Heizkörper einer Zentralheizung
ORF.at/Patrick Bauer
ORF.at/Patrick Bauer
Energiewende

Die Stadt als Heizkörper

Eine der größten Herausforderungen der Energiewende betrifft die Heizung – speziell in Städten wie Wien, wo es viele Altbauten mit Gasthermen gibt. Fachleute haben nun ausgerechnet, dass auch in solchen Städten Heizen flächendeckend ganz ohne Öl und Gas möglich ist – sie könnten dank Sonne, Erde und Grundwasser quasi zu ihrem eigenen Heizkörper werden.

Das berichtet ein Team um Gerhard Bayer von der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT). „Wien etwa könnte sich mit erneuerbaren Energien komplett selbst mit Wärme versorgen“, so Bayer gegenüber den Ö1 Dimensionen. Und zwar mit Hilfe eines neuartigen Anergienetzes: Dazu braucht es kein künstliches Aufheizen und kein Verbrennen von Öl, Erdgas, Kohle oder auch Holz, sondern ausschließlich natürliche Wärme – die gesammelt, gespeichert und bei Bedarf mittels Wärmepumpen verteilt wird.

Ö1 Sendungshinweis

Neue Wärme in alten Mauern: Dimensionen, 29.11, 19.05 Uhr.

Mittels Solarkollektoren sowie durch Abwärmenutzung können emissionslos Wärmequellen angezapft werden. Diese gewonnene Wärme wird in weiterer Folge über Erdsonden im Boden gespeichert. Im Sommer lässt sich die überschüssige Wärme mittels Erdsonden abführen und speichern, im Winter kann man auf die im Boden gespeicherte Wärme über die gleichen Erdsonden wieder zugreifen. Wärmepumpen fördern die Wärme zurück in die Häuser.

Erfolgreicher Pilotversuch

Seit zwei Jahren liefert die Startzelle Geblergasse im 17. Wiener Gemeindebezirk erste Erfahrungen. Und die geben Anlass größer zu denken: Denn das Anergienetz ist modular aufgebaut und kann sukzessive wachsen. Zuerst zwei, dann drei miteinander verbundene Liegenschaften und zum Schluss die ganze Stadt! Eine Utopie? Der Pilotversuch stärkt das Unterfangen, Wärme aus Sonne, Erde und Grundwasser nicht nur lokal zu nützen, sondern auch über die dicht bebaute Stadt zu verteilen – ganz ohne Erdgas.

Der Pilotversuch in der Geblergasse
ORF
Pilotversuch in Wien-Geblergasse

Dazu braucht es Erdsonden, die in Bohrlöchern mit einem Durchmesser von rund 15 Zentimeter bis zu einer Tiefe von 135 Meter verlegt werden. Die Sonden sind mit einem Zement-Bentonit-Gemisch geschützt und können die Umgebungswärme von Boden bzw. Grundwasser aufnehmen. Studienautor Gregor Götzl von der Geologischen Bundesanstalt: „Wenn ich die oberflächennahe Geothermie zum Heizen nutze, hole ich die Wärme der Stadt, die durch Klimawandel und Überbauungen auch den Boden aufheizt, wieder heraus.“ An manchen Orten Wiens beträgt die Bodentemperatur schon 18 Grad gegenüber den durchschnittlichen zwölf Grad Celsius.

Viele Bohrungen, aber keine Bodenvernichtung

Zwar sind Kanal-, Trinkwasser-, Glasfaser-, Stromleitungen auch schon dicht im städtischen Untergrund verlegt, doch wäre es laut Studie möglich, noch zusätzlich Erdsonden einzubringen. Wenn Gehsteige, Parkstreifen für Autos und Grünanlagen auch verwendet werden dürfen. Jetzt mag man sich fragen, ob denn der Boden nicht schon genug ausgebeutet ist. Doch die Geothermieexpertin Edith Haslinger vom Austrian Institute of Technology sagt: „Bei der Geothermie wird kein Boden vernichtet. Das ist im Gegensatz zu anderen Energiegewinnungsformen keine Bodenvernichtung, sondern extrem landschaftsschonend.“

Es gibt strenge Bestimmungen beim Bodenschutz, die auch eingehalten werden müssen. Sind die Erdsonden einmal verlegt, können sie überbaut oder mit Humus überdeckt werden, dass man sie nicht sieht. Und das Netz könnte stetig wachsen. Die Kombination aus Solarpaneelen auf dem Dach und der Erdwärme bzw. der Wärme aus dem Grundwasser steigert die Möglichkeit, die gesamte Stadt als Heizkörper zu nutzen – und wegzukommen von thermischen Insellösungen in den Wohnungen.

Die Studie AnergieUrban1 hat gezeigt, dass das für ganze Städte möglich ist. Im Auftrag des Klimaschutzministeriums, des Städtebundes und der Stadt Wien haben die Studie die Technische Universität Wien, die Geologische Bundesanstalt, die Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik, ÖGUT, und das Architekturbüro Zeininger durchgeführt.