Anders als in den Jahren nach der Gründung stehen die Hörsäle heute auch nicht mehr nur für Besserverdienende offen. Steidl: „Bei uns machen auch sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Karriere, die eigentlich eher aus bildungsfernen Schichten kommen.“

Auch fachlich sei man am Institut immer noch breit aufgestellt. „Wir versuchen uns sehr stark an den wichtigen Themen der Zeit abzuarbeiten“, meint Steidl. Das beinhalte unter anderem Themen wie die Geschichte der Arbeiterinnen, Agrargeschichte, Kulturgeschichte aber auch zum Beispiel Global- und Migrationsgeschichte.