Ein Mann blättert in einem Buch und zeigt auf eine bestimmte Stelle im Text
Ingo Bartussek – stock.adobe.com
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„Plagiat“ und „Vortäuschen“: Wir brauchen Klarheit im UG!

Im Jahr 2015 sind in das österreichische Universitätsgesetz (UG) erstmals Bestimmungen zu Plagiaten und zum Vortäuschen durch Studierende aufgenommen worden. Nach dem „Fall Aschbacher“ 2021 wurden neue Bestimmungen geschaffen. Doch im aktuellen Gesetz befinden sich Widersprüche, schreibt der Plagiatsforscher Stefan Weber in einem Gastbeitrag – und fordert mehr Klarheit.

Die Lehrenden und erst recht die Studierenden haben ein Anrecht darauf, zu erfahren, was ein Plagiat ist und was Vortäuschen bedeuten mag. Die Studierenden müssen wissen, warum sie wegen eines Plagiats in einer schriftlichen Teilleistung eventuell ein ganzes Seminar abbrechen müssen oder warum sie während einer Klausur besser nicht aufs Handy schauen sollten.

Porträtfot des „Plagiatjägers“ Stefan Weber
Joachim Bergauer

Über den Autor

Stefan Weber, an der Universität Wien habilitierter Medienwissenschaftler, ist stellvertretender Leiter der Arbeitsgemeinschaft „Gute wissenschaftliche Praxis im Wandel“ (GWP) der Österreichischen Forschungsgemeinschaft (ÖFG), Lehrbeauftragter an der TU Wien und auch als „Plagiatsjäger“ bekannt. Dieser Text ist in leicht veränderter Form auch in der „Neuen Hochschulzeitung“ erschienen.

Ist das Plagiat eine Art des Vortäuschens?

Ist das Plagiat eine Art des Vortäuschens oder gibt es Plagiate hier und das Vortäuschen dort? Lesen wir in den studienrechtlichen Begriffsbestimmungen des Universitätsgesetzes (UG) nach: Da wird zuerst, in Ziffer 31 von § 51 Abs. 2, das Plagiat definiert: Ein solches ist gegeben, wenn eine Kenntlichmachung (der Verfasser dieser Zeilen ergänzt: meist durch Anführungszeichen) und eine Quellenangabe fehlen. Dann wird, in Ziffer 32, das Vortäuschen definiert: Hierunter fallen dann Dinge wie der berühmte Schummelzettel, das Engagieren eines Ghostwriters, das Datenfälschen oder gar das Datenerfinden. „Plagiat“ und „Vortäuschen“, so legen es die Begriffsbestimmungen im Gesetz jedenfalls nahe, sind ‚zwei verschiedene Paar Schuhe‘, sonst hätte der Gesetzgeber ja zu Beginn von Ziffer 32 geschrieben: „Andere Arten von Vortäuschen … sind …“.

Die Trennung von Plagiat und Vortäuschen hochhaltend, schrieb der Gesetzgeber auch in § 73, in dem es um die Nichtigerklärung einer bereits erfolgten Beurteilung geht: Sie habe dann zu erfolgen, wenn „bei einer Prüfung oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Arbeit die Beurteilung, insbesondere durch, ein Plagiat gemäß § 51 Abs. 2 Z 31 oder durch Vortäuschen von wissenschaftlichen oder künstlerischen Leistungen gemäß § 51 Abs. 2 Z 32, erschlichen wurde“. (Anmerkung: Drei Kommafehler im Original des Gesetzestextes)

Wenn auch in § 73 von „Plagiat“… „oder“ … „Vortäuschen“ die Rede ist, scheint auch hier klar zu sein, dass das eine vom anderen juristisch getrennt werden muss.

Das konterkariert nun aber § 19 Abs. 2a völlig. Dieser besagt, dass Universitäten in ihre Satzungen „Maßnahmen bei Plagiaten oder anderem Vortäuschen von wissenschaftlichen oder künstlerischen Leistungen“ aufnehmen dürfen. Das Plagiat ist hier nun nicht mehr dem Vortäuschen entgegengestellt, sondern eine Spielart, eine Variante des Vortäuschens („oder anderem Vortäuschen“).

Ab wann kommt Vorsatz ins Spiel?

Doch das ist nicht das einzige Problem von § 19 Abs. 2a: Der Gesetzestext unterscheidet zwischen Plagiaten oder anderem Vortäuschen (= erster Stufe, hier greift die Satzung) und „schwerwiegendem und vorsätzlichem Plagiieren oder schwerwiegendem und vorsätzlichem anderen Vortäuschen“ (= zweiter Stufe, hier wäre das Rektorat am Zug). Wenn der Vorsatz aber erst bei der zweiten Stufe ins Spiel kommt, müsste es auf Stufe 1 ein „nicht-vorsätzliches Vortäuschen“ geben, eine schlichte Denkunmöglichkeit. Wollte der Gesetzgeber hingegen auf Stufe 2 nur den Vorsatz nochmals akzentuieren, so ist dies mehr als unglücklich formuliert worden. – Wie sollen in Anbetracht dieser Begriffskonfusionen eigentlich Rechtsabteilungen von Universitäten, Rektorate und letztlich der Verwaltungsgerichtshof korrekt entscheiden?

