Die roten Positionslichter an Windenergieanlagen erhellen den Nachthimmel und die Landschaft.
APA/dpa/Patrick Pleul
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Lichtverschmutzung

Weltweit immer weniger Sterne sichtbar

Die globale Lichtverschmutzung hat in den letzten Jahren viel stärker zugenommen als bisher vermutet. Das zeigt eine aktuelle Studie, in die Beobachtungen von über 50.000 Menschen eingeflossen sind. Experten warnen vor dem heller werdenden Nachthimmel und den damit verbundenen Risiken für Mensch und Umwelt.

Vor allem über Städten und anderen stark beleuchteten Orten sind nachts nur noch wenige Sterne mit bloßem Auge sichtbar. Mittlerweile ist man sich in der Wissenschaft einig, dass das in erster Linie am vielen künstlichen Licht liegt, das nachts von Werbereklamen, beleuchteten Fassaden oder Straßenlaternen in Richtung Himmel strahlt.

Die Lichtverschmutzung ist ein wachsendes Problem – ob der Nachthimmel auf globaler Ebene aber tatsächlich heller wird, war bisher kaum genau erforscht. Das künstliche Himmelsleuchten kann theoretisch zwar von Satelliten gemessen werden. Die Satelliten, die die gesamte Erde überwachen könnten, haben dafür aber zu ungenaue Messgeräte.

Bürger sammelten Daten

Ein internationales Forschungsteam um den Physiker Christopher Kyba vom deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam hat daher einen anderen Ansatz für die Berechnung der globalen Lichtverschmutzung gewählt. Die Experten nutzten die Beobachtungskraft von Bürgerinnen und Bürgern, indem sie auf Daten aus dem „Citizen Science“-Projekt “Globe at Night“ zugriffen.

Grafik zu verschiedenen Graden der Luftverschmutzung
NOIRLab/NSF/AURA, P. Marenfeld
Verschiedene Grade der Lichtverschmutzung

Das Team konnte so Informationen von über 50.000 Menschen analysieren, die zwischen 2011 und 2022 den Nachthimmel beobachtet haben. Sie alle waren dazu aufgerufen, an wolken- und mondfreien Nächten online anzugeben, welche von acht Sternkarten am besten zu dem passte, was sie über sich sahen. Jede Karte zeigte den Nachthimmel dabei unter verschiedenen Graden der Lichtverschmutzung.

Himmel wird immer heller

Anschließend verglichen die Forscherinnen und Forscher die gesammelten Informationen mit einem globalen Modell der Himmelshelligkeit, das auf Satellitendaten aus dem Jahr 2014 beruhte. Anhand der im „Citizen Science“-Projekt beobachteten Sterne schätzte das Team so, wie sehr sich die Lichtverschmutzung und die Sicht auf die Sterne im Laufe der Zeit verändert haben. Die Ergebnisse des Vergleichs wurden nun im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht.

Für Europa kam das Forschungsteam dabei zu dem Ergebnis, dass der Nachthimmel seit 2014 pro Jahr um rund 6,5 Prozent heller geworden ist, in Nordamerika kam es sogar zu einem jährlichen Plus von 10,4 Prozent. Als weltweiten Durchschnitt berechnete Kyba mit seinem Team eine Helligkeitszunahme von 9,6 Prozent pro Jahr.

„Die Geschwindigkeit, mit der die Sterne für Menschen in städtischen Umgebungen unsichtbar werden, ist wirklich dramatisch“, resümiert der Physiker gegenüber science.ORF.at. Um die Ergebnisse weiter zu veranschaulichen, erläutert er: „Ein Kind, das bei seiner Geburt 250 Sterne sieht, wird an seinem 18. Geburtstag am gleichen Ort nur noch weniger als 100 Sterne sehen können.“

Ungenaue Messungen aus dem All

Dass der Nachthimmel so rasant heller wird, hätten die Forscherinnen und Forscher laut eigenen Angaben nicht erwartet. Bisherige Satellitendaten deuteten auf eine jährliche Helligkeitszunahme von nur rund zwei Prozent hin, für manche Regionen ergaben die Satellitenmessungen sogar eine leichte Abnahme der Lichtverschmutzung.

Forschervideo zur Lichtverschmutzung

Laut Kyba ist das aber scheinbar nicht korrekt. Der Physiker geht davon aus, dass die Unterschiede zwischen der menschlichen Beobachtung und den Satellitendaten auf Veränderungen im Bereich des künstlichen Lichts zurückzuführen sind. Er erklärt: „Satelliten reagieren am empfindlichsten auf Licht, das nach oben in Richtung Himmel gerichtet ist. Es ist aber das horizontal abgestrahlte Licht, das den größten Teil des Himmelsleuchtens ausmacht.“

Wenn Werbe- und Fassadenbeleuchtungen also häufiger, größer oder heller werden, könnten sie einen großen Einfluss auf die Sichtbarkeit der Sterne haben, ohne dass sich das Licht auf den Satellitenbildern widerspiegelt.

Blaues Licht erschwert globale Messungen

Eine weitere Erklärung für die verschiedenen Messergebnisse liegt laut Kyba in der Umstellung auf modernere und energieeffizientere LED-Lampen. Egal ob bei Werbeplakaten oder Straßenlaternen – LEDs senden im Gegensatz zu älteren orangefarbenen Natriumdampflampen mehr blaues Licht aus. Davon zeugen unter anderem Fotos der Internationalen Raumstation (ISS), die zeigen, dass die Straßenbeleuchtung in Europa immer blauer wird.

Das blaue Licht ist schwerer messbar. Kyba: „Der einzige Satellit, der die ganze Erde abbilden kann, ist im Wellenlängenbereich des blauen Lichts nicht empfindlich, also sozusagen blind.“

Problem für Mensch und Umwelt

Die wachsende Lichtverschmutzung darf laut Kyba jedenfalls nicht ignoriert werden. Wenn der Himmel auch lange nach Sonnenuntergang noch in einer künstlichen Dämmerung strahlt, hat das nicht nur negative Auswirkungen auf die Arbeit von Astronomen und Astronominnen, es kommt auch zu Problemen für die Umwelt und für alle Menschen. Zu viel blaues Licht am Abend kann etwa die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin hemmen und Zellen schädigen. Viele Verhaltensweisen und physiologische Prozesse von Lebewesen sind außerdem von alltäglichen Rhythmen bestimmt und damit vom Licht abhängig.

Projekt läuft weiter

Kyba zieht aus den Forschungsergebnissen vor allem den Schluss, dass gegen die globale Lichtverschmutzung noch zu wenig getan wird. Die umfangreiche Studie zeige aber auch, wie unabdingbar manchmal die Hilfe normaler Bürgerinnen und Bürger ist, um bestimmte Daten überhaupt erst erheben zu können. Kyba: „Diese Beobachtungen sind wirklich sehr wichtig und wir hoffen, dass die Zahl der Beteiligten noch weiter steigt.“

Das Citizen Science-Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Das Team um Kyba hofft, künftig noch weitere Informationen zum Nachthimmel zu bekommen – idealerweise auch aus Regionen außerhalb von Europa und Nordamerika. Mit noch umfangreicheren Daten sei es wahrscheinlich möglich, die Lichtverschmutzung irgendwann auch auf regionaler Ebene und über einzelnen Städten genauer zu prognostizieren.