Leuchtender Jet im Kosmos: Künstlerische Darstellung des Gammastrahlenausbruchs GRB221009A
NASA/Swift/Cruz deWilde
NASA/Swift/Cruz deWilde
„Gamma-Ray Burst“

Kosmischer Blitz bricht alle Rekorde

Am 9. Oktober haben Teleskope den bisher hellsten Himmelsblitz der Wissenschaftsgeschichte aufgefangen. Es handelt sich um Gammastrahlen, die von einem sterbenden Stern ins All geschossen wurden. Das Phänomen gibt aber auch Rätsel auf: Denn so hohe Energien dürften nach den Regeln der Physik eigentlich gar nicht entstehen.

„GRB 221009A“ heißt das Ereignis, das vor drei Wochen vom Swift-Satelliten der NASA im Sternbild Pfeil registriert wurde. Das Kürzel „GRB“ steht für „Gamma-Ray Burst“ – also für einen kurzzeitigen Energieausbruch im Frequenzbereich der Gammastrahlen. Ereignet hat sich das Ganze bereits vor 1,9 Milliarden Jahren. So lange haben die Photonen also gebraucht, bis sie von ihrem Ursprungsort zur Erde gerast sind. In der wissenschaftlichen Fachgemeinde hat der kosmische Superlativ mittlerweile einen Spitznamen erhalten – „BOAT“ oder „Brightest Of All Time“.

„Etwas so Helles, so nah – das ist wirklich ein Jahrhundertereignis“, kommentierte der US-Astrophysiker Brendan O’Connor die Entdeckung. Jochen Greiner vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching zweifelt unterdessen noch an der einen oder anderen Messung. Er erklärt im ORF-Interview, wie solche Energieausbrüche entstehen – und warum man sie auch als Werkzeug benutzen kann.

science.ORF.at: Herr Greiner, der Himmelsblitz „GRB 221009A“ bricht alle bisherigen Rekorde – wie haben Sie davon erfahren?

Jochen Greiner: Leider kann ich Ihnen da keine Story erzählen, denn ich war zu dieser Zeit auf Urlaub und hatte alles abgeschaltet. Normalerweise bin ich mit dem Swift-Satelliten verbunden und bekomme jeden gemessenen „Gamma-Burst“ direkt aufs Handy. Das gilt natürlich auch für meine Kollegen. Die haben auch sofort reagiert. Was war das Besondere an diesem Ereignis? Es hatte eine sehr hohe Leuchtkraft und fand außerdem nahe der Erde statt. Diese Kombination ist selten.

Wie selten?

Jochen Greiner: Wenn Sie die Intensitätsverteilung der „Gamma-Bursts“ aufmalen, dann sieht das sehr ähnlich aus wie die Größenverteilung von Sandkörnern am Strand oder die Stärke von Erdbeben. Viele Naturereignisse haben diese logarithmische Normalverteilung, wie wir sagen. Das heißt, es gibt sehr viele kleine Sandkörner, Erdbeben und „Gamma-Bursts“ und wenige sehr große. „GRB 221009A“ ist tatsächlich das intrinsisch leuchtstärkste Ereignis, das wir bisher hatten.

Von welchen Energien sprechen wir hier?

Jochen Greiner: Bei einem Gammastrahlenausbruch wird ungefähr so viel Gesamtenergie frei, wie die Sonne in ihrem Leben – also etwa in fünf Milliarden Jahren – abgibt. In diesem Fall sogar doppelt so viel. Was die Energie der einzelnen Teilchen angeht, kann man sich das so vorstellen: Im sichtbaren Licht haben Photonen etwa zwei Elektronenvolt Energie. Wenn Sie zum Arzt gehen und geröntgt werden, dann haben diese Röntgenphotonen ungefähr 25.000 Elektronenvolt. Bei „GRB 221009“ haben wir Photonen gesehen, die nochmals vier Millionen Mal energiereicher sind, also 99 Giga-Elektronenvolt (GeV). Der bisherige Rekord war übrigens 92 GeV.

In manchen Berichten war sogar von Tera-Elektronenvolt (TeV) die Rede. Also nochmals deulich mehr.

Jochen Greiner: Das bin ich noch am Zweifeln . Die 99 GeV, die der Fermi-LAT-Detektor gesehen hat, glaube ich sofort. Der ist seit 2008 in Betrieb, mit diesem Detektor arbeiten wir auch selbst – hier ist die Energieeichung ganz sicher. Die Photonen mit TeV wurden vom chinesischen LHAASO-Experiment berichtet – wenn die Zahlen stimmen, dann ist es tatsächlich aufregend. Dann schüttelt es unser Wissen ganz schön durcheinander.

Warum?

