Auf einer Fläche von rund 170 m² wurde eine kleinteilige Verbauung bestehend aus mehreren Geschäftslokalen freigelegt.
ÖAW-ÖAI/Niki Gail
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Ephesos

Frühbyzantinisches Geschäftsviertel entdeckt

Archäologinnen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist ein Sensationsfund gelungen: Unter einer Rußschicht entdeckten sie ein frühbyzantinisches Geschäfts- und Lokalviertel. Es wirke, als wäre das Leben vor 1.400 Jahren von einem Moment auf den anderen eingefroren.

Den Menschen schien es gut zu gehen in diesem Lokal- und Geschäftsviertel im frühbyzantinischen Ephesos. Die Archäologen fanden eine Vorratskammer, eine Garküche, eine Taverne, ein Lampengeschäft, eine Werkstätte, gut erhalten mitsamt Inventar. Die kleinteilige Verbauung verteilt sich auf einer Fläche von rund 170 Quadratmetern.

Im Lagerraum lagen die Gegenstände übereinander, sodass Regalwände rekonstruiert werden können. Andere Gefäße waren in großen Schüsseln gelagert, wie zahlreiche kleine Krüge.
ÖAW-ÖAI/Niki Gail
In einem Lagerraum lagen die Gegenstände übereinander, sodass Regalwände rekonstruiert werden können. Andere Gefäße waren in großen Schüsseln gelagert, wie zahlreiche kleine Krüge.

Alles deutet auf einen plötzlichen, schweren Brandanschlag hin. Der Ruß fror einen bestimmten Tag im Jahr 614 oder 615 ein, erklärt die Archäologin Sabine Ladstätter von der ÖAW, Ausgrabungsleiterin in Ephesos: „Das Feuer muss extrem stark gewesen sein“. Der Luftabschluss müsse sehr schnell stattgefunden haben, sodass die Bronzegefäße beispielsweise zwar große Rußspuren zeigten, aber nicht deformiert seien, ebenso die Glasgefäße.

TV-Hinweis

Am Samstag, den 29.10. um 17.30 Uhr zeigt ORF 2 die Dokumentation „Ephesos – Eine antike Weltstadt“. Der Film gibt Einblicke in die bewegte Geschichte der einstigen antiken Metropole und in die neuesten archäologischen Funde der Grabungssaison 2022.

Essen und Münzen verraten Zeitpunkt

Unter einem halben Meter Rußschicht fand man im Ganzen erhaltene Schüsseln mit Resten von Muscheln, auch eingesalzene Makrelen, verkohlte Kichererbsen und Pfirsichkerne. Das vorhandene Obst könnte Aufschluss über die Saison geben, in der der Brand stattgefunden hat. „Was für uns sensationell war: wir haben auch eine Geschäftskasse mit über 400 Bronzemünzen gefunden“, erzählt Sabine Ladstätter. Insgesamt wurden im Stadtteil rund 2.000 Münzen gefunden, darunter auch vier Goldmünzen, sie geben Aufschluss über den exakten Zerstörungszeitpunkt, nämlich das Jahr 614 oder 615 nach Christus.

„Auf den Münzen steht auf der Rückseite die Regierungszeit des jeweiligen Herrschers. Es handelt sich hier um den byzantinischen Kaiser Heraklius. Und daher wissen wir ganz genau, wann diese Häuser zerstört wurden“, erklärt Sabine Ladstätter.

Sasaniden-Überfall sehr wahrscheinlich

Als Grund für den Brand vermuten die Forscherinnen einen Überfall der persischen Sasaniden. Pfeil und Lanzenspitzen deuten auf einen kriegerischen Konflikt hin. Man weiß bereits, dass zu dieser Zeit Sasaniden gezielt versuchten, in der Region Infrastruktur zu zerstören.

Das Österreichische Archäologische Institut (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gräbt seit 1895 in Ephesos in der Nähe von Selcuk in der Westtürkei. Die Stadt besaß mit dem Heiligtum der Artemis eines der Sieben Weltwunder der Antike. Ihre erste Blüte erlebte sie unter den Griechen, die Römer machten sie zur Metropole, und für die Christen war sie Ziel der ersten Wallfahrten.

„Ephesos hat ja einen der wichtigsten Häfen des Byzantinischen Reiches. Es liegt also daher sehr nahe, dass Ephesus ein wichtiges Ziel war", so Sabine Ladstätter. Vermutungen darüber gibt es auch bereits in der historischen byzantinischen Literatur, doch in der Wissenschaft war die These vom Sasaniden-Einfall bisher umstritten. Belegt war nur, dass die Stadt im 7. Jahrhundert plötzlich schrumpfte und der Lebensstandard deutlich sank.

Einblick in Alltagsleben

Die neue Ausgrabung könnte das fehlende Puzzlestück sein, dass die Beweislage hinsichtlich der Sassaniden nun verdichtet. Mit den bisherigen Grabungen könnte man einerseits belegen, dass dieser Sasaniden-Einfall in Ephesus tatsächlich stattgefunden habe. Auf der anderen Seite bekomme man auch einen Einblick in die Lebenswelt der Menschen im frühen 7. Jahrhundert, der einzigartig sei.

In einem der Geschäftsräume wurden zahlreiche Öllampen ausgegraben. Sie wurden gemeinsam mit Utensilien für Beleuchtungskörper, wie etwa Dochthalter, und christlichen Pilgerampullen verkauft.
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In einem der Geschäftsräume wurden zahlreiche Öllampen ausgegraben. Sie wurden gemeinsam mit Utensilien für Beleuchtungskörper, wie etwa Dochthalter, und christlichen Pilgerampullen verkauft.

Zum Beispiel in das blühende Geschäft mit dem Tourismus: In dem Lampengeschäft befand sich neben dem Eingang ein großer Korb mit hunderten kleinen Ampullen, kleine Pilgerfläschchen samt Halsbändern, die an vorbeiziehende christliche Wallfahrer verkauft wurden – laut Sabine Ladstätter ganz genau so, wie man heute Pilgersouvenirs etwa aus Mariazell mitbringt.