Grönland DNA
Beth Zaiken/bethzaiken.com
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Rekord

Älteste DNA zeigt Leben vor zwei Mio. Jahren

Im Norden Grönlands haben Forscherinnen und Forscher erstmals zwei Millionen Jahre altes Erbgut entdeckt. Die Rekord-DNA gibt nicht nur Aufschluss über die damaligen Lebensbedingungen in den nördlichen Breiten, sie könnte künftig auch im Kampf gegen die Klimaerwärmung helfen.

Heute ist der Norden Grönlands eine Art arktische Wüste – die Temperaturen sind ganzjährig niedrig, es gibt wenig Niederschlag und Flora und Fauna sind alles andere als artenreich. Eine neue Studie im Fachjournal „Nature“ zeigt aber, dass es in der nördlichen Region nicht immer so ausgesehen hat.

„Stellen Sie sich vor, Sie stehen an der Küste in der Sonne. Neben Ihnen fließt ein Fluss ins Meer und an Land steht ein fruchtbarer und artenreicher Wald, in dem Hasen, Vorfahren der Rentiere und sogar Mastodons umherstreifen“, erklärt der Studienleiter und Evolutionsbiologe Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen. Ungefähr so soll es im späten Pliozän oder im frühen Pleistozän, also vor rund zwei Millionen Jahren, im Norden Grönlands ausgesehen haben. Im Rahmen eines Pressegesprächs fügt Willerslev hinzu: „Außerdem war es im Schnitt elf bis 17 Grad Celsius wärmer als heute.“

Rekordfund in Sedimentproben

Zu dieser Erkenntnis kam das Team um den Evolutionsbiologen nach einem wahren Rekordfund. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten 41 Sedimentproben von der „Kap Kobenhavn“-Formation im nördlichsten Teil von Grönland. Lange Zeit führte das aber zu keinen brauchbaren Ergebnissen. „Die ersten Sedimentproben haben wir dort schon vor rund 18 Jahren gesammelt – vorerst, ohne daraus irgendwelche Erkenntnisse zu gewinnen“, so Willerslev.

Eske Willerslev und ein Kollege untersuchen in Grönland Sedimente auf Umwelt-DNA.
Courtesy of NOVA, HHMI Tangled Bank Studios & Handful of Films
Willerslev und ein Kollege untersuchen in Grönland Sedimente

Erst durch den technischen Fortschritt der letzten Jahre wurde es möglich, auch mikroskopisch kleine DNA-Fragmente in den Sedimentproben zu erkennen, zu untersuchen und mit modernen Datenbanken zu vergleichen. Dabei stellte sich heraus: Die DNA-Fragmente aus Grönland sind rund zwei Millionen Jahre alt und damit viel älter als alle bisher gesammelten DNA-Proben weltweit.

Den bisherigen Rekord hielt das Erbgut aus einem Mammutzahn, der im sibirischen Permafrostboden gefunden wurde. Die aus dem Hauer gewonnene DNA war zwischen 1,2 und 1,6 Millionen Jahre alt.

Große Artenvielfalt bei Tieren

Anders als bei vielen anderen Funden stammt das Erbgut aus Grönland nicht von einem einzigen Tier, wie etwa bei dem sibirischen Mammut. Die untersuchten Sedimentproben enthielten stattdessen DNA-Fragmente eines ganzen Ökosystems. „Man muss sich vorstellen, dass mit jeder Bewegung und jeder Aktivität Erbgut in Form von zum Beispiel Hautzellen zu Boden fällt. Wenn es dort durch besonders günstige Bedingungen erhalten bleibt, gibt uns die spätere Analyse des Bodens Aufschluss über alle Pflanzen und Tiere, die in der jeweiligen Region zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammengelebt haben“, so Willerslev.

In den Sedimentproben aus Grönland konnte das Forschungsteam Erbgut von zahlreichen Tieren finden. Weil es von einigen keine direkten Nachfahren gibt, konnten die Forscherinnen und Forscher aber nicht alle DNA-Fragmente zuordnen. Trotzdem hat das Team neun unterschiedliche Tierarten identifiziert, die vor zwei Millionen Jahren im Norden Grönlands gelebt haben – darunter Hasen, Vorfahren der Rentiere, Gänse, Lemminge und Mastodons.

