Jemand führt bei einer Chinesin einen PCR-Test durch
APA/AFP/STR
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China fehlt Covid-Exit-Strategie

China verfolgt nach wie vor das Ziel von „null Covid“. Mit den ansteckenderen Omikron-Varianten wird das immer schwieriger. China fehlt laut Fachleuten eine Exit-Strategie – wozu etwa wirksamere Impfungen gehören müssten.

China ist die letzte große Volkswirtschaft, die auf eine sehr strenge Null-Covid-Politik setzt. Selbst kleine CoV-Ausbrüche können zu Lockdowns bis hin zur Abriegelung ganzer Städte und zu Betriebsschließungen führen, was die Wirtschaft und den Alltag der Menschen stark belastet.

Jüngstes Beispiel: der Wohnungsbrand mit zehn Todesopfern in der Millionenmetropole Ürümqi in der Nordwestregion Xinjiang. Viele Menschen in China sind überzeugt, dass strenge CoV-Beschränkungen eine Rettung verhindert haben – das hat am Wochenende zur größten Protestwelle seit Jahrzehnten gesorgt.

Strategie gegen Omikron „verpennt“

Trotz strenger Maßnahmen rollt die schlimmste Coronavirus-Welle seit Ausbruch der Pandemie vor knapp drei Jahren über das bevölkerungsreichste Land. Anfangs hatte die Null-Covid-Politik ja noch funktioniert. Den Erfolg verbuchte die Propaganda auf das Konto von Xi Jinping – dessen Name jetzt unauslöschlich mit der strikten Politik verbunden ist. Im Systemwettbewerb mit Demokratien feierte der seit Pandemiebeginn abgeschottete chinesische Kommunismus seine scheinbare Überlegenheit, während andere westliche Länder noch mit dem Virus zu kämpfen hatten, das sich derweil weiterentwickelte.

„Das war natürlich ein anderes Virus“, sagte ein europäischer Gesundheitsexperte in Peking. „Es war eine andere Situation.“ Australien und Neuseeland hatten erst ähnliche Null-Covid-Pläne verfolgt, um Zeit zu gewinnen. Diese hatten aber das klare Ziel, die Impfkampagne voranzubringen und sich auf einen Ausstieg vorzubereiten. „China hatte aber nie eine Strategie, wo sie hinwollen. Das ist das Riesenproblem.“ Jetzt sei das Virus im Land, habe sich etabliert. Spätestens seit Omikron hätte es eine Strategie gebraucht. „Das haben die wirklich völlig verpennt.“

Impfkampagne mit wirksameren Vakzinen

Im Kampf gegen die Pandemie sollte China deshalb so schnell wie möglich die Strategie ändern. „Zunächst müsste die Führung unabhängig von Ideologie die Bevölkerung mit den besten derzeit verfügbaren Impfstoffen versorgen“, sagte Timo Ulrichs, Experte für Globale Gesundheit an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin. Das seien aber offensichtlich nicht chinesische Vakzine, sondern angepasste mRNA-Impfstoffe aus westlichen Ländern. „China müsste da über seinen Schatten springen.“

Nach einer breiten Impfkampagne, die zunächst vor allem Risikogruppen adressieren müsste, könnten dann die strengen Corona-Maßnahmen vorsichtig nach und nach gelockert werden. Das Gesundheitssystem dürfe dabei nicht überlastet werden, so Ulrichs. Diese Strategie brauche aber viele Monate Zeit, ähnlich wie zu Beginn der Impfkampagnen in Europa.

Radikaler Strategiewechsel gefährlich

„Die Lage in China ist gefährlich für die Weltwirtschaft, aber auch für die Weltgesundheit“, sagte der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie. In einer Bevölkerung, in der so viele noch keine Booster-Impfung erhalten hätten und über geringere Immunität verfügten, sei die Gefahr groß, dass sich das Virus stark verbreite und dadurch noch weiter mutiere. „Das kann für uns alle negative Folgen haben.“

Die Situation in China gehe vor allem auf die politische Entscheidung der Null-Covid-Strategie zurück, so Zeeb. „Das Vorgehen ist aber aus meiner Sicht nicht realistisch durchhaltbar.“

Eine radikale Abkehr von der derzeitigen Strategie mit einem sofortigen Ende aller Maßnahmen wäre allerdings „kontraproduktiv und gefährlich“, ergänzt Timo Ulrichs. „Das Virus träfe auf eine Bevölkerung, die fast keinen Immunschutz dagegen hat.“ Die Folge wäre eine massive Durchseuchung, ein überlastetes Gesundheitssystem und viele Kranke und Tote.

Perspektive nötig

Aber auch ein „Weiter so“ ist für Ulrichs keine gute Option. „Dadurch schiebt die Regierung das Problem nur vor sich her.“ Das Land würde auf unbestimmte Zeit in der aktuellen Situation verharren. „Das macht sicher auch die Bevölkerung nicht mehr lange mit.“ Die Menschen bräuchten eine Perspektive, wie China aus der aktuellen Situation herauskommt.

Zwar habe das Land mit seiner Null-Covid-Strategie Zeit gewonnen. Allerdings sei diese nicht genutzt worden, um die Bevölkerung bestmöglich zu impfen und eine vorsichtige Öffnung zuzulassen. Spätestens als klar geworden sei, dass die chinesischen Vakzine nicht so gut wirken, hätte man die Strategie ändern müssen.