Blick in die  Stopfenreuther-Au im Nationalpark Donau-Auen
APA/ROBERT JAEGER
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Mammutprojekt

Alle Lebensräume der Erde katalogisiert

Weltweit werden durch intensive Landnutzung, Verbauung, Klimawandel und übermäßige Düngung immer mehr Lebensräume zerstört. Um intakte Natur und Artenvielfalt zu schützen, muss man sie erst genau kennen. Ein großes internationales Forschungsteam mit österreichischer Beteiligung hat nun erstmals die weltweite Vielfalt der Lebensräume klassifiziert.

Mit diesem Katalog wollen sie eine Grundlage für den besseren Schutz von Lebensräumen schaffen, berichten sie im Fachjournal „Nature".

Die Erde besitzt eine überwältigende Vielfalt an Lebensräumen. Diese reicht vom Tiefseebereich und Korallenriffen über tropische Regenwälder, Savannen und Wüsten bis zu alpinen Wiesen, Gletschern oder Grundwasser-Ökosystemen. "Lebensräume sind das ökologische Rückgrat einer intakten Natur“, erklärte Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien, der an der Studie mitgearbeitet hat.

Allerdings gibt es noch ein Wissensdefizit darüber, wie sehr die verschiedenen Lebensräume gefährdet sind. „Hauptgrund dafür ist, dass es immens schwierig ist, die gesamte Vielfalt der weltweit vorkommenden Lebensräume von der Tiefsee bis zu den höchsten Gipfeln einheitlich zu beschreiben“, so Essl. Daher fehlte bisher auch ein umfassendes, wissenschaftliches Klassifizierungssystem dafür.

Mehrjährige Arbeit

Ein mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler umfassendes internationales Team um David Keith von der University of New South Wales in Australien hat sich dieser Mammutaufgabe angenommen und in mehrjähriger Arbeit einen Katalog der Lebensräume vorgelegt. In einer hierarchischen Gliederung werden diese anhand der wichtigsten Merkmale und Prozesse beschrieben und gegeneinander abgegrenzt. „Moore etwa zeichnen sich durch einen extrem hohen Grundwasserstand, Nährstoffarmut und dem daraus resultierenden Fehlen von Bäumen aus“, gibt Essl ein Beispiel für die Merkmale zur Beschreibung des Lebensraums Moor.

So entstand ein Katalog mit zehn „Reichen“ (z. B. Süßwasser, Terrestrisch, etc.), 25 „Ökosystemen“ (z. B. Seen, Küsten, Tropische und subtropische Wälder, etc.) und „funktionellen Gruppen des Ökosystems“ (z. B. Gezeitenwälder, tropische alpine Wiesen, unterirdische Seen und Flüsse, etc.). „Dieser typologische Überbau ist konsistent und vergleichbar, eine feinere Ausarbeitung der Typologie kann dann auf regionaler Ebene – etwa national – erfolgen, etwa für Schutzmaßnahmen“, sagte Essl zur APA.

Der Sinn einer solchen Typologie erschließt sich im Vergleich mit dem Artenschutz: So wie man eine Art überhaupt erst kennen muss, um ihren Gefährdungsstatus einzuschätzen, muss man auch einen bestimmten Lebensraum identifizieren können, um seinen Zustand abzuschätzen und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. So ermöglicht die Klassifizierung, erstmals eine globale Rote Liste von Lebensräumen zu erstellen.

Österreich „muss deutlich mehr leisten“

Für Essl und seine Kolleginnen und Kollegen ist der neue Katalog eine wesentliche Grundlage für den besseren Schutz von Lebensräumen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verweisen in diesem Zusammenhang auf die politische Diskussion, den Anteil der Schutzgebiete auf 30 Prozent der Landesfläche bis 2030 auszuweiten, um der Biodiversitätskrise Einhalt zu gebieten. Damit neue Schutzgebiete wirken, sei es nötig zu wissen, wo besonders gefährdete Lebensräume überhaupt noch vorkommen.

Hier sieht Essl auch Handlungsbedarf für Österreich, das „deutlich mehr als bisher für den Schutz der Lebensraumvielfalt leisten muss“. Angesichts einer Überlagerung von Schutzgebietskategorien und der Tatsache, dass manche Zonen wie etwa Landschaftsschutzgebiete keinen effektiven Schutz bedeuten, könne man keine Angaben über die genaue Größe der geschützten Fläche in Österreich machen. Sie liege jedenfalls „deutlich unter den angepeilten 30 Prozent“, so Essl, nach dessen vorsichtiger Schätzung hierzulande nur 22 Prozent der Fläche geschützt sind.

Notwendig wäre nach Ansicht Essls eine nationale Kraftanstrengung, etwa im Rahmen der vom Österreichischen Biodiversitätsrat seit Jahren geforderten Biodiversitätsmilliarde. Denn es gebe immer noch zu wenig Geld für Land- und Forstwirte, um den Schutz gefährdeter Lebensräume zu sichern und damit auch für Grundbesitzer attraktiv zu machen.