Videospiel, Computerspiel, Pong
Oleksandr – stock.adobe.com
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Studie

Nervenzellen „spielen“ Computerspiel

Nervenzellen können außerhalb des Körpers – verbunden mit einem Computer – Informationen verarbeiten und lernen. Das beschreibt ein australisches Forschungsteam in einer Studie. So ließen sie Gehirnzellen etwa das Computerspiel „Pong“ spielen.

Menschen, die komplexe Rechenaufgaben lösen, eine Krake, die Schraubverschlüsse öffnet und Nervenzellen, die virtuell Tennis spielen. Ist das schon Intelligenz?

Die Antwort ist unbefriedigend: Denn Intelligenz ist Auslegungssache. „Das Vorhandensein und Nichtvorhandensein von Intelligenz ist nicht besonders genau definiert. Intelligenz ist eine Eigenschaft, die wir uns selbst zuschreiben. Eine Fliege kann auch sehr intelligente Dinge tun, gemeinhin würde man sie aber nicht als besonders intelligent bezeichnen“, sagt Jürgen Knoblich, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für molekulare Biotechnologie der österreichischen Akademie der Wissenschaft.

„Intelligenz ist die Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und dann auf ein Ziel hinzuarbeiten“, so Knoblich. Diese Erklärung könnte dazu verleiten, auch „Pong“-spielenden Nervenzellen eine sehr rudimentäre Form von Intelligenz zuzuschreiben. Ganz so einfach ist es aber nicht.

Versuch mit Computerspiel aus den Siebzigern

Im Fachmagazin „Neuron“ haben australische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eine Studie veröffentlicht, in der sie untersuchten, inwieweit Nervenzellen außerhalb des Körpers Informationen verarbeiten und lernen können.

Das Forschungsteam des Start-up-Unternehmens Cortical Labs aus Melbourne möchte biologische Computerchips entwickeln. Diese sollen sich selbst neu organisieren können, um Probleme zu lösen. Das ähnelt dem Gedanken hinter künstlicher Intelligenz: Es wird versucht, Entscheidungsstrukturen des Menschen nachzubilden und Computer so zu programmieren, dass sie relativ eigenständig Probleme bearbeiten.

Das Video zeigt das Spiel „Pong“ – kontrolliert von Nervenzellen

Für die Studie hat das Forschungsteam Nervenzellen von Menschen und Mäusen auf einer speziellen Platte angebracht. Durch die Platte können neuronale Signale aufgenommen und abgegeben werden. Sie dient damit als Schnittstelle zwischen den Nervenzellen und elektronischen Schaltungen. So konnten die Forschenden die Nervenzellen mit ihrer für den Versuch angepassten Version von „Pong“ verbinden.

„Pong“ ist ein beliebtes Videospiel aus den 1970ern. Bei dem Tennis-ähnlichen Spiel muss ein Ball – ein weißer Punkt – mit einem Schläger – einem weißen Strich – abgefangen werden. Trifft man den Ball, prallt dieser ab und wird zurück auf die gegnerische Seite gespielt. Verfehlt man den Ball, bekommt der Gegner einen Punkt.

Signale übermitteln Position des Balls

Für den Versuch wurde die Platte in zwei Regionen unterteilt: einen Bereich zum Senden (Input) und einen Bereich zum Empfangen (Output) von Signalen. Über den Inputbereich signalisierten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen den Nervenzellen, wo auf dem Spielfeld sich der Ball befindet. Dafür sendeten sie an entsprechenden Stellen der Platte elektrische Signale aus. Die Frequenz der Signale zeigte an, wie nahe sich der Ball am Schläger der Nervenzellen befand.

Im Outputbereich wurde die Aktivität der Nervenzellen gemessen. Dieser Bereich war ebenfalls in zwei Regionen unterteilt. Ein Bereich für „den Schläger nach unten bewegen“ und ein Bereich für „den Schläger nach oben bewegen“. Je nachdem in welcher Region die Nervenzellen aktiver waren, bewegte sich der Schläger nach oben oder unten.

Nervenzellen verarbeiten Informationen

Zusätzlich bauten die Studienautorinnen und -autoren eine Feedbackschleife in ihren Versuch ein, die den Zellen signalisierte, ob sie den Ball getroffen haben oder nicht. Wurde der Ball erfolgreich zurückgeschlagen, wurden die Neuronen mit einem „vorhersehbaren Reiz“ stimuliert. Verfehlte der Schläger den Ball, wurden die Zellen mit einem „unvorhersehbaren Reiz“ stimuliert. Vorhersehbar heißt, über alle Elektroden im Inputbereich wurde gleichzeitig und immer gleichlang ein elektrisches Signal gesendet. Bei dem unvorhersehbaren Reiz hingegen wurde das Signal per Zufall über die Elektroden gesendet und auch die Länge war unregelmäßig.

Nervenzellen
Cortical Labs
Nervenzellen unter dem Mikroskop

Die Ergebnisse der Studie zeigen: Die Nervenzellen können sich nach einiger Zeit selbst organisieren und mit dem Schläger den Ball abwehren. Sie passen ihre Aktivität ihrer sich verändernden Umgebung in einer zielorientierten Weise an. „Die Nervenzellen sind dazu in der Lage, auf eine primitive Art zu lernen. Das kann allerdings auch ein Computernetzwerk. Bei einem Computernetzwerk käme aber niemand auf die Idee, das als intelligent zu bezeichnen“, betont Knoblich.

Für andere Forschungsbereiche interessant

„Technisch ist die Arbeit gar nicht schlecht. Man sieht, dass man Nervenzellen auf eine Art und Weise zusammenbringen kann, dass sie eine Rechenleistung erbringen und dass sie Dinge tun, die auch ein Computer kann“, erklärt Knoblich und stellt klar: „Was ich problematisch finde, ist, dass in der Arbeit von Intelligenz und Empfindungsvermögen gesprochen wird. Davon sind wir meiner Meinung nach sehr weit weg. Die Sprache versucht die Arbeit zu vermenschlichen. Das hätte man vermeiden können.“

Knoblich sieht in der Verbindung von Computerchips und Nervenzellkulturen noch nicht die Computer der Zukunft. Potenzial für Technologien wie diese sieht er eher in der Erforschung von kognitiven Störungen – beispielsweise indem an der Zellkultur ausprobiert wird, wie bestimmte Medikamente wirken.