Vor 100 Jahren wurde der österreichische Saatgutforscher Erwin Mayr damit beauftragt, Getreide aus den Alpentälern zu sammeln und zu züchten, um so die Ernährungsgrundlage der österreichischen Bevölkerung zu verbessern. „Diese Mayr-Sortimente waren der Ausgangspunkt für die heutige Tiroler Genbank“, erklärt ihr aktueller Leiter, Christian Partl, gegenüber science.ORF.at. Mit ihren 100 Jahren zählt die Tiroler Genbank zu den ältesten Institutionen dieser Art weltweit – zusammen mit jener in St. Petersburg.
Heute lagern in Tirol knapp 1.100 alte Saatgutsorten aus dem Alpenraum. Dazu gehören rund 700 Sorten Getreide, aber auch Kartoffeln, Bohnen oder Erbsen finden sich in der Sammlung. Außerdem werden unter anderem 400 verschiedene Tiroler Apfelsorten mit einigem Aufwand erhalten.

Genschatz in alten Sorten
Jede der alten Saatgutsorten hat laut Partl eigene Besonderheiten. Einige davon, wie etwa die Fisser Imperialgerste, können besser mit Trockenheit umgehen, andere sind hitzeresistenter.
Auch an bestimmte Pflanzenkrankheiten und Schädlinge konnten sich ein paar der Sorten anpassen. Vor allem gegen jene Krankheitserreger, die schon lange im Alpenraum vorkommen, sind sie oft gut geschützt. Dazu gehört etwa Steiners Roter Tiroler Dinkel. Er ist besonders widerstandsfähig gegen Gelbrost, der durch Pilze ausgelöst wird.
Die große genetische Vielfalt in der Sammlung der Tiroler Genbank schafft laut Partl auch einige Möglichkeiten: „Diese große Biodiversität beinhaltet Eigenschaften, die für die moderne Pflanzenzüchtung sehr interessant sind – sei es im Bereich der Resistenzzüchtung oder wenn es um die Anpassung an die Klimaerwärmung geht.“
Gegen klimabedingte Ernteausfälle
Da die alten Sorten von immer ertragreicherem Saatgut verdrängt wurden, gibt es in der heutigen Landwirtschaft nur noch sehr wenig Vielfalt. „Die meisten weltweit genutzten Brotweizensorten gehen auf nur sieben Mutterlinien von Manitoba-Weizen aus Nordamerika zurück“, erklärt Partl. Wenn sich die Bedingungen für diese Getreidesorten zum Beispiel durch die Klimaerwärmung verschlechtern, könnte das weitreichenden Folgen für die Landwirtschaft haben.
Ein zentraler Fokus der Tiroler Genbank ist es daher, die Vorteile der alten Sorten für die Forschung bereitzustellen und sie so eventuell auch in der modernen Landwirtschaft zu nutzen. Zusammen mit der Universität Innsbruck wird daher zum Beispiel bald genauer erforscht, wie alte und moderne Getreidesorten tatsächlich mit Trockenheit zurechtkommen. Die resistenteren Sorten könnten dann etwa mit solchen kombiniert werden, die mehr Erträge bringen. Das könnte klimabedingte Ernteausfälle in Zukunft deutlich minimieren.
Regionale Sorten wieder im Kommen
Neben der Kreuzung mit modernen Sorten will man in der Tiroler Genbank auch die alten Sorten selbst wieder ins Rampenlicht rücken. Immerhin sind sie die Grundlage vieler regionaler Spezialitäten des Alpenraums. Partl freut es daher sehr, dass die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe, die alte Landsorten anbauen, wieder ansteigt. Aus der Fisser Imperialgerste wird zum Beispiel Bier gebraut und Whisky gebrannt und auch Brot aus Steiners Rotem Tiroler Dinkel gewinnt wieder an Beliebtheit.

Umdenken gefordert
Auch wenn die Zahl der Ernteausfälle durch die alten Landgutsorten gesenkt werden kann, sei Pflanzenzüchtung nur ein Teil der Lösung für die weltweiten Ernährungsprobleme. „Solange wir immer noch 30 Prozent der Lebensmittel wegwerfen – solange kann die Pflanzenzüchtung wohl einen Teil beitragen – sie ist aber sicher nicht die große Lösung des Problems, und sicher nicht die einzige“, so Partl. Wichtiger als hitzeresistenteres Saatgut sei daher ein Umdenken in den Menschen selbst und eine Änderung des oft verschwenderischen Lebensstils.