Goldener Sarkophag von Tutanchamun
AP – Amr Nabil
AP – Amr Nabil

100 Jahre Entdeckung des Grabes von Tutanchamun

Vor genau 100 Jahren, am 4. November 1922, haben der Archäologe Howard Carter und sein Ausgrabungsteam im Tal der Könige den Eingang zum Grab des Pharaos Tutanchamun freigelegt. Wie der sensationelle Fund einen Medienhype auslöste und sich auf Wissenschaft und Populärkultur auswirkte, beschreibt der Ägyptologe Ernst Czerny in einem Gastbeitrag.

Am Ende der ausgegrabenen Treppe erwartete Carter die Vermauerung des Grabes mit dem nicht zerbrochenen Nekropolensiegel. Weitere Siegelabdrücke mit dem Thronnamen des Tutanchamun, „Neb-Cheperu-Re“, bestätigten die Identität des Grabes. Die offizielle Öffnung des Grabes von Tutanchamun erfolgte erst am 26. November 1922 in Anwesenheit von Carters Finanzier George Herbert, dem fünften Earl von Carnarvon.

Über den Autor

Ernst Czerny ist Mitarbeiter des Österreichischen Archäologischen Instituts der Akademie der Wissenschaften. Barbara Matzner-Volfing hat den Text redaktionell bearbeitet.

Ö1-Sendungshinweis

Das vergessene Königsgrab: Betrifft Geschichte, 7.–11.11.2022, 17:55 Uhr.

Neuere Untersuchungen lassen vermuten, dass Carter, Lord Carnarvon und dessen Tochter, Lady Evelyn, das Grab bereits am Tag davor heimlich betreten hatten und bis in die Grabkammer vorgedrungen waren. Umstritten ist bis heute, ob dabei einzelne Gegenstände als Souvenirs mitgenommen wurden. Noch niemals in der Geschichte der Archäologie war etwas Vergleichbares gefunden worden. Die Bergung und die Bearbeitung der Funde sollten ohne die Hilfe eines Teams von Experten nicht möglich sein.

Archäologe ohne akademische Ausbildung

Durch die sensationelle Entdeckung des Grabes des Tutanchamun ist Carter wohl der in der Öffentlichkeit berühmteste aller in Ägypten tätig gewesenen Archäologen. Es wird daher vielleicht überraschen, dass Carter keine akademische Ausbildung besaß. Er war vielmehr ein hervorragender Zeichner und Aquarellmaler, der 1891 im Alter von 17 Jahren nach Ägypten kam. Carter arbeitete als Zeichner und Kopist für die britischen Ausgrabungen des Egypt Exploration Fund. Durch die Arbeit mit Archäologen wie William Flinders Petrie und Edouard Naville erlernte Carter das Handwerk des Archäologen und bildete sich selbst zum Ägyptologen heran.

Der Archäologe Howard Carter 1934, zwölf Jahre nach der Entdeckung
AP
Howard Carter 1934, zwölf Jahre nach der Entdeckung

Im Jahr 1899 trat er als Chefinspektor für Oberägypten in den staatlichen ägyptischen Antikendienst, führte Aufsicht über archäologische Grabungen und kümmerte sich um den Zustand der bekannten Denkmäler. Dabei landete Carter einen besonderen Coup: Er beleuchtete das Grab von Amenophis II. erstmals mit elektrischem Licht. Bis dahin wurden entweder Fackeln oder Kerzen verwendet, die rauchten und zu Beschädigungen führten. Oder, wie es heute noch gelegentlich üblich ist, in die Gräber durch Spiegel eingeleitetes Sonnenlicht.

Neben seiner Tätigkeit als Inspektor war Carter für den US-amerikanischen Millionär und Rechtsanwalt Theodor Davis auch als Ausgräber im Tal der Könige tätig und entdeckte in dieser Funktion die Gräber von Thutmosis IV. und von Königin Hatschepsut.

Spurensuche im Tal der Könige

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern suchte Carter ganz gezielt nach dem Grab von Tutanchamun. Zwischen 1902 und 1914 war das Tal der Könige bereits von Davis umfassend untersucht worden. Davis fand bei seinen Ausgrabungen im Jahr 1907 eine Struktur, die er als das Grab des Tutanchamun zu erkennen glaubte. Wie sich später herausstellte, handelte es sich vielmehr um ein Materialiendepot für die Balsamierung im Zuge der Bestattung Tutanchamuns.

Carter erkannte den Charakter als Depot und schloss daraus, dass sich das eigentliche Grab von Tutanchamun noch unentdeckt im Tal der Könige befand. Nachdem Lord Carnarvon die Grabungskonzession im Jahr 1915 erwerben konnte, begann Carter 1917 mit seiner Suche. Die Mumien der meisten Pharaonen waren wiederbestattet in Mumienverstecken gefunden worden, nicht aber die des Tutanchamun.

Das konnte bedeuten, dass seine Mumie entweder zerstört war, oder – ein allerdings äußerst unwahrscheinlicher Fall – noch unberührt in ihrem Grab lag. Das wäre nur dann möglich, wenn der Grabeingang bereits im Altertum unzugänglich verschüttet wurde. Carter hatte schließlich die Idee, unter einer dicken Schicht von Aushubmaterial aus dem Grab Ramses V. zu suchen. Es standen auch einige Arbeiterhütten aus ramessidischer Zeit auf diesem Areal, die der Archäologe entfernen lassen musste. Nur wenig später wurde die erste der sechzehn Treppenstufen zum Grab gefunden.

Mit Unterstützung des Metropolitan Museum

Das Metropolitan Museum in New York bot Lord Carnavon und Carter Unterstützung zur Bergung des Grabes an. Besonders wichtig war die Bereitstellung des hervorragenden Fotografen Harry Burton, der die ca. 5.400 Objekte aus dem Grabmal sorgfältig noch an Ort und Stelle dokumentierte.

