Teilnehmer und Teilnehmerinnen einer Fridays For Future Demonstration in Wien
APA/KLAUS TITZER
APA/KLAUS TITZER
„Klima-Klassismus“

Ist der Kampf gegen die Klimakrise elitär?

Auf Klimademos tummeln sich vor allem Menschen aus jungen, urbanen Schichten mit höherem Bildungsgrad. Dabei sind es Ärmere und Personen mit niedrigerem Bildungsabschluss, die am meisten unter der Klimaerwärmung leiden – obwohl sie weniger dazu beitragen. Fachleute nennen dieses Phänomen mittlerweile „Klima-Klassismus“.

Einer von ihnen ist der deutsche Soziologe Andreas Kemper. „Klima-Klassismus“ drücke sich auf dreifache Weise aus, wie er vor Kurzem im Ö1 Radiokolleg ausführte: Erstens tragen wohlhabende Menschen mehr zur Klimakrise bei, weil sie mehr konsumieren und somit mehr CO2 ausstoßen. Zweitens gefährden die Folgen von Klimakatastrophen arme Menschen am stärksten. Drittens können klimapolitische Maßnahmen, welche die Nöte von einkommensschwachen Haushalten ignorieren, ungleiche Einkommens- und Vermögensverhältnisse verstärken.

Je höher Einkommen, desto höher Emissionsausstoß

In Österreich produzieren laut Greenpeace die zehn reichsten Prozent der Bevölkerung vier Mal mehr CO2 als die zehn ärmsten Prozent. Das Potenzial, CO2 einzusparen, ist also bei den Wohlhabendsten am größten, erklärte Stefan Nabernegg, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz. Aber auch global betrachtet herrscht ein Ungleichgewicht zwischen dem Emissionsausstoß in reichen und armen Regionen. Im Jahr 2030 wird die Pro-Kopf-Emission der zum reichsten ein Prozent der Weltbevölkerung gehörenden Personen 30 Mal höher sein, als jenes globale Pro-Kopf-Niveau, das für das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens notwendig wäre – so eine Schätzung der Entwicklungsorganisation Oxfam.

Folgen der Klimakrise bedrohen Ärmste am stärksten

Der Weltklimarat hat fünf Klimaszenarien durchgespielt. Ihre Grundlage bilden Faktoren wie: Technologien, Weltwirtschaft und -politik und vor allem, das Ausmaß an der weltweiten CO2-Reduktion. Momentan entspricht das moderate Szenario, mit etwa 2,7 Grad Erderwärmung, grob dem Zeitplan jener Länder, die sich dem Pariser Klimaschutzabkommen angeschlossen haben. Und damit auch Österreich. In diesem Szenario gehören häufige und intensive Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen und Tornados zur Lebensrealität.

Extreme Starkniederschläge werden sich in Österreich pro Grad Erderwärmung um etwa zehn Prozent intensivieren werden, besagt der Klimastatusbericht des Klima- und Energiefonds. Auch die Folgen von extremen Wetterereignissen, wie Überschwemmungen werden häufiger. Damit gehen Schäden an Häusern, Autos oder anderen Besitztümern einher. Rund 28 Millionen Euro betrugen diese allein nach zwei Unwettern in Niederösterreich vor einem Jahr.

Teilnehmer und Teilnehmerinnen einer Fridays For Future Demonstration in München
AFP – CHRISTOF STACHE

In Österreich sind 17,3 Prozent der Menschen „armuts- und ausgrenzungsgefährdet“. Die Armutsgefährdungsschwelle lag 2021 bei rund 16.457 Euro pro Jahr für einen Einpersonenhaushalt, so Statistik Austria.

Laut einer Studie des Sozialministeriums sind klimawandelbedingte Schäden nach Naturgefahren vor allem für einkommensschwache und armutsgefährdete Haushalte schwer zu bewältigen. Beide Gruppen sind etwa besonders betroffen von Hitzewellen, denn sie wohnen beispielsweise häufig in schlecht sanierten Wohnungen in benachteiligten Vierteln und können ihre Wohnsituation als Mieter und Mieterinnen nur eingeschränkt verbessern. Klimaanlagen, Bio-Lebensmittel oder ein Umzug in eine kühlere, begrünte Umgebung ist oft eine Frage der finanziellen Möglichkeiten.

Auch eine Frage des Bildungsniveaus

Warum die Betroffene nicht lauter sind? Man könnte meinen, dass die Unterrepräsentation von armutsgefährdeten bzw. einkommensschwachen Betroffenen im öffentlichen Klimadiskurs mit fehlendem Klimabewusstsein zusammenhänge. Aber das stimmt nur teilweise. In Deutschland zeigt sich etwa ein deutlicher Unterschied des Klimabewusstseins auf Grund des Bildungsniveaus. Dennoch steigt laut der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung insgesamt das Bewusstsein in allen Bildungsschichten.

Ein anderes Argument, das immer wieder von aktivistischen Gruppen aufgegriffen wird, ist, dass ärmere Menschen nicht die zeitlichen und finanziellen Ressourcen haben, um politisch oder aktivistisch aktiv zu werden. Aber das stimmt laut Clara Moder, Sozioökonomin von der Armutskonferenz, nur begrenzt. Menschen mit Armutserfahrung wüssten, dass die Klimakrise existenziell für sie sei und wollen gehört werden.

Stimmen von Benachteiligten selten gehört

„Neben der Arbeiterkammer und der Armutskonferenz gibt es kaum politische Akteure, die diese benachteiligten Gruppen im Klimadiskurs repräsentieren“, argumentiert Sebastian Seebauer, Umweltpsychologe der Joanneum Research Forschungsgesellschaft in Graz. Seiner Meinung nach fehlt das Interesse der Politik, diese Gruppe zu vertreten. Aber auch Argumente wie „Solange China und die USA nicht klimafreundlicher handeln, braucht sich Österreich auch nicht bewegen“ halten den Klimadiskurs auf. Sie würden zu Ohnmacht sowie Hilflosigkeit führen, weshalb man das Problem eher verdrängt, so Seebauer.

Eine weitere Erklärung liefert laut Seebauer die Hirnforschung zu kollektiven Prozessen. Demnach schließen sich Menschen eher kollektiven Bewegungen an, wenn sie eine soziale Identität teilen und sich einer Gruppe zugehörig fühlen. Da die Mitglieder von klimaaktivistischen Gruppen tendenziell urban und akademisch geprägt sind, würden wichtige Anknüpfungspunkte fehlen, heißt es in einem Working Paper des Instituts für Internationale Entwicklung der Universität Wien. Mit gemeinsamen Zielen und Wertvorstellungen könnte diese Barriere jedoch abgebaut werden.