Krähe in Nahaufnahme
APA/TIERGARTEN SCHÖNBRUNN/DANIEL ZUPANC
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Biologie

Krähen sind noch schlauer als gedacht

Bestimmte Denkmuster haben lange Zeit als typisch menschlich gegolten – vor allem, wenn es um das Erlernen von Sprache und um mathematische Rechenvorgänge geht. Eine neue Studie zeigt aber, dass auch Krähen mit solch komplexen Informationsmustern umgehen können.

Krähen sind schlau – das ist schon lange bekannt. Sie sind unter anderem in der Lage an Regeln gebundene Entscheidungen zu treffen oder Werkzeuge zu nutzen um Probleme zu lösen. Krähen kommen oft auch gut mit Menschen aus, was unter anderem bestimmt auch auf ihre Intelligenz zurückzuführen ist. Auf der vor allem bei Jüngeren beliebten Onlineplattform TikTok gibt es unter dem Schlagwort „CrowTok“ sogar einen ganzen Themenbereich über die Beziehungen zwischen den schlauen Vögeln und Menschen.

Exklusiv menschlich?

Bestimmte komplexe Denkmuster wurden aber lange Zeit nur Menschen zugeschrieben. So etwa auch die Rekursion, die rechnerische Fähigkeit, Elemente in Elemente derselben Art einzubetten. Große Probleme werden dabei durch die Zerlegung in kleinere, einfachere Probleme mit identischen Formen gelöst. Die Rekursion gilt als ein intellektueller Eckpfeiler von Sprache, Werkzeugnutzung und Mathematik.

Die Fähigkeit zur Darstellung rekursiver Strukturen gibt es bereits bei Kindern im Alter von drei Jahren. Das deutet darauf hin, dass die kognitive Fähigkeit schon vorhanden ist, bevor sie überhaupt für das Erlernen von Grammatik oder das Lösen mathematischer Probleme gebraucht wird.

Rekursion im Tierreich

US-amerikanische Forscherinnen und Forscher haben im Jahr 2020 auch im Tierreich nach rekursiven Fähigkeiten gesucht. In der daraus entstandenen Studie konnten sie die Rekursion bei Makaken-Affen nachweisen.

Zwei Makaken beim Spielen
Animal Ecology Universiteit Utrecht

Die nichtmenschlichen Primaten verwendeten in Experimenten zwar zuerst häufiger eine einfachere Auflistungsstrategie, starteten aber nach wiederholter Exposition mit der rekursiven Strategie und erreichten schließlich sogar den Leistungsbereich menschlicher Kinder. Das Forschungsteam zerstreute damit den Glauben, dass nur der Mensch die Fähigkeit besitzt, rekursiv zu denken.

Studie mit schlauen Vögeln

Die Erkenntnisse zu den Primaten führten bei vielen Expertinnen und Experten zu weiteren Fragen. „Wenn Affen diese Fähigkeit besitzen, können das vielleicht auch andere Tiere“, so der Neurobiologe Andreas Nieder von der Universität Tübingen gegenüber science.ORF.at. „Wir wollten also der Frage nachgehen, ob das rekursive Denken von einem gemeinsamen Vorfahren der Menschen und Primaten herrührt oder ob auch separat davon entwickelte Tierarten diese Fähigkeit besitzen.“

Nieder leitet in Tübingen ein Labor, das sich unter anderem mit den kognitiven Fähigkeiten von Krähen beschäftigt. Aufbauend auf die Studie mit den Primaten testete ein Team um den Neurobiologen daher, ob auch die schlauen Vögel zu rekursiven Denkmustern in der Lage sind. Das Ergebnis der Untersuchung präsentieren die Forscherinnen und Forscher aktuell im Fachjournal „Science Advances“.

Krähen übertreffen Makaken

Dazu nutzte das Team um Nieder zwei Krähen, die auf einem Touchpad farbige Klammern berühren mussten. Dabei gab es eine korrekte Reihenfolge der Klammern. Wenn zum Beispiel eine offene geschwungene Klammer – „{„ – am Bildschirm zu sehen war, mussten die Krähen danach die Klammer wieder schließen: „}“. Die Vögel wurden belohnt, wenn sie die Klammern in der richtigen Reihenfolge antippten. Das Experiment wurde anschließend immer komplexer und die Klammern wurden auch in andere Klammern eingebettet: „[{}]“.

Das Ergebnis: Tatsächlich haben Krähen die Kapazität, rekursiv zu denken und auch ineinander verwobene Sequenzen zu erkennen. Im Experiment erreichten sie ungefähr so gute Ergebnisse wie drei bis vier Jahre alte Kinder und übertrafen damit sogar die Makaken. „Das ist extrem spannend, weil sich die Vögel in ihrer Entwicklung schon vor über 320 Millionen Jahren von der Primatenlinie getrennt haben. Das ist ungefähr fünf Mal so lange her, wie das Aussterben der Dinosaurier“, sagt Nieder.

Antrainiertes oder natürliches Verhalten?

Verallgemeinern dürfe man die Erkenntnisse aus dem Krähen-Experiment aber derzeit noch nicht, so der Neurobiologe. Die Versuche wurden schließlich mit nur zwei Krähen durchgeführt, die auch nicht in freier Wildbahn aufgewachsen sind. Ob also auch wilde Krähen rekursiv denken oder ob es sich dabei um ein antrainiertes Verhalten der Versuchsvögel handelt, ist laut Nieder aktuell kaum zu klären: „Experimente mit Krähen sind nur möglich, wenn die Tiere auch verstehen, was wir von ihnen wollen – das ist momentan nur mit trainierten Vögeln möglich, mit wilden Vögeln leider nicht.“

Trotzdem sei die Erkenntnis aus den Experimenten von großer Bedeutung, zeige sie doch, dass die Vögel zumindest die Kapazität besitzen, komplexe Aufgaben mit rekursiven Methoden zu lösen. Die ohnehin schlauen Vögel sind demnach also noch gescheiter, als bisher vermutet.

„Gute Basis für weitere Untersuchungen“

„Unsere Studie gehört klar zur Grundlagenforschung. Sie bildet eine gute Basis für weitere Untersuchungen auf dem Gebiet. Bis die Erkenntnisse aber auch zu Fortschritten in der Praxis führen, wird es noch einige Zeit dauern und es bedarf sicher noch zahlreicher weiterer Studien“, so Nieder. Ein besseres Verständnis der kognitiven und rekursiven Fähigkeiten von Tieren und Menschen könnte irgendwann aber zum Beispiel zu neuen Erkenntnissen in der Medizin führen. Denkbar sei damit etwa die Entwicklung neuer Behandlungen für Menschen, die sich mit dem Erlernen von Sprache oder dem Verstehen von Mathematik schwertun.