Hand mit Handschuhe nimmt Blutprobe aus einem Set mit Blutproben
angellodeco – stock.adobe.com
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Long Covid

Mögliche überraschende Ursache entdeckt

Was im Körper von Long-Covid-Erkrankten vorgeht, ist noch immer nicht ganz klar. Ein Wiener Forschungsteam hat nun in Blutproben von ihnen Überraschendes gefunden: Sie enthielten nahezu keine Hinweise auf Entzündungen, dafür aber auf überschießende anti-entzündliche Reaktionen – und die könnten für die Erschöpfungszustände verantwortlich sein.

Chronische Erschöpfungszustände Konzentrations- und Herzrhythmusstörungen, Atemnot noch Monate nach einer CoV-Infektion: Rund zehn Prozent der Infizierten entwickeln derartige Symptome, die unter dem Begriff Long-Covid-Syndrom (LCS) zusammengefasst werden. Die Diagnose und die Behandlung dieses vielfältigen neuen Krankheitsbildes, das die Lebensqualität stark beeinträchtigen kann, sind nach wie vor schwierig.

Ein Forschungsteam der „Joint Metabolome Facility“ von der Universität Wien und der Medizinuniversität Wien untersuchte nun mit modernen Analyseverfahren das Blutplasma von drei Gruppen mit jeweils 13 Versuchspersonen: Gruppe 1 hatte deutlichen Long-Covid-Symptome, Gruppe 2 blieb nach einer Covid-19-Infektion symptomlos und Gruppe 3 war geimpft und nicht infiziert. Die Methoden erlauben es, die zum Zeitpunkt der Blutabnahme ablaufenden Prozesse im Körper nachzuvollziehen, so das Forschungsteam. Ihre Studie ist soeben als Preprint, also als noch nicht vollständig von der Fachgemeinde überprüfte Studie, im Fachjournal „iScience“ erschienen.

Abwehr verursacht Entzündungsreaktionen

Der Hintergrund: Im Zuge einer Virusinfektion kommt es normalerweise zu einer sehr starken Aktivierung des Immunsystems – und damit auch zu Entzündungsreaktionen. Das Immunsystem wendet sich gegen die Erreger und nimmt dabei mitunter auch gesunde Strukturen ins Visier. Ist die Erkrankung zurückgedrängt, kommen verstärkt Prozesse in Gang, die die Entzündungsreaktion wieder zurückfahren.

Hinweise auf solche Entzündungen im Plasma – etwa Zytokine – waren bei den untersuchten Long-Covid-Erkrankten allerdings praktisch nicht vorhanden. Bei den Gesunden waren diese Werte deutlich höher, und nochmals höher waren sie bei den Genesenen, die keine Symptome hatten.

Überaktive Immunzellen

Im Gegensatz dazu waren in der Long-Covid-Gruppe die Konzentrationen anti-entzündlich wirkender Stoffwechselprodukte gegenüber den Kontrollgruppen deutlich erhöht. „Am Anfang habe ich mir das gar nicht erwartet“, sagte einer der Hauptstudienautoren, der Leiter der „Joint Metabolome Facility“, Christopher Gerner, im Gespräch mit der APA. So zeigte sich etwa, dass in den Proben von Long-Covid-Patienten die antientzündlichen Verbindungen Taurin und Hypaphorin prominent vertreten waren. Von Hypaphorin ist etwa bekannt, dass es in Tieren spontan Schlaf auslösen kann.

Insgesamt deuten die Blutplasmaanalysen darauf hin, dass spezielle Immunzellen (polarisierte Makrophagen), die nach Infektionen die Regenerationsprozesse federführend steuern, überaktiv sind. „Im akuten Covid-Stadium treiben die Makrophagen die Entzündung voran. Sie können dann aber switchen: Wird der Gewebeschaden zu groß, sattelt ein und dieselbe Zelle dann auf Regeneration um“, sagte Gerner. Letzteres scheint bei Long-Covid zu entgleiten und nicht etwa die Entzündungsreaktion selbst, wie das bei einer Autoimmunerkrankung, wo sich das eigene Immunsystem gegen Teile des Körpers wendet, der Fall ist.

Möglicher Therapieansatz

Diese Erkenntnis sei auf den ersten Blick „irritierend“, passe aber erstaunlich gut zu dem beobachteten Krankheitsbild. „Der ganze Körper ist ja schlaff, energielos, man ist müde und erschöpft. Das ist ja keine lokale Erkrankung, es betrifft die Regulation des gesamten Organismus“, so Gerner: Das lasse sich mit der überschießenden antientzündlichen Reaktion „wesentlich besser erklären“.

Auf Basis dieser Erkenntnisse „wollen wir natürlich eine Diagnostik aufbauen, die auf molekularen Parametern beruht“, so Gerner. Dafür brauche es aber Studien mit deutlich mehr Patientinnen und Patienten. Gerade die Long-Covid-Erscheinungsform, bei der die Ermüdung stark im Vordergrund steht, lasse sich so gut gesichert nachweisen, ist das Team überzeugt. Schafft man es, in die entgleiste Antientzündungsreaktion gezielt einzugreifen, wäre das auch ein vielversprechender Therapieansatz. Hier handle es sich aber um ein sehr komplexes Wechselspiel, für das die Behandlungsoptionen erst abgewogen werden müssen, so Gerner.