Perito-Moreno-Gletscher in Patagonien/Argentinien
Etienne Berthier
Etienne Berthier
Klimaerwärmung

Es kommt auf jedes Zehntelgrad an

Die Gletscher werden laut neuen Prognosen noch schneller schmelzen als bisher gedacht. Selbst bei nur 1,5 Grad plus geht bis 2100 die Hälfte von ihnen weltweit verloren. Doch auch wenn die Erwärmung vermutlich noch höher und Mitteleuropa gletscherfrei sein wird – laut Fachleuten gelte es, um „jedes Zehntelgrad zu kämpfen“ und somit zukünftige Gefahren zu verringern.

Jede Reduktion des Temperaturanstiegs sei wichtig, argumentiert ein Team um David Rounce von der Carnegie Mellon University (CMU) in den USA in einer Studie, die soeben im Fachmagazin „Science“ erschienen ist.

Schicksal von 215.000 Gletschern

Die Fachleute stellen darin ein neues Prognosemodell für die Zukunft aller weltweiten Gletscher vor – mit Ausnahme des grönländischen und des antarktischen Eisschildes. Die Methodik sei gegenüber bisherigen Studien deutlich verbessert worden, es werde damit das Schicksal der über 215.000 Gletscher mit bisher einzigartiger Genauigkeit beschrieben, heißt es in einer Aussendung der Universität Innsbruck.

Der an der Uni tätige Glaziologe Fabien Maussion steuerte Projektionen der voraussichtlichen Veränderungen der Gebirgsgletscher bei, basierend auf dem in Innsbruck mitentwickelten Modell OGGM. Dabei handelt es sich um das erste offen zugängliche globale Modell zur Simulation der Entwicklung aller Gletscher weltweit, für die aktuelle Studie wurde es mit einem CMU-Modell kombiniert.

Gletscherrandsee Palcacocha in Peru
David Rounce
Gletscherrandsee Palcacocha in Peru

Schmelze hängt von Grad der Erderwärmung ab

Laut der neuen Prognose werden die Gletscher wesentlich mehr Masse verlieren und zu einem stärkeren Anstieg des Meeresspiegels beitragen als derzeit geschätzt – wobei das Ausmaß vom Grad der Erderwärmung abhängt. Steigt die globale Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2100 um 1,5 Grad Celsius – dies entspricht den Pariser Klimazielen –, geht im Vergleich zum Jahr 2015 rund ein Viertel der Eismassen verloren. Fast die Hälfte aller Gletscher verschwinden, wegen der Eisschmelze steigt der Meeresspiegel um 90 Millimeter.

Bei einem Plus von vier Grad Celsius verlieren die Gletscher laut Modell 41 Prozent ihrer Masse, über 80 Prozent von ihnen verschwinden, der Meeresspiegel steigt um 154 Millimeter.

Aktuell steuert die Welt angesichts der derzeit zugesagten Klimaschutzmaßnahmen auf einen Anstieg von 2,7 Grad Celsius zu. Dies hätte bis 2100 das Verschwinden von zwei Drittel aller Gletscher weltweit zur Folge und würde dadurch den Meeresspiegel um 115 Millimeter ansteigen lassen.

Rückzug des Upsala-Gletschers in Argentinien

In den meisten Regionen der mittleren Breiten wie Mitteleuropa, Westkanada, USA sowie Neuseeland würde damit das vermeintlich „Ewige Eis“ weitgehend verschwinden, schreiben die Fachleute in ihrer Arbeit. Verbunden sei diese Entwicklung auch mit Veränderungen in der Hydrologie, Ökologie und bei Naturgefahren. So werde damit etwa die Verfügbarkeit von Süßwasser für fast zwei Milliarden Menschen beeinflusst.

“Abkehr von fossilen Treibstoffen kann Eismassen retten“

„Die rasch zunehmenden Gletschermassenverluste bei einem globalen Temperaturanstieg von über 1,5 Grad Celsius unterstreicht die Dringlichkeit ehrgeizigerer Klimazusagen zum Erhalt der Gletscher in diesen Bergregionen“, heißt es in der Studie. Jedes Zehntelgrad weniger zähle, um das Abschmelzen einzudämmen. Laut dem Innsbrucker Glaziologen Fabien Maussion ist es für sehr viele Gletscher bereits zu spät.

„Aber das heißt nicht, dass wir nichts mehr tun können. Jede Reduktion der Treibhausgasemissionen und damit die Abkehr von fossilen Brennstoffen trägt dazu bei, noch bestehende Eismassen zu retten und den Anstieg des Meeresspiegels einzugrenzen“, so Maussion.

Der Versuch, die wenig erfreulichen Zukunftsaussichten der Gletscher nicht nur negativ zu beschreiben, wird in einem „Science"-Begleitartikel gelobt. Nicht nur, aber speziell bei Studien und Berichten über die Klimaerwärmung gelte: Wenn bestehende Handlungsoptionen und Chancen betont werden, erhöht das die Wahrscheinlichkeit der Öffentlichkeit, Klimaschutzmaßnahmen zu unterstützen.