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Tiko – stock.adobe.com
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Neuer Therapieansatz

Boxen gegen Parkinson

Dass Boxen gegen Parkinson helfen soll, klingt erst einmal unlogisch – denn Schläge auf den Kopf erhöhen das Risiko von Gehirnschäden. Dennoch kämpft eine Neurologin vom Wiener AKH derzeit um Mittel für eine großangelegte Studie. Schläge stehen dabei freilich nicht auf dem Programm, sondern Training von Körper und Koordination.

Heidemarie Zach, Neurologin an der Universitätsklinik am Wiener AKH, lässt zwar nicht die Fäuste sprechen – doch sie setzt sich dafür ein, dass möglichst bald andere genau das tun können, und zwar im Rahmen einer Studie für Menschen mit Parkinson. „Boxen fördert das Selbstvertrauen und auch die Selbstwirksamkeit. Sodass man quasi sagen kann: Ich selbst schlage Parkinson“, erklärt Zach, die in einer anderen Studie bereits zeigen konnte, welche positiven Effekte Klettern auf den Parkinsonverlauf haben kann.

Boxen fördert körperliche wie geistige Fitness

Beim Boxen erwartet sich die Neurologin mitunter sogar noch bessere Resultate. Zittern, Steifigkeit, Bewegungsstörungen und Apathie sind klassische Parkinsonsymptome. Genau dagegen könne man mit Boxen besonders gut ankämpfen. Denn diese Sportart fordere und fördere wie kaum eine andere.

„Erstens ist es ein Ganzkörpertraining, das auf die Hand- und Beinkoordination abzielt und zusätzlich auch die Augenkoordination trainiert, weil man ja seinen Schlag genau planen muss. Und zweitens muss man auch schnell reagieren. So haben die Patienten eigentlich gar nicht die Zeit, darüber nachzudenken: ‚Oh, das ist jetzt aber mühsam‘ oder ‚Ich bin jetzt müde‘, sondern sie kommen in einen richtigen Flow“, sagt Zach.

Beim Boxen wird Kraft und Ausdauer trainiert. Die sich ständig ändernden Arm- und Schrittabfolgen und die abverlangte Reaktionsschnelligkeit bringen Geist wie Körper auf Trab. Dabei werden auch die beiden Gehirnhälften miteinander vernetzt.

Dopamin als Schlüsselhormon

Die Neurologin ist überzeugt: Boxen helfe nicht nur gegen die körperlichen Folgen der Erkrankung, es verbessere auch das psychische Wohlbefinden. Und das wiederum wirke sich positiv auf den Krankheitsverlauf aus. Denn Physis und Psyche bedingen sich gegenseitig. Das gilt besonders für Parkinson. Bei dieser neurodegenerativen Erkrankung, die meist im Alter auftritt, gehen unter anderem dopaminproduzierende Gehirnzellen zugrunde.

Dopamin gilt als „Glückshormon“, spielt aber auch bei der Feinmotorik eine Rolle. Sprach- und Bewegungsfähigkeiten, Wohlbefinden, Motivation – das alles kann bei Parkinson stark beeinträchtigt sein. „Deswegen tendieren Betroffene oft dazu, dass sie zu Hause bleiben, weil sie zum Beispiel nicht gut oder nur leise sprechen können und sich daher in größeren Gruppen eher schwertun“, so Zach. Zudem gebe es Studien, die zeigen, dass bei Patientinnen und Patienten, die sich „zu Hause einbunkern“, die Motorik schlechter wird.

Und genau hier kommt wieder das „Glückshormon“ Dopamin ins Spiel. Dieses wird unter anderem ausgestoßen, wenn wir uns verlieben, Sex haben, aber auch wenn wir Menschen treffen, die wir mögen und Dinge tun, die uns Spaß machen. Eine weitere Tätigkeit regt die Dopaminproduktion besonders gut an: Sport.

Durch Sport wächst unser Gehirn

Beim Boxen gehe es aber nicht nur um Dopamin, erklärt Zach. Immer, wenn wir Bewegungsmuster erlernen, entstehen neue Nervenverbindungen in unserem Gehirn. Bei Ausdauersport bildet sich zusätzlich ein Protein, das das Volumen des Hippocampus – also der Gedächtniszentrale – anwachsen lässt und kognitive Leistungen verbessert: der Brain-Derived-Neurotrophic-Factor (BDNF). Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass dadurch Nervenzellen besser vor degenerativen Prozessen geschützt sind. Der BDNF kann also sowohl den Verlauf von Parkinson als auch von anderen neurologischen Erkrankungen – wie etwa Demenz – positiv beeinflussen.

