Eine Frau im Rollstuhl sitzt mit einem Megafon in der Hand
makalish – stock.adobe.com
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Behinderung

Reduktion, die wütend macht

Wenn Menschen mit Behinderung überhaupt in den Medien vorkommen, dann meist als Opfer oder Held: Diese Darstellung ist ebenso problematisch wie die Reduktion auf das Thema Inklusion. Bei den Betroffenen erzeugt das oft Wut.

Der 22-jährige Riccardo Aldighieri ist Influencer, Modedesigner und er hat eine Behinderung. Eine inspirierende Biographie finden manche Medien und loben ihn für seinen selbstverständlichen Umgang mit seiner Behinderung: eine problematische Darstellung, die man auch als „Inspiration Porn“ bezeichnen kann. Darunter versteht man Berichterstattung, in der Menschen mit Behinderung und alles, was sie machen, als Inspirationsquelle angesehen wird.

Kaum Repräsentation in den Medien

Wenn Menschen mit Behinderung in Medienbeiträgen vorkommen, als Protagonistinnen und Protagonisten oder als Expertinnen und Experten, ist diese problematische Darstellung kein Einzelfall: Viele Beiträge klingen so, sagt der Journalist Jonas Karpa, der unter anderem für Leidmedien.de arbeitet – ein Projekt, das Journalistinnen und Journalisten berät, was klischee- und diskriminierungsfreie Berichterstattung über Behinderung betrifft. „Man hat in Medien entweder die Heldengeschichte, in der Menschen mit Behinderung überhöht werden, oder sie werden als Opfer dargestellt, also leidend.“

Obwohl in Deutschland 13 Prozent und in Österreich rund 18 Prozent der Bevölkerung eine Behinderung haben, sind sie im Fernsehen, Radio oder in Printmedien immer noch unterrepräsentiert. Eine Art Berührungsangst, meint Jonas Karpa. „Es ist immer noch etwas Besonderes, wenn man mal einen Menschen mit Behinderung in den Medien sieht.“

Wenn Menschen mit Behinderung in den Medien vorkommen, sind es oft klischeehafte Zeichnungen, die an der Realität der betroffenen Menschen vorbeigehen. Schließlich sei das Spektrum viel größer als “Held bzw. Heldin" oder “leidende Person", sagt der Journalist. Und ganz generell fühlen sich viele auf diesen Aspekt ihres Lebens, die Behinderung, reduziert. Es geht nicht nur darum, wie sie dargestellt werden, sondern auch, was sie selbst zu sagen haben – und vor allem sagen dürfen.

Nur zum Thema Behinderung gefragt

„Ich fühle mich selber auch oft reduziert“, sagt Miriam Labus, die das Behindertensport-Magazin “Ohne Grenzen" auf ORF SPORT+ moderiert. „Der Rollstuhl und die Behinderung ist ein Teil von mir und gehört zu mir, aber es ist doch nur ein kleiner Teil von mir. Ich habe doch so viele andere Ecken und Kanten.“ Sie werde in der öffentlichen Wahrnehmung oft auf die Behinderung und das Thema Inklusion reduziert, erzählt die Journalistin.

Ö1-Sendungshinweis

„Wut, Lust und Inklusion“, eine Ö1-Radiokollegreihe von Freak Radio, andererseits und der Inklusiven Lehrredaktion im ORF.

Nur als Expertin oder Experte für Behinderungsthemen aufzutreten, auch das ist eine Reduktion – und weit weg von einer Normalisierung, die eigentlich gefragt und echte Inklusion wäre. Diese Reduktion kann verschiedene Emotionen auslösen.

„Ich bin manchmal genervt von immer den gleichen Anfragen zu Inklusion und Themen rund um Behinderung“, sagt Miriam Labus. Sie seien zwar gut gemeint, aber deshalb nicht zwangsläufig unproblematisch. „Ich kann nicht nur darüber reden, sondern bin auch Expertin für Sport und viele andere Themen.“

Von Wut bis Aktivismus

Auch der Journalist Jonas Karpa kennt diese Gefühle. Er versucht sie konstruktiv zu nutzen, etwa in Form von Aktivismus. „Weil wenn man jetzt nur wütend ist und die Wut ungefiltert herauslässt, dann wird man sehr schnell verbittert. Man wird dann so ein angry cripple, also ein sehr, ein sehr wütender, saurer Krüppel.“

All das immer noch erklären zu müssen, löst Frust aus. „Wenn man jetzt so ein Emoji nennen müsste, dann wäre es jenes, das die Augen verdreht“, sagt Karpa. Als Mensch mit Behinderung ist wütend zu sein, Emotionen zu zeigen, oft ein politischer Akt: Ist man unzufrieden darüber, wie man medial dargestellt wird, bedeutet das gleichzeitig eine Kritik am Status quo: einer Gesellschaft mit mangelnder Inklusion.

Ventil und Antrieb

Die Tänzerin und Performerin Cornelia Scheuer macht sich viele Gedanken darüber, wie man seine Wut am besten ausdrückt und was sie bedeutet. „Natürlich sind wir beispielsweise wütend, wenn wieder Gebäude nicht barrierefrei gebaut werden, die es eigentlich sein sollten.“ Auch die große Demonstration im September sei ein Ausdruck dieser Wut gewesen.

Ein Leben lang diskriminiert zu werden, das präge einen Menschen. Cornelia Scheuer nutzt deshalb ihre Bühnenarbeit, Tanz und Performance, um dieser Wut Ausdruck zu verleihen, sie zu transformieren. „Es ist wichtig, dass man wütend ist, weil sonst kann ich mich ja nur in der Depression verkriechen. Wut ist auch Energie, und ich darf auch manchmal ein ‚angry Krüppel‘ sein, weil ich bin es auch. Ich bin es nicht immer, aber es ist auch ein Teil von mir.“