Vitruvianischer Mensch mit idealisierten Proportionen und angelehnt an Leonardo da Vincis berühmte Zeichnung als Cyborg
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Gastbeitrag

Die Techno-Utopie vom ewigen Leben

Der Traum vom ewigen Leben ist uralt. Die Techno-Utopisten von heute basteln aber an Mitteln, die diesen Traum vielleicht Wirklichkeit werden lassen – zumindest für ihresgleichen. Wie sie damit Vorstellungen von Sinn prägen, beschreibt die Künstlerin und Zukunftsforscherin Chana de Moura in einem Gastbeitrag.

In einem berühmten Vortrag über den utopischen Körper interpretierte Michel Foucault den menschlichen Körper als Ort, zu dem Menschen verdammt sind. Als Hauptakteur in allen Utopien bedeutet der Körper für Foucault zudem das Gegenteil der Utopie: Viele Utopien entstehen als Anfechtung des Körpers (als wolle man ihn auslöschen).

Porträtfoto von Chana de Moura
IFK

Über die Autorin

Chana de Moura ist bildende Künstlerin, Zukunftsforscherin und Doktorandin der Kunstuniversität Linz. Ihr Gastbeitrag wurde von David Saatijan aus dem Englischen übersetzt.

Veranstaltung

De Moura hält am 30.1.23, 18.15 Uhr, den Vortrag „Techno-Utopian Impulses and the Quests for Eternal Life“, er findet am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften / Kunstuniversität Linz in Wien in hybrider Form statt.

Foucault behauptet, der Körper sei paradoxerweise etwas, das – gleichzeitig – ausgelöscht und radikal verändert werden müsse. In unserem technologischen Zeitalter gipfelt eine solche Tendenz jedoch in dem, was Rosi Braidotti (2009) als die Entstehung einer recht komplexen Beziehung auffasst, „eine, in der die gegenseitige Abhängigkeit von Fleisch und Maschine symbiotisch ist“. (Übs. D.S.) Braidotti erkennt, dass die heutige Intimität zwischen Mensch und Maschine erhebliche Paradoxien erzeugen kann, „nämlich dass der körperliche Ort der Subjektivität in einer Phantasie der Flucht gleichzeitig verneint und erneut erzwungen wird“. (D.S.) Foucault und Braidotti scheinen darin übereinzustimmen, dass der Körper die eigene utopische Kraft nach der Moderne gegen sich selbst gerichtet hat.

Traum von körperlosen Körpern

Diese widersprüchliche menschliche Beziehung zur eigenen Materialität ist Teil dessen, was die Todesvorstellung aktueller Unsterblichkeitsbewegungen nährt: Der Tod erscheint als Makel in der Matrix unserer Entwicklungsgeschichte. Ihren ideologischen Standpunkten zum Körper treu, träumen die heutigen Befürworter der Immortalität von transzendentalen Körpern, die körperlos werden. Mit ihrem Verständnis von Natur als das uns Begrenzende stellen sich viele von ihnen vor, sie könnten mittels techno-wissenschaftlicher Fortschritte über aktuelle menschliche körperliche und geistige Beschränkungen hinaus evolvieren.

Während die technologische Entwicklung sich historisch grundsätzlich damit beschäftigt hat, die menschliche Abhängigkeit von natürlichen Bedingungen zu reduzieren, weiten Immortalisten dieses Verständnis radikal aus. Ray Kurzweil, ein prominenter Befürworter eines post-organischen Lebens, sagt voraus, dass „die Technologie der Singularität den Menschen praktische und zugängliche Mittel zur Verfügung stellen wird, sich in etwas Größeres zu entwickeln, sodass wir den Tod nicht länger als das Hauptmittel rationalisieren müssen, dem Leben Sinn zu verleihen“. (D.S.) Kurzweil zufolge werden Menschen in der Lage sein, alle Features, die sie zu biologischen Wesen macht, umzuarbeiten, beispielsweise durch die Benutzung von Nanobots, die das Älterwerden im menschlichen Körper rückgängig machen würden.

Problemlösungen, die Probleme schaffen

Kurzweils techno-utopische Vision leitet sich von dem Glauben an Technologie als Werkzeug ab, das zur Verwirklichung einer perfekten Gesellschaft in naher Zukunft dienen soll. Diese Vision ist für viele Gesellschaften symptomatisch, in denen Technologie nicht nur zur materiellen Grundlage geworden ist, sondern vielmehr zum – im realen Sinne zu verstehenden – sozialen und ideologischen Modell.

Intensiviert wird eine solche Tendenz von der „allgemeinen Unfähigkeit, die großflächigeren Auswirkungen der Netzwerke individueller und korporativer Handlungen wahrzunehmen, die durch opake, technologisch gesteigerte Komplexität beschleunigt werden“. (James Bridle, 2018; D. S.) Unbeirrt von der plausiblen A-Synchronizität von technologischer und sozialer Entwicklung scheinen Techno-Utopisten bewusst die Ironie des techno-wissenschaftlichen Fortschritts zu ignorieren, der im Lösen von menschlichen Problemen seinerseits Probleme schaffen könnte, die von Menschen nicht gelöst werden können (Gray, 2011).

Chana de Moura, Second Science, 2019
Chana de Moura
Chana de Moura, Second Science, 2019

Minderwertig, weil nicht erschaffen

Bereits in den 50er Jahren warnte Günther Anders vor einer Immersion der Gesellschaft in eine Asynchronität von Menschen und ihren technologischen Produkten. Anders verstand Begehren wie das Kurzweils als ein Phänomen, bei dem die Menschen sich nicht schaffen möchten, weil sie nicht mehr ertragen, was nicht von ihnen geschaffen wurde, sondern weil auch sie nicht mehr jemand sein wollen, der nicht geschaffen wurde. Sie sind nicht entrüstet, weil sie von anderen (Gott, Götter oder Natur) geschaffen wurden, sondern weil sie überhaupt nicht geschaffen wurden und als solche allen von ihnen hergestellten Dingen minderwertig gegenüberstehen.

Daher – während sie sich verbissen wünschen, selbst angefertigt zu sein – sind Immortalisten dafür anfällig, die Lücke zwischen der Möglichkeit der Verwirklichung und dem Nutzwert ihrer Utopien zu übersehen; ihre Lösung des sogenannten Problems des Todes gleicht oft einer Fetischisierung von Technologien als Zweck.

Realität ertragen ist günstiger

Dennoch gehören Projekte zur Verlängerung der Lebensdauer, die sich die allzu menschliche Neigung zunutze machen, der Kontingenz und dem Mysterium zu entfliehen, weiterhin zu den auf höchstem Niveau finanzierten Initiativen der Eliten des Silicon Valley. Weitgehend auf Unternehmensentwicklung gerichtet, ziehen Firmen die Bedingungen und Folgen der von ihnen verkauften technologischen Träume kaum in Betracht, ebenso wenig wie sie wahrscheinlich kein besonderes Interesse daran haben, Techno-Utopien zu verwirklichen.

Dennoch scheinen sie weiterhin ein vorzeitiges Erscheinen der Zukunft zu predigen, während ihr unternehmerischer Standpunkt den Glauben an technologischen Fortschritt per se verkörpert und vorantreibt, der ansonsten in der Regel größtenteils verworfen wurde. Sollten diese Firmen jemals erfolgreich sein, werden sie wahrscheinlich zu überhöhten Preisen Leuten ihre post-organischen Körper zurückverkaufen. Solch ein subjektiver Preis könnte sogar für die, die ihn sich finanziell leisten können, zu hoch sein. Womöglich könnte für einige Individuen die weniger kostenintensive Alternative sein zu lernen, eine Realität zu dulden, die ihre metaphysischen Vorstellungen transzendiert; sie würden sich neu auf einen Ort der Akzeptanz einstellen und mutig anerkennen, dem Schicksal und Zufall ausgeliefert zu sein.