Das ehemalige Konzentrationslager Ravensbrück
Universum History
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KZ Ravensbrück

Die Macht der NS-Ärztinnen

Rund 120.000 Frauen wurden im Nationalsozialismus ins Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt, viele von ihnen wurden ermordet oder in Vernichtungslager weitergeschickt. Unter den Nazis waren auch viele Frauen Täterinnen. Gezwungen wurden diese zu ihrem Handeln nicht, wie eine Analyse zeigt: So war etwa der Handlungsspielraum der Lagerärztinnen in Ravensbrück überraschend groß.

Weigerten sich Ärztinnen und Ärzte im Konzentrationslager Ravensbrück, Prügelstrafen beizuwohnen, konnten die Aufseherinnen und Aufseher diese nicht durchführen. Das ist nur ein Beispiel für den Handlungsspielraum, den nationalsozialistische Medizinerinnen im Konzentrationslager hatten. Ravensbrück war das größte Konzentrationslager, das die Nazis speziell für weibliche Häftlinge errichteten. Als Personal setzten sie dort vor allem Frauen ein.

Die Historikerin Petra Betzien untersuchte Selbstverständnis und Handeln von drei nationalsozialistischen Ärztinnen im KZ Ravensbrück. Dabei zeigte sich, dass es durchaus Handlungsspielräume gab: Beispielsweise verweigerten die ersten Lagerärztinnen Erika Köhler und Gerda Weyand 1939 die medizinische Aufsicht über Prügelstrafen, erklärt die Historikerin: „Für die Ärztinnen hatte das keine negativen Auswirkungen – ihre Entscheidung wurde akzeptiert.“

Überzeugte Nationalsozialistinnen

Diese Verweigerung bedeutet aber nicht, dass sie den Handlungsspielraum oft zugunsten der Häftlinge nutzten – beide waren überzeugte Nationalsozialistinnen und verweigerten auch notwendige medizinische Behandlungen. Generell diente das Ärztewesen im Konzentrationslager nicht der Gesundheit der Häftlinge, sagt Betzien: „Man wollte nicht die Gesundheit der Menschen herstellen, sondern ihre Arbeitsfähigkeit und das mit minimalistischen Mitteln. Es gibt viele Beispiele, dass Patientinnen für eine Behandlung abgewiesen wurden. Die Ärztinnen hatten aber die Möglichkeit, Behandlungen zuzulassen und vielleicht auch über das Maß zuzulassen.“

Wie sich die Ärztinnen gegenüber den inhaftierten Frauen verhielten, ist vor allem durch Häftlingsaussagen überliefert und diese seien über die Lagerärztin Erika Köhler überwiegend negativ, sagt die Historikerin. Dass Gerda Weyand zu Beginn ihrer Tätigkeit in Ravensbrück ein humanes ärztliches Verhalten an den Tag gelegt hatte, wurde hingegen von Überlebenden bestätigt.

„In den Berichten wird aber erwähnt, dass ihr Verhalten immer mehr in Gleichgültigkeit gegenüber den Patientinnen umgeschlagen ist und sie Patientinnen wiederholt nicht behandelte“, so Betzien. Ein Grund für die Verhaltensänderung der Lagerärztin könnte ihre Beziehung zum SS-Standortarzt Walter Sonntag gewesen sein, den sie 1941 heiratete. Dieser war ab 1940 der Vorgesetzte der Lagerärztinnen und ermöglichte den Vollzug von Prügelstrafen, indem er ihnen selbst beiwohnte. Zudem misshandelte und tötete er Patientinnen und führte medizinische Experimente an inhaftierten Frauen durch.

Sendungshinweise

Krankenschwester im Widerstand

Die dritte Ärztin, Herta Oberheuser, wird von ehemaligen Häftlingen als gewalttätig beschrieben. Sie habe Häftlinge bei Untersuchungen geschlagen und soll Frauen durch Giftspritzen getötet haben. Auch an brutalen Medizinversuchen, durch die Inhaftierte dauerhafte Verletzungen davontrugen oder starben, war sie beteiligt. Oberheuser war die einzige Frau, die nach dem Krieg im Nürnberger Ärzteprozess angeklagt und verurteilt wurde.

Gezwungen wurde Oberheuser zu ihren Taten nicht. „Die Verhaltensweisen oblagen den eigenen Entscheidungen der Ärztinnen“, sagt Betzien. Der Mythos des Befehlsnotstands, wonach NS-Täterinnen und Täter keine andere Wahl gehabt hätten, als Befehle auszuführen, hält sich nach wie vor – hier zeigt sich aber einmal mehr, dass er historisch nicht haltbar ist.

Eindrücklich belegt das auch das Beispiel der Krankenschwester Gerda Schröder, die 1944 nach Ravensbrück kam. Sie schloss sich dem Lagerwiderstand an und es gelang ihr, mehr Patientinnen als vorgesehen im Krankenrevier aufzunehmen, kranke Frauen vor der Selektion zu bewahren und heimlich Medikamente und Schmerzmittel zu verabreichen.

Selbstdarstellung als moralisch handelnd und fürsorglich

Petra Betzien kommt zu dem Schluss, dass sich alle drei Lagerärztinnen als der NS-Volksgemeinschaft zugehörig definierten und nach dem Krieg behaupteten, einem ärztlichen Berufsethos gefolgt zu sein. Diese Selbstdarstellung war möglich, indem sie sich einer nationalsozialistischen „Moral“ bedienten, in der eine gute Behandlung nur für Mitglieder der „Volksgemeinschaft“ des Nationalsozialismus vorgesehen war.

Buchhinweis

Petra Betziens Forschung wurde veröffentlicht in:
Rauh/Voggenreiter/Ude-Koeller/Leven (Hrsg.): Medizintäter. Ärzte und Ärztinnen im Spiegel der NS-Täterforschung. Böhlau Verlag, 591 Seiten, 62 Euro.

„Für Menschen, die aus dieser ,Volksgemeinschaft’ exkludiert waren, galt diese Moral nicht. Das findet sich auch noch in den Nachkriegszeugnissen der Ärztinnen wieder“, so Betzien: „Oberheuser beispielsweise rechtfertigte ihr Verhalten nach dem Krieg, indem sie die Häftlinge als ‚asozial‘ und ‚arbeitsscheu‘ kategorisierte.“

Auch ein traditionelles Frauenbild diente nach dem Krieg als Rechtfertigungsstrategie, so die Historikerin: „Oberheuser verteidigte sich im Prozess, indem sie meinte, sie hätte als Frau im Lager gearbeitet und dort als Frau helfen wollen.“ Mit dem Klischee von weiblicher Fürsorglichkeit wollte Oberheuser suggerieren, sie sei als Frau gar nicht in der Lage gewesen, die Taten zu begehen, die ihr vorgeworfen wurden. Die Häftlingsaussagen sprachen eine andere Sprache. Oberheuser wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt, nach knapp vier Jahren aber entlassen. Köhler und Weyand wurden nie vor Gericht gestellt.