Junge Schimpansen gestikulieren
Sprachevolution

Menschen verstehen Affengesten

Schimpansen und Bonobos haben zwar keine Sprache im engeren Sinn, können sich aber mithilfe von Gesten gut untereinander verständigen. Wie Onlineexperimente nun zeigen, erkennen auch Menschen in sehr vielen Fällen, was die Menschenaffen damit sagen wollen – womöglich ein Hinweis auf die evolutionären Wurzeln der menschlichen Kommunikation.

Menschliche Sprache ist nicht über Nacht als voll funktionierendes System vom Himmel gefallen. Die meisten Experten und Expertinnen gehen heute vielmehr davon aus, dass sich diese außerordentliche Fähigkeit Schritt für Schritt entwickelt hat. Am Anfang stand womöglich der Austausch von Lauten, einfachen Wörtern und Gesten, die Inhalte und Absichten transportieren sollten. Solche kommunikativen Vorformen finden sich tatsächlich auch bei unseren nahen tierischen Verwandten.

Mehr als 80 bedeutungsvolle Gesten wurden bis dato bei Menschenaffen identifiziert. Sie signalisieren zum Beispiel, wenn die Tiere ein Stück Futter, von ihren Artgenossen gekrault oder auch in Ruhe gelassen werden wollen. Zwischen den verschiedenen Affenarten gebe es dabei erstaunliche Ähnlichkeiten, schreiben die beiden Forscherinnen Kirsty E. Graham und Katherine Hobaiter von der schottischen University of St. Andrews im Fachmagazin „PLOS Biology“. Dieses gestische Inventar könnte auch das Urgerüst der menschlichen Sprache sein.

Verständnis im Test

Wenn man sich allerdings die menschliche Gestik ansieht, hat sie nicht sehr viel gemein mit den kommunikativen Bewegungen von Affen. Menschen verwenden zwar sehr wohl ausschweifende Gesten, um das Gesprochene zu begleiten. In Form von Gebärdensprachen bilden sie sogar eigene sprachliche Systeme. Generell sind die menschlichen Handbewegungen aber oft sehr individuell und auch kulturell geprägt. Affengesten lassen sich darin kaum entdecken, zumindest nicht bei Erwachsenen. Laut Graham und Hobaiter findet man sie aber bei Kindern zwischen ein und zwei Jahren. Um die 50 Gesten aus dem Affenrepertoire habe man bei ihnen bereits gefunden.

Es spreche also einiges dafür, dass wir immer noch einen Zugang zu den ursprünglichen Affengesten besitzen: Selbst wenn sie sich nicht mehr im aktiven „Wortschatz“ befinden, könnte der Mensch sie zumindest verstehen. Ob das der Fall ist, haben die beiden Forscherinnen für die aktuelle Studie nun mit Hilfe von Online-Experimenten untersucht.

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sahen dabei Videos von gestikulierenden Schimpansen oder Bonobos. Die Geste war parallel schematisch dargestellt. Nur eine Hälfte erhielt zusätzlich Erklärung zur dargestellten Situation. Jeder bzw. jede bekam 20 von insgesamt 40 Videos vorgeführt. Die Forscherinnen haben zehn Affengesten ausgewählt, deren Bedeutung bekannt ist. Bei jedem Video gab es vier mögliche Antworten zur Auswahl. Eine allgemein zugängliche Variante des Verständnistests ist übrigens weiterhin online verfügbar.

Hinweis

Mehr Affengesten zum Ansehen gibt es auch auf einem Youtube-Kanal der Forscherinnen: „The Great Apes-Dictionary“

Evolutionäres Erbe

Die Auswertung der Daten von 5.500 Probanden und Probandinnen ergab, dass die Affengesten in mehr als 50 Prozent der Fälle korrekt interpretiert worden sind. Laut den Forscherinnen war die Treffsicherheit deutlich höher, als durch reinen Zufall erwartbar gewesen wäre. Die zusätzlichen Erklärungen zum Kontext der Gesten haben die Anzahl der richtigen Antworten dabei kaum erhöht.

Diese Ergebnisse legen nahe, dass der Mensch ein basales Verständnis des ursprünglichen Kommunikationssystems behalten hat, obwohl er diese Gesten längst nicht mehr nutzt. „Die Affengesten könnten Teil eines evolutionär alten Gestenvokabulars sein, das alle Menschenaffen – inklusive uns – teilten“, meint Graham in einer Aussendung. Ob die Fähigkeit wirklich angeboren ist oder ob Menschen und Menschenaffen bestimmte Signale einfach ähnlich interpretieren – etwa aufgrund ihrer körperlichen Ähnlichkeiten oder ihrer ähnlichen Ziele, ist laut Graham und Hobaiter allerdings unklar.