Schüler zeigt auf
APA/HANS PUNZ
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Migration

Nachholbedarf bei schulischer Integration

Die Integration von Menschen mit Migrationsgeschichte ist nicht nur für den sozialen Zusammenhalt entscheidend, sie ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Bis zum Jahr 2030 fehlen Hunderttausende Arbeitskräfte. Zwei neue Studien haben Fragen rund um die schulische und berufliche Integration von Jugendlichen untersucht und zeigen hier Nachholbedarf.

Der Arbeits- und Fachkräftemangel gehört seit Monaten zu den zentralen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt. Bis 2030 fehlen Hunderttausende Arbeitskräfte. Ein zentraler Hebel ist die Ausbildung junger Menschen, vor allem Jugendlicher mit Migrationshintergrund. Im Jahr 2021 lebten 2,24 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich, 259.000 im Alter von 15 bis 24 Jahren.

Nachholbedarf bei „erster Generation“

Wie es um ihre schulische und berufliche Integration steht, wurde an der Universität Linz untersucht. Die Daten der Statistik Austria, die dafür ausgewertet wurden, geben auch Hinweise darauf, wie der Integrationsprozess beschleunigt werden könnte. Das österreichische Schulsystem verfolgt eigentlich das bildungspolitische Ziel, jedes Kind unabhängig vom Geschlecht, der Herkunft und des familiären Hintergrundes bestmöglich zu fördern. Doch hier gibt es gerade bei Jugendlichen der ersten Zuwanderungsgeneration, die nicht in Österreich geboren wurden, Nachholbedarf.

Grafik zur Integration
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Um den Stand der schulischen Integration zu überprüfen, hat der Soziologe Johann Bacher von der Universität Linz vier Indikatoren herangezogen: die Schulbesuchsquote, die Quote der frühen Schulabbrecher (nach dem Pflichtschulabschluss), die Besuchs- bzw. Abschlussquote einer maturaführenden Schule und die Lehrlingsquote. „Von einer erfolgreichen Integration sprechen wir dann, wenn es hinsichtlich dieser vier Indikatoren keinen Unterschied zwischen den autochthonen Jugendlichen und den Jugendlichen mit Migrationshintergrund gibt“, sagt Bacher.

Integrationsfortschritte sind messbar

Bei der Migrationsgeschichte werden erste und zweite Generation unterschieden, um Integrationsfortschritte zu messen. Herangezogen wurden Daten von 15- bis 19-Jährigen, also junger Menschen unmittelbar nach Ende der Schulpflicht. Und hier gibt es, zumindest beim Schulbesuch, so gut wie keine Unterschiede zwischen autochthonen Jugendlichen und Jugendlichen der zweiten Zuwanderungsgeneration.

„Wir haben aber noch deutliche Unterschiede zwischen der ersten Generation und der zweiten Generation und folglich auch zwischen der ersten Generation und den autochthonen Jugendlichen“, erklärt Bacher. Das betreffe vor allem die maturaführenden Schulen und den frühen Schulabgang. Die Lehrlingsquote ist bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund der ersten Generation nur halb so hoch wie jene von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Beim Schulabschluss mit Matura sind die Verhältnisse ähnlich.

Konflikte in der Mittelschule

Der Nachholbedarf bei der schulischen Integration kann auch zu Konflikten im Klassenraum beitragen. Der Soziologe Zoltan Peter hat in Niederösterreich eine Studie zu Offenheit und Toleranz von Schülerinnen und Schülern bzw. Lehrkräften durchgeführt. Fast 600 Jugendliche und knapp 190 Lehrkräfte wurden dafür befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler in ihren Weltanschauungen deutlich antiliberaler eingestellt sind als Lehrkräfte.

Rund 30 Prozent der jungen Menschen seien in steigendem Ausmaß antiliberal eingestellt, 3,6 Prozent zudem rassistisch. Dagegen habe man bei zwölf Prozent der Lehrkräfte antiliberale und bei 1,6 Prozent rassistische Einstellungen erhoben. „Acht Prozent der Schülerinnen und Schüler sind zudem religiös fundamentalistisch eingestellt“, erklärt Peter. Man finde auch christlichen Fundamentalismus, die Mehrheit sei jedoch muslimischen Glaubens.

Mehr Mittel für Integration

Zwei Schulen habe man tiefergehend untersucht, mittels qualitativer Befragungen, sagt Peter. In einer habe man ein höheres Maß an religiös fundamentalisistischen Einstellungen bei den Jugendlichen gefunden, in der anderen verstärkt rassistische, fremdenfeindliche Haltungen gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund. „Obwohl gerade diese Schule kaum Jugendliche der ersten Zuwanderungsgeneration besuchen“, sagt der Soziologe.

In beiden komme es vermehrt zu Konflikten im Klassenraum, und beide Schulen brauchten eigentlich gezielte Unterstützung, durch Sozialarbeiter und Psychologinnen, sie brauchten mehr Ressourcen für den Unterricht. Auch Bacher spricht sich mit Blick auf seine Studienergebnisse zur schulischen und beruflichen Integration in Österreich für eine bedarfsorientierte Mittelvergabe im Schulsystem aus. Die sei gesetzlich seit 2017 vorgesehen, wurde bis dato aber noch nicht umgesetzt.

Was Integration bremst

Schulen mit einem hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, mit einer anderen Erstsprache als Deutsch bzw. aus prekären sozialen Verhältnissen sollten demzufolge über mehr Mittel verfügen. Weitere Ursachen, die integrationshemmend wirken, sind laut Bacher der späte Eintritt in das Bildungssystem – der Eintritt in den Kindergarten müsste in ganz Österreich früher erfolgen; die Halbtagsstruktur im Schulsystem, die den Jugendlichen und ihren Familien zu viel Verantwortung beim Lernen übertrage; und die frühen Bildungsentscheidungen, da in Österreich bereits nach den vier Jahren Grundschule wichtige Entscheidungen für den weiteren Bildungsweg getroffen werden müssen.