Die Historikerin Katrin Unterreiner liest eine chiffrierte Nachricht von Kronprinz Rudolf
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Geschichte

Die „Chatprotokolle“ des Kronprinzen

Kronprinz Rudolf ist der Politik seines Vaters Franz Joseph I. kritisch gegenübergestanden und hat in verschlüsselten Artikeln und Briefen gegen ihn agitiert. Nun wurde sein Chiffriergerät geknackt – der Geschichtsforschung öffnet die Entdeckung seiner „Chatprotokolle“ neue Türen.

„Ich komme eben nach Hause von Bubenoc“ und „Bei der Rickfahrt nahe dem Sandt“ – als Rudolf diese rätselhaften Sätze verfasste, irgendwann zwischen 1878 und 1883, war der getriebene Kronprinz bereits einer der schärfsten Kritiker seines kaiserlichen Vaters. Doch er musste aufpassen, dass ihm keiner auf die Schliche kam. Also verschlüsselte er seine Korrespondenz.

Mysteriöses Chiffriermäppchen

Dazu verwendete er eine Messingschablone mit kleinen Löchern und quadratische Papierzettel. Das „Chiffriermäppchen“ liegt als Exponat im Wiener Möbelmuseum auf – ein kleines Ledertäschchen, das die Schablone und verschlüsselte handgeschriebene Zettelchen beinhaltet. Bisher wusste man weder, wie das Chiffriergerät verwendet wurde, noch was in den verschlüsselten Texten versteckt ist.

Sendungshinweis

„Universum History“: „Duell der Kronprinzen – Rudolf von Österreich und Wilhelm von Preußen“. Di. 20.12., 21.07 Uhr, ORF1.

Im Zuge der „Universum History“-Produktion „Duell der Kronprinzen“ fand die Regisseurin Iris Fegerl in Zusammenarbeit mit der Historikerin Katrin Unterreiner heraus, welche Technik von Rudolf angewendet wurde. Da das Original die Vitrine nicht verlassen darf, wurde ein Ausstatter beauftragt, die Schablone nachzubauen. Fegerl selbst befüllte die quadratischen Papierzettelchen nach Vorbild des Originals. „Trotzdem blieb immer noch die Frage: Wie funktioniert es?“, erzählt die Regisseurin.

„Universum History“: „Duell der Kronprinzen – Rudolf von Österreich und Wilhelm von Preußen“

Beide Prinzen Rudolf von Österreich und Wilhelm von Preußen leiden unter der ihnen von ihrer Familie zugedachten Rolle. Sie sind gewissermaßen verdammt, eine Welt aufrechtzuerhalten, die im Begriff ist unterzugehen. Beide müssen Traumata aus der Kindheit erdulden – das verbindet sie. Auf der anderen Seite trennend sind ihre politischen Ziele und Weltanschauungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

„Fleißner‘sche Schablone“

Der entscheidende Tipp kam vom Deutschen Spionagemuseum: Der dortige Sammlungsleiter Florian Schimikowski erklärte, dass es sich bei der Verschlüsselungstechnik um Steganografie handeln muss: Diese versteckt eine Nachricht in einem anderen Text – anders als die Kryptografie, bei der der Text selbst verändert wird. Bei Rudolfs Chiffriergerät handelt es sich demnach um eine Variation einer sogenannte Fleißner´schen Schablone, die seit der Renaissance bekannt ist und auch im Ersten Weltkrieg fleißig benutzt wurde.

„Die Anwendung ist simpel“, erklärt Schimikowski. „Man legt die Schablone auf ein Stück Papier und schreibt die geheime Nachricht in die offenen Stellen. Sobald alle Felder ausgefüllt sind, dreht man die Schablone um 90 Grad und schreibt die Nachricht in die nun offenen Felder weiter. Nachdem die Schablone entfernt wurde, füllt man die immer noch freien Stellen mit „Buchstabengewirr“ aus, um die geheime Nachricht darin zu verstecken“. Fegerl experimentierte mit den unterschiedlichen Varianten, bis sie den Dreh heraußen hatte. „In dem Täschchen steckt sogar eine kleine Anleitung mit Spielregeln, die Rudolf verfasst hat“, sagt die Regisseurin. Diese waren bei der Dechiffrierung hilfreich.

Die Historikerin Katrin Unterreiner liest eine chiffrierte Nachricht von Kronprinz Rudolf
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Historikerin Katrin Unterreiner mit dem Nachbau der Chiffrierschablone

Rudolfs geheime Korrespondenz

Rudolf korrespondierte vor allem mit Moritz Szeps, Journalist und Verleger der liberalen Zeitung „Neues Wiener Tagblatt“. Die Texte des Kronprinzen, in denen er sich für eine Zusammenarbeit mit dem republikanischen Frankreich aussprach, wurden dort anonymisiert publiziert. Wichtigster Bündnispartner der Habsburger war jedoch das Deutsche Reich, das zu Frankreich in Feindschaft stand. Rudolf begab sich mit seinen Texten also auf dünnes Eis. Katrin Unterreiner: „Der Gedankenaustausch mit führenden Journalisten und die Themen, die sie behandelten, waren dermaßen brisant, dass es einem Skandal gleichgekommen wäre, wenn es offiziell geworden wäre.“

Chiffrierte Nachricht von Kronprinz Rudolf
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Mehrwert für die Geschichtsforschung

Regisseurin Iris Fegerl konnte bisher zwei Sätze aus dem Chiffriermäppchen entziffern: „Ich komme eben nach Hause von Bubenoc“ und „Bei der Rickfahrt nahe dem Sandt“. Was sie bedeuten, ist noch nicht geklärt. Mit „Bubenoc“ könnte ein Vorort von Prag gemeint sein, wo Rudolf als Oberst im Infanterieregiment 36 stationiert war. Um die Nachricht zu verstehen, müssten die restlichen Zettel aus dem Mäppchen decouvriert werden. Dafür müsste jedoch die Bundesmobilienverwaltung die Entnahme des Originals aus der Vitrine für weitere Forschungen freigeben. Die zuständige Stelle wollte dem ORF gegenüber dazu aber nichts sagen.

Für die Historikerin Katrin Unterreiner öffnet die erste Entschlüsselung neue Türen in der Forschung: „Auch wenn in dem Mäppchen nur ein paar Kärtchen erhalten sind – falls irgendwann noch mehr chiffrierte Korrespondenz auftaucht, die bis jetzt vielleicht achtlos beiseitegelegt worden ist, können wir diese jetzt dechiffrieren. Für die Geschichtsforschung ist das ein ganz großer Schritt.“ Vor allem eine Frage ist dabei interessant: Wer war im Besitz der zweiten Schablone? Sowohl Sender als auch Empfänger brauchen dieselbe Schablone, um einen chiffrierten Text erstellen und lesen zu können. Vielleicht finden sich im Nachlass von Moritz Szeps weitere Hinweise.