Verschiedene bunte Tabletten und Pillen
APA/dpa-Zentralbild/Matthias Hie
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Antibiotikaresistenz

Eine stille Pandemie

Es handle sich um eine stille Epidemie, warnt die EU-Gesundheitsbehörde ECDC: Antibiotikaresistenzen verursachen in Europa 35.000 Todesfälle im Jahr, Tendenz steigend. In anderen Weltgegenden, vor allem in den Ländern des Globalen Südens, ist das Sterblichkeitsrisiko noch viel höher.

Die Entdeckung des Penizillins 1928 durch Alexander Fleming war der Beginn einer medizinischen Revolution. Antibiotika haben Infektionskrankheiten wie Lungenentzündung, Cholera, Typhus oder Syphilis behandelbar gemacht. Doch das könnte sich wieder ändern. Immer mehr Bakterienstämme weisen Antibiotikaresistenzen auf. Eigentlich harmlose Infektionen können dann tödlich enden.

Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) hat am Donnerstag einen Bericht zu Infektionen mit multiresistenten Bakterien in Europa veröffentlicht. 2020 haben sich 800.000 Menschen mit solchen Bakterienstämmen infiziert, 35.000 Todesfälle sind direkt darauf zurückzuführen. „Jeden Tag sterben in den EU-Ländern und Island fast 100 Menschen an diesen Infektionen“, sagte ECDC-Direktorin Andrea Ammon bei der Präsentation.

Fünf Ziele für Europa

Es handle sich um eine stille Pandemie, die aktuell mehr Leben fordere als Influenza, Tuberkulose und HIV zusammen, so Ammon weiter. Um sie einzubremsen, habe man fünf Ziele für Europa definiert. Die EU-Mitgliedsstaaten müssten weiter daran arbeiten, resistente und multiresistente Bakterienstämme so schnell wie möglich zu erfassen. Präventionsmaßnahmen im Gesundheitsbereich, wo die meisten dieser Infektionen passieren, müssten weiter ausgebaut werden. Außerdem solle aus der Covid-19-Pandemie gelernt werden, was Handhygiene oder Hustenetikette betrifft.

Der Antibiotikagebrauch müsse weiter reduziert werden – hier zeichne sich gesamtgesehen ein positiver Trend ab, nur beim Einsatz von Breitbandantibiotika konnte das ECDC einen Anstieg dokumentieren. Hier will die Behörde auch mit den Europäischen Nahrungsmittel- und Umweltagenturen kooperieren. Denn die überwiegende Mehrheit der Antibiotika kommt in Europa in der Nutztierhaltung zum Einsatz, über die die Wirkstoffe in die Umwelt gelangen. Und es brauche nationale Aktionspläne, die ausreichend finanziert werden müssen. In Österreich wurde ein entsprechender Aktionsplan 2018 überarbeitet und weiterentwickelt.

Risiko global nicht gleich verteilt

Seit einigen Jahren zählt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die steigende Zahl der antimikrobiellen Resistenzen zu den größten globalen Gesundheitsgefahren und macht mit einer Aktionswoche, die am 18. November startet, auf das zunehmende Problem aufmerksam. Noch zeige sich dieses gravierende Problem vor allem in den Ländern des globalen Südens, sagt Marcus Bachmann von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen: „Das Sterblichkeitsrisiko bei antimikrobiellen Resistenzen ist weltweit nicht gleich verteilt, denn das größte Sterblichkeitsrisiko sehen wir bei Patientinnen und Patienten in Subsahara-Afrika.“

Das zeigte etwa eine Studie, die Anfang 2022 in der Fachzeitschrift „The Lancet“ erschien. Die Forschenden kamen zu dem Schluss, dass sich im westlichen Afrika südlich der Sahara von 100.000 Todesfällen 24 unmittelbar auf eine Infektion mit einem resistenten Erreger zurückführen lassen. In reicheren Industrieländern sind es der Studie zufolge nur 13 Todesfälle von 100.000. Auch das ECDC zeigt im aktuellen Bericht ein regionales Gefälle: Die niedrigsten Prozentsätze von Antibiotikaresistenzen wurden aus nordeuropäischen Ländern gemeldet, die höchsten findet man im Süden und Osten Europas.

Unterstützung für schwache Infrastrukturen

Wie bei vielen anderen globalen Krisen sei es auch bei Antibiotikaresistenzen so, dass diejenigen, die am meisten darunter leiden, nicht zu den Hauptverursachern zählen, sagt Bachmann. Antibiotika werden in reicheren Ländern zu oft und oft falsch eingesetzt. Hauptproblem sei jedoch die Massentierhaltung, sagt Bachmann. Drei Viertel aller Antibiotika gelängen über Nutztiere wie Schweine, Rinder oder Geflügel in die Umwelt.

Bakterielle Infektionen zu behandeln, kann für medizinisches Personal in strukturschwächeren Regionen herausfordernd sein. Um den richtigen Wirkstoff zu finden, muss ein Antibiogramm erstellt werden. Der Bakterienstamm wird im Labor getestet, das Antibiogramm zeigt, welche Antibiotika wirken und welche nicht. Um dieses Vorgehen auch in Krisengebieten oder Regionen mit schwacher medizinischer Infrastruktur zu ermöglichen, hat die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die App Antibiogo entwickelt.

App führt zum richtigen Antibiotikum

„Mit dieser App können wir sicherstellen, dass auch in sehr abgelegenen Gebieten, in ressourcenschwächeren Kontexten, die Antibiogramme verlässlich ausgelesen werden können“, so Bachmann. Und zwar mit Hilfe künstlicher Intelligenz und von Fachleuten, die die Antibiogramme zusätzlich interpretieren. Die App ist bei Ärzte ohne Grenzen frei zugänglich und funktioniert auch offline. Die Ergebnisse werden so schnell wie möglich von der App ausgespielt – die Patientinnen und Patienten erhalten, sofern vorhanden, das richtige Medikament.