Kinder in einem Kindergarten schauen gebannt
AFP – ATTILA KISBENEDEK
AFP – ATTILA KISBENEDEK
Hirnforschung

Kindergarten könnte Bildung gerechter machen

Die Herkunft eines Kindes sollte für den Bildungserfolg eigentlich keine Rolle spielen. In Österreich wird Bildung jedoch nach wie vor vererbt. Kindergartenbesuch und frühkindliche Förderung können hier eine ausgleichende Wirkung haben und das Bildungssystem gerechter machen – das zeigen auch Ergebnisse aus der Hirnforschung.

Am 24. Jänner findet der Tag der Elementarbildung statt – an diesem Tag sind viele Kindergärten in Österreich geschlossen. Die Pädagoginnen nützen diesen Tag nicht nur für Fortbildungen, sie weisen auch auf den großen Nachholbedarf in diesem Bereich des Bildungssystems hin: Es brauche kleinere Gruppen, mehr Pädagoginnen und insgesamt eine Aufwertung des Kindergartens als Bildungseinrichtung. Dafür sprechen Ergebnisse aus der Entwicklungspsychologie, der Bildungsforschung und den Neurowissenschaften. Denn ob Kinder gut und gerne lernen, entscheidet sich nicht erst in der Schule.

Lernen wird bereits früh erlernt

Lernen zu können ist keine vererbte Eigenschaft, sie wird erworben. In jedem Lebensalter sind es andere Formen des Lernens, die das menschliche Gehirn auf geeignete Art fordern und auf weitere Lernschritte vorbereiten. Sind am Beginn des Lebens sensomotorisches Lernen und Körpergedächtnis wichtig, steht im Kindergartenalter das soziale Lernen im Vordergrund, sagt die Neurobiologin Isabella Sarto-Jackson. „Es geht um Lernen im sozialen Kontext, das heißt durch Beobachtung, durch Nachahmung, soziales Referenzieren, gemeinsame Aufmerksamkeit, usw.“, so Sarto-Jackson.

Hier stehe die Interaktion beim Lernen im Vordergrund, sagt die Neurobiologin, zwischen den Bezugspersonen, also den Lehrenden, und den Kindern, den Lerndenden. Im Rahmen dieses sozialen Lernens entwickeln Kinder Fähigkeiten, die später in der Schule beim „klassischen“ Lernen, beim Wissenserwerb wichtig sind: Stress regulieren zu können, keine Angst in Prüfungssituationen zu haben, Impulskontrolle, Aufmerksamkeit, Selbstdisziplin und Frustrationstoleranz.

Kinder in einem Kindergarten
AFP – ATTILA KISBENEDEK

Kindergarten kann Lücken schließen

Hier könne Elementarpädagogik Lücken schließen, die sich wegen der sozialen oder sprachlichen Herkunft einer Familie auftun, sagt Sarto-Jackson, etwa beim Wortschatz. Manche Kinder verfügen beim Eintritt in den Kindergarten über einen aktiven Wortschatz von 1.200 Worten, bei anderen Kindern ist der Wortschatz nur halb so groß. „Diese Kluft kann man dann durchaus sein Leben lang mittragen, gleiches gilt für den passiven Wortschatz“, sagt Sarto-Jackson. In diesem Zusammenhang sei auch vom „million word gap“ die Rede, also einer Kluft von Millionen von Worten zwischen erwachsenen Menschen, die dann ein Leben lang bestehen bleibt.

Isabella Sarto-Jackson spricht am 25. Jänner beim Symposium Elementarpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Wien in einem Vortrag über die Bedeutung der Elementarpädagogik aus Sicht der Hirnforschung.

Die Elementarpädagogik kann solche Startvorteile und Ungerechtigkeiten ausgleichen und zu einem gerechteren Bildungssystem beitragen. Eine Studie aus Kanada konnte beispielsweise zeigen, dass frühkindliche Bildung und die Anzahl der Jahre im Bildungssystem einen Einfluss auf das Gehirn und seine Entwicklung zeigen. Wer im Kindes- und Jugendalter länger lernt, hat als Erwachsener ein besseres Arbeitsgedächtnis, kann also Informationen schneller verarbeiten als Menschen, die auf weniger Bildungsjahre verweisen können.

Frühkindliche Bildung zeigt sich im Gehirn

Eine andere Studie aus Deutschland zeigte vor Kurzem, dass die Fähigkeit, wissenschaftlich zu denken, bereits im Kindesalter angelegt wird. 150 Kinder wurden vom Kindergarten bis zum Ende der Volkschule begleitet und immer wieder getestet, ob sie sich für unbekannte Phänomene interessieren, Entdeckungen machen, Vermutungen anstellen und dann versuchen, diese zu überprüfen. Schon im Kindergartenalter zeigten sich große Unterschiede, abhängig vom Bildungsstand der Eltern.

Auch hier könne der Kindergarten als Bildungseinrichtung ausgleichend wirken, sofern dort frühkindliche Förderung möglich ist, sagt Sarto-Jackson. Es brauche kleinere Gruppen von Kindern im Kindergarten und mehr gut ausgebildete Fachkräfte. Ideal wären interdisziplinäre Teams oder zumindest Entwicklungspsychologinnen, Sozialpädagogen oder Logopädinnen, die im Bedarfsfall hinzugezogen werden können. Das ist in Österreich nicht der Fall, die Ausgaben für den Kindergartenbereich liegen unter dem OECD-Schnitt.