Erstes Foto des James-Webb-Teleskops
AP/NASA/ESA/CSA/STScI
AP/NASA/ESA/CSA/STScI
James-Webb-Teleskop

Wissenschaftlicher Durchbruch des Jahres

Anfang des Jahres hat das James-Webb-Weltraumteleskop sein Ziel im All erreicht. Erste Bilder anderer Galaxien und Planeten hat es bereits geliefert – künftig erhoffen sich die Weltraumorganisationen aber noch sehr viel mehr. Das Fachmagazin „Science“ kürte den Weltraumflug des Teleskops nun zum „wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres“.

Die lange Reise ins All startete für das James-Webb-Space-Teleskop (JWST) schon am 25. Dezember 2021. Rund ein Monat dauerte es, bis das hochkomplexe Teleskop an seinem Zielort, dem sogenannten Lagrange-Punkt L2 ankam. Die Strecke zum rund eineinhalb Millionen Kilometer entfernten Ziel war für das große Teleskop und die hochpräzisen Geräte alles andere als leicht zu überwinden. Das weiß auch der Astrophysiker Manuel Güdel von der Universität Wien, der ein wichtiges Instrument für das Teleskop entwickelt hat: „Der ganze Flug zum Zielpunkt war eine riesige Herausforderung“.

Schon allein die Größe des Teleskops war ein Problem. „Der Platz war wirklich sehr beschränkt, das ganze Teleskop war beim Start also extrem zusammengefaltet“, so Güdel gegenüber science.ORF.at. An bestimmten Wegpunkten auf der Reise durchs All wurden die Teile, inklusive dem großen Spiegel des Teleskops, wieder langsam ausgeklappt.

Der letzte Blick auf das James Webb Teleskop, im Hintergrund die Erde.
NASA, ESA
Der letzte Blick auf das James Webb Teleskop, im Hintergrund die Erde

Außerdem gab es viele bewegliche Mechanismen an Bord, die unabdingbar für die Forschungsarbeit sind und auf der Reise extra geschützt werden mussten. „Wenn einer dieser Mechanismen nicht funktioniert, wäre das ein großes Problem“, erklärt der Astrophysiker. Wegen der weiten Entfernung zur Erde sind Reparaturen am Teleskop unmöglich. „Jeder Tag brachte neue Herausforderungen mit sich – zum Glück hat bei der Reise ins All aber alles einwandfrei funktioniert.“

Blick in die Entstehung des Universums

Als das JWST im Jänner 2022 schließlich auf seine Position kam, dauerte es noch knapp ein halbes Jahr, bis es Ergebnisse lieferte. Im Juli kamen schließlich die ersten Bilder aus dem All – und zwar in einer nie zuvor dagewesenen Qualität. In der Wissenschaft und speziell der Astrophysik öffneten sich so einige Türen. „Wir beginnen jetzt erst zu verstehen, wie Planeten im Detail entstehen und wie sie sich chemisch formen“, erklärt Güdel.

Jupiter
NASA, ESA, Jupiter ERS Team; ima
Jupiter

Mit der hochpräzisen Infrarottechnologie des Teleskops sei es unter anderem erstmals möglich, ganze Galaxien bei ihrer Entstehung zu beobachten. „Im ganz weit entfernten Universum sehen wir jetzt sogar Galaxien, die zu den Allerersten gehören, die überhaupt geformt wurden. Und wir beobachten sie bei der Entstehung, also kurz nach dem Urknall“, schwärmt der Astrophysiker. Möglich sei der Blick in die Vergangenheit nur, weil die von den Galaxien ausgehende Infrarotstrahlung viel Zeit benötigt, um die extrem große Entfernung zum Teleskop zurückzulegen.

Die Suche nach Leben

Neben den neuen Erkenntnissen zur Entstehung des Universums ist das Teleskop aber auch interessant, um einzelne Planeten genauer denn je zu untersuchen. Die hochauflösenden Bilder geben Forscherinnen und Forschern die Möglichkeit, neue und erdähnliche Exoplaneten zu entdecken und die Zusammensetzung ihrer Atmosphäre zu bestimmen. Erst vor kurzem wurde mithilfe des JWST erstmals Schwefeldioxid (SO2) in der Atmosphäre eines Planeten außerhalb des Sonnensystems nachgewiesen.