Viele Dinge, zum Beispiel die Blumenkränze und die Fächer aus Straußenfedern, konnten noch fotografiert werden, bevor sie zu Staub zerfielen. Burtons Bilder sind gestochen scharfe Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die ohne den Einsatz von Kunstlicht auf Glasnegativen gemacht wurden. Als Dunkelkammer zur Entwicklung diente dem Fotografen ein benachbartes Grab. Carter dokumentierte ebenfalls sehr detailliert die Bergungsvorgänge. Sein wissenschaftlicher Nachlass inklusive eines Satzes der Burton-Fotos befindet sich heute im Griffith Institute der Universität Oxford und ist öffentlich zugänglich.

Grabkammer mit dem Sarkophag von Tutanchamun
AP – Amr Nabil
Grabkammer mit dem Sarkophag von Tutanchamun

Weitere Gräber wurden als Lagerräume, Restaurierungswerkstätten und chemische Labors hergerichtet. Die Funde wurden an Ort und Stelle dokumentiert, so weit wie möglich restauriert und für den Transport ins Ägyptische Museum in Kairo verpackt. Insgesamt nahmen das Ausräumen und Dokumentieren der Funde und der Transport nach Kairo zehn Jahre in Anspruch, die Arbeit wurde erst 1933 abgeschlossen. Lediglich die Mumie des Königs, der steinerne Sarkophag und der äußere Sarg aus vergoldetem Holz blieben in dem Grab zurück, wo sie sich bis heute befinden.

Publicity um das Grab und den „Fluch“

Die Entdeckung des Grabes des Tutanchamun löste einen bisher noch nie da gewesenen Medienhype aus. Lord Carnarvon hatte bereits 1923 einen Exklusivvertrag mit der „Times“ abgeschlossen. Erst nach der Veröffentlichung der jeweiligen Neuigkeiten in der „Times“ durften andere Zeitungen darüber berichten, sehr zum Ärgernis der ägyptischen Presse. Diese Vorgehensweise wurde immer wieder heftig kritisiert.

Am 5. April 1923 starb Lord Carnarvon an einer Sepsis, die durch einen Insektenstich ausgelöst worden war, was den ungeheuren Rummel um den „Fluch des Pharaos“ auslöste. Bezeichnenderweise äußerte sich das „Tutanchamun-Fieber“ besonders in den populären Medien. In der modernen Unterhaltungsmusik der 1920er Jahre zum Beispiel war Ägypten ein häufiges Thema, wie Titel wie „Old King Tut“, „My Egyptian Mummy“ oder „In der Bar zum Krokodil“ von den Comedian Harmonists zeigen. Im Jahr 1932 erschien zudem der berühmt gewordene Film „Die Mumie“ mit Boris Karloff.

2019 wurde die Mumie des Pharaos wird von Fachleuten untersucht
Reuters/Mohamed Abd El Ghany
2019 wurde die Mumie des Pharaos von Fachleuten untersucht

In Österreich zeigte sich diese Begeisterung geringer als etwa in Frankreich oder England, sie äußerte sich dennoch in Film und Operette. Höhepunkt war diesbezüglich der Film „Die Sklavenkönigin“ von 1924 von Michael Kertesz, der vermutlich aufwendigste und teuerste Film, der in Österreich jemals gedreht worden ist. Beispiele an Operetten sind „Die Perlen der Cleopatra“ von Oskar Strauss aus dem Jahr 1923 und, viel direkter auf die Entdeckung des Grabes Tutanchamuns Bezug nehmend, „Prinzessin Nofretete“ von Niko Dostal aus dem Jahr 1936.

Nachwirkungen der wissenschaftlichen Aufbereitung

Der Fund des Grabes von Tutanchamun hat die Ägyptologie und die Vorstellung vom Alten Ägypten verändert. Lange Zeit schien das Grab jedoch nur wenig historische Information liefern zu können. Erst moderne Methoden wie DNA-Untersuchungen oder die Computertomografie haben es erlaubt, hier in einigen Punkten Klarheit zu schaffen. Die Mumie des Königs zeigt, dass Tutanchamun ein kränklicher, durch die fortgesetzte Inzucht in der Familie geschwächter Junge war, der an Malaria tropica litt und wohl an einem offenen Oberschenkelbruch gestorben ist. Über geschichtliche Fragen, etwa zu seinem Vorgänger oder seinem Nachfolger Eje, kann weiterhin nur spekuliert werden.

Die über 5.000 Grabbeigaben bilden ein Ensemble von überragender Bedeutung für die Kenntnis und das Verständnis königlicher Bestattungen im Neuen Reich. Dazu kommt, dass die Periode der späten 18. Dynastie einen absoluten Höhepunkt in der Entwicklung der ägyptischen Kunst markiert und von beispielloser Eleganz und Ästhetik ist. Insofern kann es als besonderer Glücksfall bezeichnet werden, dass diese Grabausstattung erhalten geblieben ist.

Besonders interessant war die Untersuchung der 19 Eisenobjekte aus dem Grab, darunter ein Prunkdolch, den die Mumie des Königs an der Seite trug. Eisenverhüttung war in Ägypten im zweiten Jahrtausend vor Christus unbekannt und auch technisch nicht möglich, verarbeitet wurde ausschließlich Eisen von Meteoriten.

Im Jahr 2010 schätzte Jaromir Malek, der damalige Leiter des Griffith Institute, dass erst 30 Prozent der Objekte aus dem Grab wissenschaftlich bearbeitet sind. Bis heute ist die Erforschung des Grabes und seines Inhaltes weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein, und sie wird es vermutlich auch niemals sein.