Keine Hinweise auf Raubtiere

Sie alle sind Pflanzenfresser. DNA von Raubtieren konnten die Forscherinnen und Forscher vorerst nicht finden. „Das heißt aber nicht, dass es damals keine Fleischfresser gegeben hat – sondern, dass wir sie in den Proben einfach noch nicht gefunden haben“, so Willerslev. Der Evolutionsbiologe ist davon überzeugt, dass eine noch umfangreichere Analyse der Sedimente in der „Kap Kobenhavn“-Formation auch das Erbgut von Raubtieren zutage bringt. Welche Tiere das sind, sei derzeit aber noch reine Spekulation. „Es ist zumindest sehr wahrscheinlich, dass es sich um Raubtiere handelt, die Rentiere und Mastodons gejagt haben“, so Willerslev. Insgesamt zeige das Erbgut in den Sedimentproben jedenfalls, dass die Artenvielfalt in Grönland vor rund zwei Millionen Jahren größer war als heute.

Auch die DNA von maritimen Lebewesen, etwa von Pfeilschwanzkrebsen, wurde in den Sedimenten entdeckt. Laut dem Forschungsteam ist das ein weiterer Beweis dafür, dass es in der nördlichen Region vor rund zwei Millionen Jahren um einige Grade wärmer war.

Einzigartiges Ökosystem

Noch größer war die gefundene DNA-Vielfalt bei der Flora. Rund 100 verschiedene Baum- und Pflanzenarten haben die Forscherinnen und Forscher in den Sedimentproben gefunden und analysiert. Darunter waren etwa Pappel- und Birkenarten, Thujen und zahlreiche dem arktischen und borealen Klima zugeordnete Büsche und Kräuter.

Interessant sei dabei nicht nur, dass die Lebensbedingungen vor zwei Millionen Jahren eine größere Artenvielfalt begünstigten, sondern auch, dass die verschiedenen Arten zur gleichen Zeit in der gleichen Region vorkamen. „Heute findet man einige dieser Bäume und Pflanzen zwar immer noch in nördlicheren Gebieten, sie kommen in ihrer damaligen Zusammenstellung aber in keinem bekannten modernen Ökosystem gemeinsam vor“, so Willerslev: „Die damalige Flora und Fauna ist in dieser Form bis heute also einzigartig.“

Lehren aus der Vergangenheit

Die von dem Team gefundenen Lebewesen lebten damals in viel wärmeren Umgebungen als ihre modernen Nachfahren. „Sie konnten sich damals also irgendwie an die höheren Temperaturen gewöhnen“, so Willerslev. Aber: „Damals hat sich das Klima nur langsam verändert, die Tiere und Pflanzen hatten also genug Zeit, auf die Veränderungen zu reagieren.“ Das vergleichsweise rasche Steigen der Temperaturen durch die menschengemachte Klimaerwärmung lasse den Lebewesen hingegen kaum genug Zeit dafür.

Willerslev sieht in den Forschungsergebnissen daher auch Zukunftspotenzial. Mit weiteren Analysen sei es etwa denkbar, die Genetik der gefundenen Tiere und Pflanzen genauer zu untersuchen. So könne man jene Merkmale identifizieren, die es den Lebewesen ermöglichten, sich an die damaligen Temperaturen anzupassen. Vor allem bei den Pflanzen sieht Willerslev die Möglichkeit, diese Merkmale auf moderne Artgenossen zu übertragen und sie damit klimaresistenter zu machen.

Suche nach noch älterer DNA

Dass die Technik es mittlerweile ermöglicht, DNA-Fragmente in Sedimenten zu finden und zu untersuchen, öffne einige Türen in der Forschung. Laut dem Evolutionsbiologen ist es durchaus wahrscheinlich, dass auch noch ältere DNA in den Böden der Welt schlummert.

Neben der genaueren Analyse der Sedimente aus Grönland wird daher auch bereits nach neuen Regionen gesucht, in denen vergleichbare Forschung betrieben werden kann. Dafür sei nicht einmal ein gefrorener Permafrostboden notwendig – auch Regionen in Afrika haben das Interesse des Evolutionsforschers geweckt. Noch sei es zwar reine Spekulation, aber: „Ich würde mich nicht wundern, wenn wir irgendwann Erbgut finden, das sogar doppelt so alt ist wie jenes aus Grönland.“