Da angenommen wird, dass der Schwefelanteil in der Atmosphäre seit der Entstehung des Planeten relativ unverändert ist, bildet er für die Forschung ein spannendes Zeitfenster in die ferne Vergangenheit. „Wir sind jetzt auch erstmals im Stande, eventuell Nachweise zu finden, die klären, ob es Biosignaturen in den Atmosphären dieser Exoplaneten gibt“, so Güdel. Der Astrophysiker meint damit Hinweise auf Prozesse, die vielleicht von Lebensformen stammen könnten – etwa das Vorhandensein von Sauerstoff oder Kohlenstoffdioxid.

Kontroverse Namensgebung

Die Meinungen rund um das JWST waren aber nicht immer einstimmig positiv. Vor dem Start im Jahr 2021 kam es etwa zu Diskussionen rund um dessen Benennung nach dem ehemaligen NASA-Leiter James E. Webb. Nicht alle waren mit dem Namen einverstanden. Webb wurde vorgeworfen, vor allem homosexuelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den 1950er- und 1960er-Jahren diskriminiert zu haben. Vor dem Start des Teleskops gab es daher eine Petition mit über 1.200 Unterschriften, in der die Umbenennung des Teleskops gefordert wurde.

 Cartwheel Galaxy,
NASA, ESA, CSA, STScI
Cartwheel Galaxy

Aus der Namensänderung wurde bisher aber nichts. Der aktuelle NASA-Administrator Bill Nelson meinte, dass es für das unter Kritik stehende Verhalten von Webb zu wenige Beweise gibt, um eine Umbenennung rechtfertigen zu können. Auch Güdel sieht im Namen des Teleskops nicht unbedingt ein Problem, laut ihm sollte der Kontroverse aber auf jeden Fall Beachtung geschenkt werden: „Die Namensgebung hat bereits stattgefunden, das ist jetzt auch nicht mehr zu ändern“. Trotzdem müsse der Gleichbehandlung am Arbeitsplatz mehr Aufmerksamkeit zukommen. „Vielleicht sollte man unabhängig von der Namenskontroverse die Sensibilität in der Wissenschaft extra auf diese Fragen lenken und darüber ausführlicher diskutieren.“

Spannende Jahre für die Astrophysik

Das JWST ist nun seit wenigen Monaten aktiv. Güdel ist sich sicher, dass die kommenden Jahre vor allem im Bereich der Astrophysik äußerst spannend werden. „Es wird natürlich zu vielen Beobachtungen kommen, die bisher nicht möglich waren – wir hatten einfach bisher noch nie Instrumente zur Verfügung, die an die Fähigkeiten des JWST herankommen“. Dass der Weltraumflug des Teleskops stellvertretend für das gesamte Projekt zum „Science“-Durchbruch des Jahres gekürt wurde, ist laut dem Astrophysiker erfreulich, aber auch berechtigt. Immerhin stecken im Projekt über zwanzig Jahre Entwicklungszeit, die Arbeit von tausenden Expertinnen und Experten und über zehn Milliarden US-Dollar.

Die Neptun-Aufnahme
NASA, ESA, CSA, und STScI
Neptun

„Insgesamt ist das James-Webb-Space-Teleskop sicher ein wissenschaftliches Highlight des Jahres 2022. In der Astrophysik würde ich sagen, ist es sogar DAS Highlight. Ein Durchbruch, wie die erfolgreiche Positionierung des Weltraumteleskops, ist etwas Einzigartiges“, so Güdel.

Uraltes Ökosystem und kreative Computer

Neben dem „Durchbruch des Jahres“ zählt die Fachzeitschrift „Science“ einige weitere Entwicklungen auf, die das Wissenschaftsjahr 2022 prägten: darunter die Rekonstruktion eines zwei Millionen Jahre alten Ökosystems aus alter DNA, die Entdeckung der größten Mikrobe der Welt und neue Erkenntnisse darüber, wie die Beulenpest das europäische Erbgut geprägt hat.

Weitere bahnbrechende Forschungsarbeiten beschäftigten sich mit der Impfung gegen RS-Viren, Fortschritten im Bereich der kreativen Künstlichen Intelligenz, der erfolgreichen DART-Mission der NASA, mit der ein Asteroid aus seiner Bahn gelenkt wurde und mit der Entdeckung eines Virus, das für Multiple Sklerose mitverantwortlich sein könnte.