Leopoldina Habsburg – Die Geburt des modernen Brasilien, Universum History
ORF/Satel Film/ Zoe Opratko
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Leopoldina von Habsburg

Die Geburt des modernen Brasilien

Was hat die brasilianische Unabhängigkeit mit Österreich zu tun? Viel, denn treibende Kraft dahinter war die junge österreichische Erzherzogin Leopoldina von Habsburg, die vor 200 Jahren nicht nur politische, sondern auch wissenschaftliche Pionierin war.

Sie wächst in dem Wissen auf, als Frau nicht viel mehr als eine Schachfigur auf dem politischen Spielbrett zu sein: Als fünftes Kind von Kaiser Franz I. ist Maria Leopoldina wertvolles Kapital am Heiratsmarkt. Ihr Vater hat die napoleonische Bedrohung ausgesessen. Nun gilt es, während des Wiener Kongresses 1815, die wiedererlangte Kontrolle zu sichern. Die 20-jährige Leopoldina wird auf Drängen von Fürst Metternich mit dem portugiesischen Kronprinzen Pedro Braganza vermählt. Dieser lebt in Brasilien, seit der gesamte portugiesische Hof 1807 vor Napoleon in die Kolonie geflüchtet ist.

Erste europäische Prinzessin in Südamerika

Die junge Erzherzogin stellt sich tapfer ihrer Zukunft auf dem fernen Kontinent. „Die Reise erschrickt mich nicht“, schreibt sie an ihre Lieblingsschwester Marie-Louise, die zu Leopoldinas Entsetzen an Napoleon verheiratet wurde, „ich glaube, das ist mein Schicksal“. Vor allem die Aussicht auf eine fantastische Tier- und Pflanzenwelt euphorisiert die junge Braut. Von Kindesbeinen an sind Pflanzenkunde, Mineralogie und Insektenkunde ihre großen Leidenschaften.

Leopoldina Habsburg – Die Geburt des modernen Brasilien, Universum History
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Leopoldina war leidenschaftliche Botanikerin

Als Leopoldina im Herbst 1817 ihre große Reise über den Atlantik antritt, wird sie von einem hochkarätigen Team an Wissenschaftlern begleitet: der Zoologe Johann Natterer ist darunter, der Botaniker Johann Christian Mikan, einige Maler. Sie sollten im Laufe der „Österreichischen Brasilien-Expedition“ tausende Objekte nach Hause schicken. Bis heute werden diese im Weltmuseum Wien aufbewahrt und beforscht. Und auch Leopoldina selbst, die als erste europäische Erzherzogin südamerikanischen Boden betritt, sollte maßgeblich zur Sammlung beitragen.

Leopoldina schreibt Geschichte

Das Leben am Hof in Rio de Janeiro ist nicht leicht für Leopoldina. Ihr Mann Dom Pedro erweist sich nach der ersten Verliebtheit als aufbrausender und gewalttätiger Macho. Doch gerade seine Unfähigkeit zur Selbstkontrolle ermöglicht es Leopoldina, politisch aktiv zu werden. Denn Pedros Vater, König Joao VI., muss in die alte Heimat zurück. In Portugal brodelt es: Bürgerliche Cortes wollen eine konstitutionelle Monarchie errichten. Pedro bleibt als Prinzregent in Brasilien, wo die konstitutionelle Bewegung ebenso Fahrt aufnimmt.

Er gerät in Panik und will auch zurück nach Portugal. Seine Frau Leopoldina hingegen bewahrt einen kühlen Kopf und wirkt auf ihn ein, denn sie weiß: Wenn er jetzt abreist, ist ein geeintes Brasilien Geschichte. Sie überzeugt ihn, zu bleiben. Dieser Meilenstein sollte als „Tag Fico“ – „Ich bleibe“ – in die Geschichte eingehen. „Hätte Dom Pedro Brasilien verlassen, wäre es wahrscheinlich in verschiedenen Teilen des Landes zu separatistischen oder republikanischen Bewegungen gekommen“, so die Einschätzung der brasilianischen Historikerin Isabel Lustosa.

„Der Apfel ist reif“

Die portugiesischen Konstitutionellen erklären Brasilien daraufhin den Krieg und schicken Truppen über den Atlantik. Pedro muss nach São Paulo, um die führenden Köpfe der Unabhängigkeitsbewegung für sich zu gewinnen – und setzt seine Frau als Regentin ein. Während Pedros Abwesenheit eskaliert die Situation. Truppen stehen vor Rio. Und Leopoldina schreibt Geschichte: Sie beruft den Staatsrat ein und trifft innerhalb weniger Stunden die Entscheidung für die Unabhängigkeit Brasiliens. „Der Apfel ist reif – pflücke ihn!“, schreibt sie 1822 in dem berühmten Brief an ihren Gemahl, in dem sie ihn darüber informiert, dass es Zeit sei, das Kaiserreich Brasilien auszurufen.

„Mutter der Nation“

Mit dem Triumph beginnt Kaiserin Leopoldinas Leidensweg. Pedro ist Kaiser, der Thronfolger ist geboren, ihr Mann hat keine Verwendung mehr für Leopoldina. Er nimmt sich eine Mätresse, demütigt seine Frau öffentlich. Sie zieht sich zurück und widmet sich ganz ihren botanischen Studien. Hunderte Pflanzenproben, Zeichnungen, ausgestopfte Tiere schickt sie nach Wien an den Kaiserhof.

Maria Leopoldine von Österreich, Kaiserin von Brasilien
ORF/Satel Film
Maria Leopoldine von Österreich, Kaiserin von Brasilien

Die Angriffe und Demütigungen nehmen zu. Nach einer Gewaltattacke ihres Mannes erleidet Leopoldina eine Fehlgeburt. Wenige Tage später stirbt sie 1826 mit nur 29 Jahren. Die Bevölkerung ist empört und gibt Kaiser Pedro die Schuld am Tod der Kaiserin. 1831 muss er zugunsten seines Sohnes abdanken und nach Europa zurückkehren. 60 Jahre sollte Pedro II. an der Spitze des Kaiserreichs stehen. Seine Mutter Leopoldina wird in Brasilien noch heute als „Mutter der Nation“ verehrt.

Digitales Vermächtnis

Leopoldinas Vermächtnis wird heute noch im Naturhistorischen Museum aufbewahrt. Dort arbeitet man gemeinsam mit brasilianischen Kolleginnen und Kollegen am Projekt „Reflora“ – einer riesigen offenen Datenbank, die sich aus den 200 Jahre alten Sammlungen speist. Rund 40.000 Herbarbelege stammen von der Brasilienexpedition zwischen 1817 und 1821, dazu kommen parasitische Würmer, Vögel, sogar Krokodile. Die Pflanzen wurden in Quecksilberchlorid eingelegt und mit Alkohol behandelt, oder in mit Arsen behandelte Tierhäute eingenäht. Nicht jedes Stück überstand den Transport.

Die Pflanzenproben werden in hoher Auflösung abfotografiert und online gestellt, erzählt der Mykologe Altielys Casale Magnago, der an dem Projekt mitarbeitet: „Es geht darum, Pflanzenproben, die irgendwann in Brasilien gesammelt wurden, aber in einem anderen Land aufbewahrt werden, wieder rückzuführen – auf digitalem Weg“. Und so kehrt auch Leopoldinas Vermächtnis zu seinem Ursprungsort zurück.