Interessanterweise wurden die Begriffsbestimmungen in § 51 und der neue § 19 Abs. 2a im Jahr 2015 gemeinsam geschaffen. Eine „Arbeitsgruppe Plagiatsbekämpfung und Prävention“ der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) war hier federführend. Die Fehler wurden offensichtlich bis heute von niemandem bemerkt oder sie waren kein Thema.

Ein Widerspruch setzt sich fort

§ 89 regelt den Entzug des akademischen Grades, dieser Paragraf ist wiederum nicht mehr kohärent mit § 73 (der Nichtigerklärung) und den Begriffsbestimmungen. Denn hier heißt es nun, dass der Grad zu entziehen ist, wenn er „insbesondere durch gefälschte Zeugnisse oder durch das Vortäuschen von wissenschaftlichen oder künstlerischen Leistungen erschlichen worden ist“. § 89 erwähnt also nicht das Plagiat oder das Vortäuschen, auch nicht das Plagiat und anderes Vortäuschen, sondern (eben nur) das Vortäuschen.

Veranstaltung

ARGE GWP und ÖFG veranstalten das Webinar „Gute wissenschaftliche Praxis“ & die Lehre: Österreich, Schweiz, weltweit": 2.12., 18 Uhr.

Doch damit nicht genug: Eine mehr als seltsame Beifügung hat der § 116, die Strafbestimmung zum Titelmissbrauch, erhalten. Da heißt es seit 2021 neu in Abs. 3: „Unberechtigt ist die Führung insbesondere dann, wenn der akademische Grad oder die gleiche oder ähnliche Bezeichnung nicht auf Grund entsprechender Studien- und Prüfungsleistungen oder wissenschaftlicher oder künstlerischer Leistungen, sondern aufgrund eines Plagiates erlangt wurde.“

Im Gegensatz zu § 89, der nur das „Vortäuschen“ beispielhaft erwähnt, wird im § 116 Abs. 3 wiederum nur das Plagiat beispielhaft angeführt. – Hat der Plagiator, der seinen Titel wegen Plagiats nach § 89 verloren hat, diesen Titel nach altem Universitätsrecht, also auch schon vor 2021, unbefugt geführt? Hätte man jeden (rechtskräftigen) Titelentzug auch schon vor 2021 zusätzlich bei der Bezirksverwaltungsbehörde nach § 116 UG erfolgreich anzeigen können? Wenn ja, dann wäre der neue Abs. 3 gar nicht notwendig gewesen, dann wäre er rein symbolische Redundanz.

Dringender Bedarf nach klarer Gesetzgebung …

Es besteht der dringende Bedarf, zu einer einheitlichen und klaren Gesetzgebung zu guter wissenschaftlicher Praxis und zu Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Österreich zu kommen. Das fordern viele Hochschulrechtler in den einschlägigen Fachzeitschriften der vergangenen Monate.

Derzeit muss man indes resigniert feststellen: Die gesamte juristische Basis stimmt nicht. Für die Qualitätssicherung der Wissenschaft in Österreich mag dies fatal sein. Es ist nämlich zu vermuten, dass alleine deshalb schlichtweg gar nichts getan wird.

… und empirischer Forschung zu Fehlverhalten

Wie viele temporäre Studiensperren gab es in Österreich wegen schwerwiegender Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis seit 2015? Wie viele Grade wurden seit 2015 entzogen? Wie viele Geldstrafen wurden seit Herbst 2021 wegen Ghostwriting verhängt?

Es bedarf nicht nur einer klaren Gesetzgebung. Es bedarf auch der dringenden Anerkennung von „academic integrity“ und „scientific misconduct“ als neue wichtige Felder der empirischen Sozialforschung.

Wissenschaft heißt mitunter auch, genau hinzuschauen. Wir sollten das endlich auch in diesen Bereichen tun. Ein detailliertes Forschungskonzept dafür liegt vor, die Finanzierung hat das Wissenschaftsministerium über die laufende Leistungsvereinbarung mit der TU Wien bis zunächst Ende 2024 zugesichert. Zuletzt hieß es, das Projekt sei gecancelt worden, das Ministerium hat dies aber dementiert. Der Ball liegt somit derzeit wieder beim Rektorat der TU Wien. Nicht nachvollziehbar ist, warum man das „Wagnis GWP-Forschung“ – Forschung zu „guter wissenschaftlicher Praxis“ – nicht endlich eingeht. Stoppen kann man dann immer noch, aber warum ein vorgesehenes und budgetiertes Projekt gar nicht anlaufen lassen?

Stefan Weber

Zum letzten Absatz hat die TU Wien gegenüber science.ORF.at folgendermaßen reagiert: „Der Start des Forschungsprojekts ‚Digitale gute wissenschaftliche Praxis‘ verzögert sich derzeit. Das ist auf die vorhandenen (zeitlichen) Ressourcen zurückzuführen. Das Projekt wird als Bestandteil der aktuellen Leistungsvereinbarung 2022- 2024 durchgeführt und wird Instrumente schaffen, die von allen österreichischen Universitäten genutzt werden können. Es geht darum, beim wissenschaftlichen Nachwuchs Bewusstsein zu schaffen und Fehlern und Vergehen vorzubeugen.“