Demonstration gegen Corona in Wien 2021
APA/TOBIAS STEINMAURER
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Studie

Die Psychologie des Impfstreits

Impfungen sind nach wie vor das beste Mittel, um das Coronavirus zu bekämpfen. Sie sorgten und sorgen aber auch für viel Streit. Laut einer neuen Studie hat die Impfdebatte stark zur Polarisierung der Gesellschaft beigetragen. Wer besonders stolz ist, geimpft oder nicht geimpft zu sein, reagiert demnach auch besonders allergisch auf die jeweils anderen.

„Es geht dabei nicht so sehr um die Frage, ob ‚geimpft oder nicht geimpft‘, sondern um die Identifikation mit dem eigenen Impfstatus“, erklärte Robert Böhm, Studienautor und Psychologe an der Universität Wien, gegenüber science.ORF.at. Viele Menschen seien geimpft oder ungeimpft, akzeptieren aber auch das Verhalten der anderen. Bei manchen aber ist die Entscheidung zum Teil ihrer Identität geworden – und damit gehören sie zu einer Gruppe, die der jeweils anderen mit Argwohn gegenübersteht.

Das schreibt ein Team um Böhm und den Verhaltensökonomen Luca Henkel von der Universität Bonn in einer Studie, die soeben im Fachblatt „Nature Human Behaviour“ veröffentlicht wurde.

Umfrage in Zeiten der „Impfpflicht“

Insgesamt vier Forscher und eine Forscherin befragten dazu zwischen Dezember 2021 und Juli 2022 rund 3.400 Geimpfte und über 2.000 Ungeimpfte in Österreich und Deutschland mehrfach – allerdings nicht repräsentativ. Ihr Datensatz sei dennoch „einzigartig“, denn in dieser Zeit waren die Debatten rund um eine mögliche Impfpflicht in beiden Ländern besonders heftig. In Österreich hätte diese mit Februar 2022 in Kraft treten sollen, wurde aber erst ausgesetzt und danach abgeschafft. Im deutschen Bundestag scheiterte im April ein Gesetzentwurf zur CoV-Impfpflicht ab 60 Jahren.

Eine weitere Besonderheit der Onlineumfrage sei der hohe Anteil an nicht geimpften Personen, so Böhm. Besonders greifbar wurden die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen dann, wenn die Aussagen von Personen verglichen wurden, die angaben, dass sie sich stark mit ihrem Impfstatus identifizieren. Darin sehen die Fachleute „eine entscheidende Rolle in der Polarisierung“, sagte Luca Henkel. Ungeimpfte nahmen die Impfdebatte als deutlich unfairer wahr und erlebten nach Eigenangaben mehr soziale Ausgrenzung als geimpfte Befragte.

Wechselseitige Benachteiligungen

Die beiden Gruppen standen einander tendenziell unfreundlich und verständnislos gegenüber. Und das zeigte sich auch laut Studie ganz real: In einem Experiment konnten die Teilnehmenden 100 Euro zwischen sich und einer anderen Person aufteilen. „Sowohl Geimpfte als auch Ungeimpfte haben Personen mit anderem Impfstatus benachteiligt, und zwar umso stärker, je mehr sie sich mit ihrem Impfstatus identifizierten", erklärte Robert Böhm.

Ähnliches gilt für die Akzeptanz von Maßnahmen zur Steigerung der Impfquoten. Geimpfte Personen etwa befürworteten eine Impfpflicht – und zwar vehementer, wenn ihnen ihr Status als „geimpft“ wichtig war. Wer allerdings ungeimpft war und sich damit besonders stark identifizierte, lehnte auch die Impfpflicht besonders stark ab. Insgesamt zeige sich hier, wie eine persönliche Entscheidung zu einem wichtigen Teil des Selbstkonzepts werden kann und „dem Impfstatus ein Wert an sich zugeschrieben wird“, so die Fachleute in ihrer Studie.

Unterschiede zwischen Frauen und Männern fanden sie nicht, sie bestätigten aber einige Befunde früherer Studien, wonach impfskeptische Menschen ihre Informationen tendenziell nicht aus klassischen Medien beziehen, sondern aus sozialen Netzwerken, wenig Vertrauen in die Regierung haben und rechte politische Parteien bevorzugen.

Mögliche Gegenstrategien

Bleiben die Fragen, wie man diese Polarisierung verringern und Einstellungen zur Impfung verändern kann. Hoch identifizierte Ungeimpfte etwa durch niedrigschwellige Angebote oder gezielte Risikoaufklärung von den Vorteilen einer Impfung zu überzeugen, halten die Fachleute für wenig erfolgsversprechend. „Wenn etwas Teil der Identität ist, kommt man mit Argumenten nicht weiter“, so Böhm gegenüber science.ORF.at.

Er plädiert deshalb für Maßnahmen, die die Identifikation mit dem Impfstatus verringern. Allem voran: deeskalierende Strategien und einen wertschätzenden gegenseitigen Umgang, insbesondere auch durch Personen des öffentlichen Lebens. Nur scheinbar paradoxerweise könnte aber auch eine Impfpflicht zum Abbau der Identifikation mit dem Impfstatus beitragen – denn dann taugt der Impfstatus als Abgrenzungsmerkmal psychologisch nicht mehr.