All das zusammen fördert die Neuroplastizität: Das Gehirn kann sich derart umbauen, dass neue Regionen jene Aufgaben übernehmen, die zuvor Nervenzellen innehatten, die aufgrund der Erkrankung zugrunde gingen.

Muhammad Alis Parkinsonerkrankung

Dieser positive Mix sei der Grund für ihre Studie, sagt Zach. Boxen habe zu Unrecht einen schlechten Ruf. Zwar werde beispielsweise bei dem ehemaligen Profiboxer Muhammad Ali vermutet, dass seine Parkinsonerkrankung im Ring entstanden sei, doch dafür seien wohl die Schläge auf seinen Kopf verantwortlich gewesen – nicht der Sport an sich.

In ihrer Studie würden sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch nicht gegenseitig schlagen, sondern gezielt auf Boxsäcke und Schlagpolster, auch Pratzen genannt, hauen. „Es besteht keinerlei Gefahr für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Sie werden Boxhandschuhe tragen, und sowohl die Pratzen als auch die Sandsäcke sind gepolstert. Es kann und soll jeder in der Intensität boxen, in der er will. Man muss nicht auf den Boxsack eindreschen, sondern kann ihn auch nur anstupsen.“ Die Beteiligten sollen ermutigt werden, sich wieder mehr Bewegungen und körperliche Stärke zuzutrauen.

„Dabei soll auch geschrien werden“, schildert Zach, fügt aber sogleich hinzu: „Das soll nicht bedeuten, dass der Trainer sie anschreit, sondern dass sie sich mit lauten Rufen selbst, aber auch gegenseitig motivieren.“ Menschen mit Parkinson verlieren oft ihre Stimme – im wahrsten Sinne des Wortes. Auch die Stimmmuskulatur kann geschwächt sein, im Fachjargon nennt sich das Hypophonie.

Die Studie soll über zwölf Wochen laufen und interdisziplinär angelegt sein. Neben Zach als ärztlicher Leiterin sind auch eine entsprechend geschulte Physiotherapeutin und ein Boxtrainer mit an Bord. Die Probandinnen und Probanden sollen einmal in der Woche für 55 Minuten Jabs, Uppercuts und andere Boxmoves üben. Zusätzlich plant Zach, einen Livestream einzurichten: „So können auch Menschen von zu Hause aus teilnehmen.“

Boxen verringert Sturzgefahr

Andere Forschungsprojekte hätten bereits vielversprechende Resultate erzielt. So hat etwa eine im August 2021 im „BMC Neurology Journal“ erschienene Längsschnittstudie ergeben, dass regelmäßiges Boxtraining die parkinsonbedingte Sturzgefahr um 87 Prozent senken kann. Ein weiteres Resultat: Der Lockdown hat sich negativ auf die Sturzhäufigkeit ausgewirkt. Isolation ist schlecht für Psyche, Körper und Krankheitsverlauf – auch, aber nicht nur bei Parkinson.

Hinweis

Sind Sie als Patient oder Patientin an einer Teilnahme an der Studie interessiert, können Sie sich per E-Mail an Heidemarie Zach wenden.

Heidemarie Zach plant, ihre Studie umfassender anzulegen. Der Gesundheitszustand mitsamt aller Symptome soll vor und nach der Studie ausführlich gemessen, und die Resultate dann miteinander verglichen werden. Zusätzlich will die Neurologin die BDNF-Konzentration im Blut messen und auf MRT-Bildern zeigen, wie sich Boxen auf das Gehirn von Parkinsonpatienten auswirkt.

„Sporttherapien via Krankenschein“

In dieser Breite wäre es die erste derartige Studie weltweit. Das alles könnte Fortschritte in der Behandlung bringen und die Lebensqualität Betroffener stark verbessern. Denn für Parkinson gibt es bis heute keine Heilung. „Mein Wunsch wäre natürlich, dass Sporttherapien wie Boxen, aber auch Klettern via Krankenschein angeboten werden können“, sagt Zach.

Bis dahin liege aber noch ein langer Weg vor uns. Zunächst brauche ihre Studie das nötige Budget. Die Neurologin ist derzeit noch auf der Suche nach Spenderinnen und Spendern. Sportstudien seien um einiges schwieriger zu finanzieren als Medikamentenforschung. „Das ist leider immer die Frage: wer, wann, was sponsert. Wenn es eine nicht pharmakologische Studie ist, ist das ungemein herausfordernder, weil keine große Pharmaindustrie dahinter steht.“