Lizi Rosenfeld
United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Leo Spitzer
United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Leo Spitzer
Nationalsozialismus

Neue Quellen zeigen jüdischen Widerstand

Viel mehr Jüdinnen und Juden, als man bisher angenommen hat, haben in der NS-Zeit Widerstand geleistet. Der deutsche Historiker Wolf Gruner widmete sich Polizei- und Gerichtsakten – diese ergaben ein bisher unbekanntes Bild vom jüdischen Widerstand.

Der jüdische Widerstand während der NS-Zeit wird immer noch hauptsächlich als seltene, bewaffnete Gruppenaktivität dargestellt, zum Beispiel bei Ghettoaufständen oder Partisanengruppen.

In einem Vortrag am Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien präsentiert der Historiker Wolf Gruner von der University of Southern California Erkenntnisse, die er aus bislang verborgenen Quellen gewonnen hat. Demnach haben jüdische Männer und Frauen aller Altersgruppen in Deutschland und Österreich zwischen 1933 und 1945 zahlreiche Widerstandshandlungen vorgenommen.

Kreative Einzelaktionen

Die Bandbreite der Widerstandshandlungen sei enorm gewesen, so Gruner. Manche ignorierten die Vorschrift, dass man nach 20 Uhr als jüdischer Mensch nicht mehr auf der Straße sein durfte. Andere besuchten Restaurants und Kinos, was jüdischen Menschen verboten war, oder sie legten den Stern nicht an der Kleidung an.

Auf einem Foto sieht man etwa die jüdische Wienerin Lizi Rosenfeld. Die junge Frau sitzt im August 1938 auf einer Parkbank im Stadtpark, die das Schild „Nur für Arier“ trägt. Rosenfeld blickt lebensfroh und trotzig in die Kamera. Ein mutiger Akt des Widerstands, sagt Wolf Gruner. Im Grunde genommen habe Lizi Rosenfeld aus Sicht der Nazis gleich drei Verbrechen begangen: „Sie hat sich auf diese Bank gesetzt, die für Juden definitiv nicht gestattet ist. Sie hat einen Freund ein Foto davon machen lassen und sie hat dieses Foto auch noch rausgeschmuggelt, als sie in die USA emigriert ist.“

Lizi Rosenfeld
United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Leo Spitzer

Das Foto befindet sich heute im Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C., in den USA. Wolf Gruner kennt viele solcher Beispiele für individuellen Widerstand gegen das NS-Regime. Seine Hauptquelle sind Polizei- und Gerichtsakten, in denen sich zumindest jene Fälle finden, die angezeigt wurden. Die Menschen brachen Vorschriften, verteilten Flugblätter, oder wehrten sich gegen antisemitische Angriffe.

Gerichtsprozesse und Bestrafungen

Gruner berichtet im Interview mit science.ORF.at auch von dem Hamburger David Bronstein, der 1936 ein Nazi- Symbol mit einem Spazierstock von einem Linienbus kratzt. Er kam vor Gericht und dann für einige Zeit in ein Konzentrationslager, wurde aber wieder entlassen und emigrierte schließlich nach Palästina. Dass jüdische Menschen für solche Taten vor Gericht gestellt und dann für Wochen oder Monate inhaftiert wurden zeige, dass die Nazis solche Handlungen als gefährlich angesehen und sie deshalb auch als Widerstand verurteilt haben.

Es zeige aber auch, dass sich der NS-Staat als Rechtsstaat verstanden habe, indem Gesetze angewendet und nach ihnen bestraft wurde. Im Fall der widerständigen Jüdinnen und Juden kam das Gesetz gegen heimtückische Angriffe gegen den NS Staat zur Anwendung. Viele kamen längere Zeit ins Gefängnis. Wer vorbestraft war, etwa wegen einer Verkehrsübertretung, musste ins Konzentrationslager.

Wessen Strafe noch vor Kriegsausbruch abgesessen war, der kam meist wieder frei, hat Gruner erfahren. Auch die Wienerin Lizi Rosenfeld konnte noch in die USA flüchten. Ab 1939 wurden dann die meisten Widerständler im KZ ermordet. Laut Gruner hielt der jüdische Widerstand trotzdem an, und zwar gleichermaßen von Männern und Frauen.