Der Mars-Meteorit mit dem Namen „Tissint“ am Freitag, 22. Juni 2012, im Naturhistorischen Museum in Wien.
APA/ROLAND SCHLAGER
APA/ROLAND SCHLAGER
Astronomie

NHM-Marsmeteorit mit großer Vielfalt

Im Juli 2011 ist in Marokko ein Himmelskörper eingeschlagen, der sich als Marsmeteorit entpuppt hat. Ein großes Stück davon erwarb das Naturhistorische Museum (NHM) Wien – nun stellte sich heraus, dass der Meteorit die größte Vielfalt an organischen Verbindungen enthält, die je bei Marsgestein gefunden wurde.

Bisher sind mehrere zehntausend Meteoriten dokumentiert. Erst seit den 1980er-Jahren weiß man, dass einige davon vom Mars stammen; rund 350 Marsmeteoriten sind aktuell bekannt. Sie wurden vor einigen Millionen Jahren bei großen Einschlägen auf dem Mars ins All geschleudert, ehe sie vom Schwerefeld der Erde eingefangen wurden.

“Tissint“: Zweitschwerster Marsmeteorit

„Tissint“ – benannt nach einem Ort in der Nähe der Fundstätte im Süden Marokkos – ist erst der fünfte durch Augenzeugen belegte Fall eines Marsmeteoriten und mit rund 17 Kilogramm der zweitgrößte, was die gesammelte Gesamtmasse anbelangt. Das NHM hat eines der größten bekannten Einzelstücke des Gesteins, ein knapp ein Kilo schwerer, mehr als faustgroßer schwarzer Stein, 2012 mit Hilfe aus der Erbschaft nach Oskar Ermann angekauft. Es ist im Meteoritensaal des Museums zu sehen.

Unter der Leitung von Philippe Schmitt-Kopplin von der Technischen Universität München hat das internationale Forschungsteam winzige Proben von mehreren „Tissint“-Teilen, darunter auch solche vom NHM, auf organische Verbindungen hin untersucht. „Die Probe stammt nicht von unserem großen Exemplar, sondern von kleineren Fragmenten, die wir für zerstörungsfreie wissenschaftliche Studien zur Verfügung haben“, erklärte Ludovic Ferrière, Kurator der Meteoritensammlung am NHM und Mitautor einer Studie, die soeben im Fachjournal „Science Advances“ erschienen ist.

Auf der Suche nach Lebensspuren

Die Entschlüsselung der Entstehungsgeschichte der organischen Moleküle des Meteoriten soll dabei helfen zu verstehen, ob der Mars jemals Leben beherbergt hat und wie die geologische Geschichte des Roten Planeten gewesen sein kann. Solche organischen Verbindungen enthalten vor allem Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff oder Schwefel. Sie werden gemeinhin mit Leben in Verbindung gebracht, obwohl bereits gezeigt wurde, dass sie auch durch nicht-biologische Prozesse entstehen können.

Juni 2012: Der damalige NHM-Generaldirektor Christian Köberl (l.) und der Kurator der Meteoritensammlung, Franz BrandstŠdter, mit dem Mars-Meteoriten mit dem Namen „Tissint“.
APA/ROLAND SCHLAGER
Juni 2012: Der damalige NHM-Generaldirektor Christian Köberl (l.) und der damalige Kurator der Meteoritensammlung, Franz Brandstädter, mit dem Marsmeteoriten „Tissint“

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Tissint-Marsmeteorit eine unglaublich große Vielfalt an organischen Verbindungen enthält“, sagte Ferrière. Die Fachleute konnten anhand der Analysen den bisher umfassendsten Katalog solcher Moleküle in einem Marsmeteoriten oder in einer von einem Rover gesammelten und analysierten Probe erstellen.

„Zudem waren wir in der Lage, die verschiedenen organischen Moleküle mit spezifischen mineralogischen Merkmalen im Inneren des Meteoriten zu verknüpfen“, so der Experte. Das ermögliche es, die Auswirkungen von Wechselwirkung zwischen Wasser und Gestein auf und im Inneren des Mars zu verfolgen.

Auch Magnesiumverbindungen entdeckt

Die Forscher und Forscherinnen fanden zudem eine Reihe organischer Magnesiumverbindungen, die bisher in Marsmaterial noch nicht beobachtet wurde. Diese würden neue Einblicke in die Geochemie unter hohem Druck und hoher Temperatur bieten, die das tiefe Innere des Roten Planeten geformt hat.

„Das Verständnis der Prozesse und der Abfolge von Ereignissen, die diese Fülle organischer Verbindungen geformt haben, wird neue Details über die Bewohnbarkeit des Mars und möglicherweise über die Reaktionen, die zur Entstehung von Leben führen könnten, offenbaren“, erklärte Co-Autor Andrew Steele von der Carnegie Institution for Science (USA), der auch den Wissenschaftsteams der Mars-Rover „Perseverance“ und „Curiosity“ angehört.