Jochen Greiner: Zum einen würden wir nicht erwarten, dass TeV-Elektronen bei uns ankommen, weil sie unterwegs auf Photonen der kosmischen Hintergrundstrahlung treffen und dabei Energie verlieren. Es gibt also eine Grenze, bis zu der wir TeV-Elektronen theoretisch sehen können. Sollte dieses Prinzip verletzt sein, wäre das nicht trivial zu erklären. Zum anderen wissen wir nicht, wie verlässlich die Energieeichung von LHAASO ist. Der Detektor ist erst seit letztem Jahr in Betrieb, bei anderen Experimenten hat es fünf Jahre gedauert, bis man die Eichung richtig hinbekommen hat. Ich vermute, dass da noch nicht alles stimmt.

Wie entstehen solche Gammastrahlenausbrüche?

Jochen Greiner: Wir sind uns relativ sicher, dass hier massereiche Sterne kollabieren. Massereich heißt in diesem Fall: 30 bis 50-mal so schwer wie die Sonne. Die klassische Entwicklung von Sternen ist ja, dass sie Wasserstoff zu Helium verbrennen, dann zu Kohlenstoff und so weiter, bis zum Eisen. Der Strahlungsdruck des Brennens hält den Stern in seiner Größe aufrecht. Daher stürzt er in sich zusammen, wenn die Energieproduktion versiegt ist. Dann passieren grob zwei Dinge: Die innere Hälfte kollabiert und wird bei diesen Massen sehr wahrscheinlich zu einem Schwarzen Loch. Und die andere Hälfte der Materie fliegt als Supernova in den Raum. Ungefähr jede hundertste Supernova erzeugt auch solche Gammablitze: Wie die Teilchen im Detail beschleunigt werden, wissen wir noch nicht. Da gibt es verschiedene Modelle.

Die Supernova ist eine notwendige Voraussetzung für so einen Gammablitz?

Jochen Greiner: Nach allem, was wir wissen: ja. Zumindest haben wir bisher immer auch eine Sternenexplosion gesehen, sofern sie nicht zu weit weg war. Die Supernova ist sphärisch, also kugelförmig. Aber der Gammablitz hat eine bevorzugte Richtung, er bildet einen Jet, typischerweise entlang der Rotationsachse des Sterns.

So gesehen war es ein großer Zufall, dass der Jet die Erde getroffen hat. Sozusagen ein Tausend-Gulden-Schuss.

Jochen Greiner: Stimmt, allerdings ist die Zahl der massereichen Sterne so groß, dass wir regelmäßig solche Gammablitze sehen – auch wenn etwa nur jeder tausendste auf uns gerichtet ist.

Wie häufig passiert das?

Jochen Greiner: Man muss unterscheiden: Wie viel beobachten wir und wie viel könnten wir beobachten, wenn wir perfekte Instrumente hätten? Die derzeitigen Instrumente messen ungefähr 270 Bursts pro Jahr, also fast einen pro Tag. Wir schätzen aber, dass es etwa dreimal so viele sind. Das liegt unter anderem daran, dass unsere Gammadetektoren nahe an der Erde fliegen. Die Hälfte des Himmels ist immer von der Erde bedeckt, und die Gammastrahlung kann die Erde nicht durchdringen – aus dieser Richtung sehen wir also nichts.

Von diesem Rekordereignis einmal abgesehen: Was kann man aus solchen Gammablitzen lernen?

Jochen Greiner: Zum einen wollen wir natürlich verstehen, was bei einem Sternentod passiert, wie diese Jets entstehen und wie sie beschleunigt werden. Zweitens können wir – und das war in den letzten 15 Jahren auch das wissenschaftlich bedeutendere Thema – dieses Signal benutzen, um herauszufinden, was zwischen uns und dem Stern liegt. Und zwar deshalb, weil das Nachleuchten von Gammablitzen sehr hell im Bereich des optischen Lichts strahlt. Wir sehen dann Absorptionslinien vom Material der Muttergalaxie, im intergalaktischen Raum und zum Schluss in der Milchstraße. Wir können auf diese Weise also in die Vergangenheit blicken. Bis in die Zeit, als das frühe Universum durchsichtig wurde.

Kennen Sie von allen Gammablitzen die Muttergalaxie?

Jochen Greiner: Nein, bisher nur von 20 Prozent, weil die Muttergalaxien oft sehr leuchtschwach sind. Der Vorteil der Gammablitze ist, dass sie uns eine sehr akkurate Position am Himmel geben. Wir haben zum Beispiel die sechs am weitesten entfernten Gammablitze auch mit dem „Hubble“-Teleskop untersucht – und dort nichts gefunden. Die Muttergalaxie muss aber da sein. Ein einzelner Stern steht da nicht alleine rum. Das ist zum Beispiel eine der Aufgaben des „James Webb“-Teleskops: sich diese sechs Stellen nun viel genauer anzuschauen, als „Hubble“ das konnte.