Eines der Eulen-Schieferplättchen
Juan J. Negro
Juan J. Negro
Eulenplättchen

Ältestes selbst gebasteltes Spielzeug Europas?

Frühhistorische Kunstwerke werden oft als Darstellungen von Göttern und Göttinnen interpretiert. Spanische Forscher machen nun einen ganz anderen Vorschlag: Sie haben 5.000 Jahre alte Schieferplättchen, auf denen Eulen eingraviert sind, neu untersucht und meinen: Dabei könnte es sich um Europas ältestes Kinderspielzeug handeln – das von den Kindern selbst gebastelt wurde.

Rund 4.000 dieser Schieferplattenidole aus der Kupfersteinzeit sind in Gräbern auf der iberischen Halbinsel bisher entdeckt worden. Ende des 19. Jahrhunderts, nach den ersten Ausgrabungen, bemerkten Fachleute Ähnlichkeiten mit Steinen aus dem Alten Ägypten. Jahrzehntelang galten sie vor allem als Darstellungen von Gottheiten oder Verstorbenen – und entsprechend als bedeutsam für religiöse Rituale.

Ein Blick ins Gesicht

Sie könnten aber auch eine ganz andere Bedeutung haben, schreibt ein Team um den Biologen Juan Negro von der spanischen Forschungseinrichtung CSIC in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“. Im Mittelpunkt ihrer Überlegung standen Plättchen, auf denen Eulen abgebildet sind. Bei den Vögeln handle es sich um die – nach den Affen – menschenähnlichsten Tiere, so die Forscher. Mit ihren zwei großen Augen auf dem im Vergleich zum Rest des Körpers großen Kopf haben sie Menschen schon sehr früh zu Kunst animiert – die ältesten Darstellungen sind rund 30.000 Jahre alt. Kulturübergreifend würden Eulen von vorne abgebildet, also quasi ins Gesicht blickend, und zwar im Gegensatz zu anderen Tieren, die meistens seitlich dargestellt werden. Auf den Schieferplättchen von der iberischen Halbinsel wurden bisher ausschließlich Gravierungen von Eulen und von keinen anderen Tieren gefunden.

Kinderzeichnungen von Eulen
Juan J. Negro
Eulenzeichnungen von sechs- bzw. neunjährigem Kind

100 der Schieferplättchen haben Negro und sein Team nun in einem ersten Schritt nach typischen Eulenmerkmalen untersucht, wie etwa Augen, Federkleid etc. Als Vorbild dienten zwei Eulenarten, die bis heute auf der iberischen Insel leben. In einem zweiten Schritt verglichen die Forscher die Schiefereulen aus der Kupfersteinzeit mit Eulenbildern, die Kinder zwischen vier und 13 Jahren heute gezeichnet haben. Dabei fanden sie eine Reihe von Übereinstimmungen und schlossen daraus, dass Kinder über Kulturen und Jahrtausende hinweg Eulen ähnlich wahrnehmen und darstellen.

Gefiederte Eulensteine

„Wir schlagen vor, dass die eulenähnlichen Schieferplättchen Überbleibsel von Objekten sind, die sowohl für rituelle Zeremonien als auch zum Spielen verwendet wurden“, schreiben Negro und seine Kollegen. Dafür würden auch die zwei kleinen Löcher oben auf den meisten Steinen sprechen. Ihr Zweck sei nicht, eine Schnur einzufädeln und die Steine damit aufhängen zu können, wie oft gemutmaßt – denn dazu würden Abnützungsspuren fehlen. Vielmehr könnten Kinder Federn durch die Löcher gesteckt haben, um sie den realen Eulen noch ähnlicher zu machen.

Eines der Eulen-Schieferplättchen im Vergleich mit einer realen Eule
Juan J. Negro
Eulen-Schieferplättchen im Vergleich mit einer realen Eule

Viele der Schiefersteine könnten deshalb von Kindern stammen – und nicht unbedingt von frühen Künstlerinnen oder Künstlern. „Harte Beweise“ für ihre These können die Forscher nicht liefern – aber begründete Vermutungen. Etwa dass frühere Studien gezeigt haben, dass die Herstellung eines Eulenplättchens nur – kinderfreundliche – dreieinhalb Stunden dauert. Dass die meisten Plättchen in Gräbern gefunden wurden, könnte für ihren rituellen Charakter sprechen, aber auch dafür, dass Kinder an diesen Riten teilgenommen und den Verstorbenen ihre Spielzeuge vermacht haben.

Und schließlich ein wissenschaftstheoretisches Argument: Gemäß Ockhams Rasiermesser ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen – Eulen, die Gottheiten repräsentieren, sind viel komplizierter als Spielzeug-Eulen. Harte Beweise gebe es für keine der beiden Theorien, so Negro und sein Team. Deshalb bevorzugen sie die Interpretation, wonach die Eulenplättchen „vielleicht einen der ersten flüchtigen Einblicke in das Verhalten von Kindern in der europäischen Frühgeschichte liefern“.