Mehr als 1.000 offene Punkte hatte der ursprüngliche Verhandlungstext für ein Weltnaturabkommen. Viele davon konnte man bereits klären, doch die Kernpunkte seien weiterhin strittig, berichtet der Ökologieprofessor Paul Leadley, der an der Konferenz teilnimmt: „Alles hat sich jetzt auf einige wenige Schlüsselkomponenten konzentriert, und zwar auf die Finanzierung, auf das, was wir Zugang und Vorteilsausgleich nennen und auf den globalen Biodiversitätsrahmen selbst, der die Ziele für 2030 festlegt.“
Sehr viel Zeit werde mit Wortklauberei verbracht; mit der Diskussion über Nuancen von Wortbedeutungen, berichtet der Forscher. Aus seiner Sicht werde damit auch Zeit vergeudet, die man eigentlich bräuchte, um Kompromisse in den grundlegenden Fragen zu erzielen.
Nutzung genetischer Ressourcen
Eine dieser grundlegenden Fragen ist jene nach der Abgeltung genetischer Ressourcen. Derzeit sind internationale Datenbanken mit genetischen Informationen über Pflanzen, Tiere und Mikroben frei zugänglich. Länder des globalen Südens fordern, an dem Profit beteiligt zu werden, der aus der Nutzung dieser Datenbanken entsteht, besonders wenn die Daten aus ihren Ländern stammen. Pharma- und Kosmetikunternehmen sollen beispielsweise in einen Fonds einzahlen, wenn sie diese Daten für ihre Produkte nutzen. Das Geld wiederum wollen die Länder nutzen, um Schutzgebiete zu etablieren und Ökosysteme wiederherzustellen.
In Montreal endlich beschlossen werden soll das „30 bis 30“-Ziel, also der weltweite Schutz von 30 Prozent der Fläche an Land und im Wasser. Aus Wissenschaftssicht seien 30 Prozent Schutzgebiete großartig, sagt Paul Leadley, aber man werde damit allein keine positive Zukunft für Natur und Menschen erreichen, wenn man nicht parallel gegen den Klimawandel, gegen invasive Arten und gegen Umweltverschmutzung vorgeht.
Wenn man die Umweltverschmutzung, die Überfischung und die Waldrodung auf der restlichen Fläche nicht reduziere, verliere man weiterhin viele Arten. Zudem seien auch bestehende Schutzgebieten stark belastet. Nur ein Bruchteil davon sei Wildnis, der Großteil werde bewirtschaftet; unter Umständen werden sogar Pestizide ausgebracht. „Man muss all diese Belastungen reduzieren – in und außerhalb von Schutzgebieten“, sagt der Ökologe.
Qualität von Schutzgebieten
Noch sei offen, wie gut geschützt die Schutzgebiete werden, warnt die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Ob „nachhaltige Nutzung“ erlaubt ist oder „schädliche Aktivitäten“ verboten werden, entscheide darüber, wie stark die Artenvielfalt schlussendlich geschützt wird.
Zudem müsse sichergestellt werden, dass die Rechte Indigener, die auf potenziellen Schutzgebieten leben, gewahrt werden. „Ein erfolgreiches Artenschutz-Abkommen kann nur im Zusammenspiel von Menschenrechten und Naturschutz gelingen“, sagt Ursula Bittner, Artenschutzexpertin bei Greenpeace in Österreich. „Doch momentan könnten die Rechte von Indigenen zu leeren Worthülsen werden.“
„Ökosysteme können sich rasch erholen“
Auch wenn er seit Jahren bei Umweltverhandlungen dabei ist, sei es immer noch unglaublich frustrierend zu sehen, wie wenig politisch weitergeht, sagt Paul Leadley. Noch dazu seien nicht alle Diskussionen wissenschaftsbasiert. „Angesichts der Dringlichkeit der Situation ist es wirklich wichtig, sich auf zentrale Fragen zu konzentrieren und Lösungen zu finden.“ Es sei möglich das Artensterben einzudämmen, das zeigen wissenschaftliche Modelle, sagt Leadley, der auch als Autor für den Weltbiodiversitätsrat IPBES tätig ist. Dafür sei aber ein koordiniertes Vorgehen mit vielfältigen, miteinander verbunden Maßnahmen notwendig.
Ziel müsste sein, das Artensterben bis 2030 einzudämmen, um anschließend „die Kurve nehmen zu können“. Die Natur könne sich recht rasch erholen, weiß der Ökologe aus seiner eigenen Forschung. Würde man beispielsweise die Grundschleppnetzfischerei in den Ozeanen stoppen, würde deren Wiederherstellung unmittelbar beginnen. „Diese Ökosysteme können sich rasch erholen. Zumindest Teile davon würden rasch zurückkehren.“ Nicht zuletzt während der Corona-Pandemie habe man gesehen, dass die Natur sich erholen könne, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern.