Lissabon, Portugal, Platz, Menschen
joyt – stock.adobe.com
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Wissenschaftsskepsis

Was Portugal besser macht

Portugal hat es geschafft, die Wissenschaftsskepsis in der Bevölkerung in den vergangenen Jahren extrem zu senken – mit Folgen, die dem Land vor allem in der Coronavirus-Pandemie zugutekamen. Wie in dem Land Vertrauen in die Wissenschaft aufgebaut wurde und ob dies auch in Österreich gelingen könnte, darüber spricht eine Expertin im Interview mit science.ORF.at.

Lange Zeit haben Österreich und Portugal in den Eurobarometer-Umfragen zum Vertrauen in die Wissenschaft ähnlich schlecht abgeschnitten. Im Jahr 2010 sprachen sich etwa nur rund 60 Prozent der portugiesischen Bevölkerung für die staatliche Förderung von Grundlagenforschung aus – unter den damaligen EU-Mitgliedsstaaten belegte das Land damit den vorletzten Platz. Noch weniger Zuspruch (rund 48 Prozent) gab es nur in Österreich.

Mittlerweile sieht die Lage in Portugal aber ganz anders aus, wie auch die Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2021 beweist. Beim Vertrauen in die Forschung und in wissenschaftliche Fortschritte belegt das Land nun durchwegs Spitzenplätze in der EU.

Kaum Proteste gegen CoV-Maßnahmen

In der Coronavirus-Pandemie wurden die Portugiesinnen und Portugiesen sogar zum Impfeuropameister – ein Erfolg, der laut Fachleuten eng mit dem allgemeinen Vertrauenszuwachs in der Bevölkerung zusammenhängt. In den letzten Monaten des Jahres 2021 waren in Portugal bereits über 85 Prozent der Menschen mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft, in Österreich lag die Impfquote damals nur bei rund 70 Prozent.

Dass die portugiesische Bevölkerung den Forscherinnen und Forschern viel Vertrauen schenkt, hat sich auch anhand anderer Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus gezeigt. Während in Österreich zahlreiche Theorien über vermeintlich gefährliche Impfstoffe oder die Sinnhaftigkeit der Maskenregeln aufgestellt wurden, kam es in Portugal kaum zu ähnlichen Protesten und Verschwörungstheorien.

„Es braucht starke Partnerschaften“

„Die meisten Portugiesinnen und Portugiesen haben sich streng daran gehalten, was ihnen von den Forschern und Politikern gesagt wurde“, sagt Rosalia Vargas gegenüber science.ORF.at. Sie ist Präsidentin des 1998 gegründeten Programms “Ciência Viva“ (dt.: „lebendige Wissenschaft“), das laut Vargas unabdingbar für den bisherigen Vertrauenszuwachs in der portugiesischen Bevölkerung war. An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sprach die Expertin vor Kurzem darüber, wie es mit dem Programm gelungen ist, die Wissenschaftsskepsis in der portugiesischen Bevölkerung nachhaltig zu senken.

Ins Leben gerufen wurde “Ciência Viva“ von José Mariano Gago, der selbst ein bekannter Physiker und der erste Wissenschaftsminister Portugals war. „Von Anfang an hat uns diese Unterstützung aus der Politik extrem geholfen“, so Vargas. Durch das große politische Interesse war es dem anfangs noch kleinen Programm möglich, wichtige Kooperationen mit Bildungseinrichtungen und wissenschaftlichen Institutionen zu schließen und jährlich zu wachsen. Heute hat “Ciência Viva“ mehr als 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Ohne die enge Zusammenarbeit zwischen Schulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen und der Politik wäre das Vertrauen in die Wissenschaft heute in Portugal bei weitem nicht so groß, ist sich Vargas sicher: „Alleine kann man in diesem Bereich nichts bewirken – dazu braucht es starke Partnerschaften“.

Wissenschaft im Unterricht…

Das Ziel von “Ciência Viva“ war und ist es bis heute, die Bevölkerung mit der Wissenschaft zu vernetzen und vor allem bei Kindern die wissenschaftliche Neugier zu wecken. Forscherinnen und Forscher kommen daher im Rahmen des Programms regelmäßig an Schulen, um dort direkt im Unterricht über aktuelle wissenschaftliche Themen zu sprechen.

Wissenschaftliche Erkenntnisse aber nur in Schulen zu thematisieren, ist laut Vargas nicht genug. „Die Schulen waren lange Zeit die einzige Möglichkeit für die Portugiesinnen und Portugiesen, direkt mit Forscherinnen und Forschern und der Wissenschaft generell in Kontakt zu kommen. Sobald sie das Schulhaus verlassen, ist dieser Kontakt aber schnell wieder vergessen“, erklärt die Präsidentin von „Ciência Viva“.

… und der Freizeit

Aus diesem Grund wurden im Rahmen des Programms auch Science-Center, also Wissenschaftszentren erschaffen, die Vargas als eine Art Mischung aus Museum und Schule beschreibt. Mittlerweile gibt es in ganz Portugal 21 derartige Institutionen. Interessierte aller Altersgruppen können dort ihrer Wissenschaftsneugier auch in ihrer Freizeit nachgehen – unterrichtet wird unter anderem von Expertinnen und Experten umliegender Universitäten und Forschungseinrichtungen.

Der freiwillige und auch finanziell gut leistbare Unterricht in den Zentren ist laut Vargas außerdem meist speziell auf aktuelle Themen und offene Fragestellungen zugeschnitten und stößt vor allem bei Kindern und Jugendlichen auf großes Interesse. „Wir bieten den Jüngeren die Möglichkeit, Wissenschaft selbst mit ihren eigenen Händen zu erleben und spannende Experimente durchzuführen – das gefällt ihnen natürlich besonders gut“, so Vargas.

Auch bei den Wissenschaftszentren sei „Ciência Viva“ aber auf starke Partnerschaften mit der Politik und der Wirtschaft angewiesen. Die Gebäude, in denen sich die Institutionen befinden, werden etwa von den jeweiligen Gemeinden selbst finanziert. Das habe zu Beginn des Projekts zwar einiges an Überredungsarbeit gefordert, so Vargas, laut ihr liegt darin aber heute auch eines der Erfolgsgeheimnisse der Zentren. „Die Bürgerinnen und Bürger sind so selbst verantwortlich und daher auch viel aktiver daran interessiert, dass die Science-Center genutzt werden.“

“Veränderung dauert mindestens eine Generation“

Neben dem umfangreichen Angebot für Kinder, arbeitet „Ciência Viva“ aber auch daran, erwachsene Portugiesinnen und Portugiesen stärker mit wissenschaftlichen Themen zu vernetzen. Dabei wichtig sei aber, die Expertinnen und Experten selbst zu Wort kommen zu lassen. Vargas arbeitet daher zusammen mit ihrem Team bereits seit über 25 Jahren daran, Nachrichtensendungen mit Forscherinnen und Forschern zu füllen. Mittlerweile gibt es laut ihr kaum noch portugiesische Nachrichten über Wissenschaftsthemen, ohne Expertinnen und Experten.

Um das Vertrauen in die Wissenschaft auch in Österreich nachhaltig zu steigern, brauche es vor allem vier Dinge, so Vargas: „Die Unterstützung der Politik, enge Kooperationen mit wissenschaftlichen Institutionen, harte Arbeit und Zeit.“ Vor allem Letzteres sei unabdingbar, denn auch die portugiesischen Maßnahmen brauchten einige Jahre, um zu tatsächlich messbaren Ergebnissen zu führen: „Das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken, dauert mindestens eine Generation. Die Personen, die früher als Kinder in den Wissenschaftszentren waren, sind jetzt die Erwachsenen, die für die erfreulichen Umfrageergebnisse sorgen“.