Impf-Experte und NIG-Mitglied Herwig Kollaritsch und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) am Mittwoch, 31. August 2022, im Rahmen einer Pressekonferenz zum Thema „Corona-Impfung: Neue Impfempfehlung des Nationalen Impfgremiums und Ausblick Herbst“ in Wien.
APA/HANS KLAUS TECHT
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Expertise

Wie Politikberatung gelingen kann

Wissenschaft trifft Politik: Die Zusammenarbeit ist notwendig, verläuft jedoch nicht immer friktionsfrei – wie nicht zuletzt die Erfahrungen während der Pandemie gezeigt haben. Die „Wiener Thesen zur Wissenschaftsberatung“ zeigen, wie man es besser macht.

• Wissenschaft soll informieren, nicht legitimieren

• Interdisziplinäre Zusammenarbeit verlangt Mut zu Konflikten

• Konsens unter Fachleuten ist kein Selbstzweck

Das sind drei der neun Thesen, die die Österreichische Akademie der Wissenschaft gemeinsam mit ihrem deutschen Pendant, der Academia Leopoldina, gestern veröffentlicht hat. Die beiden Akademien haben ihre Lehren aus drei Jahren Pandemie gezogen und sie nun zu ebendiesem Thesenpapier verdichtet.

Wobei nicht alles schlecht gelaufen sei, betont Koautor und Soziologe Alexander Bogner im Ö1-Gespräch. Die wissenschaftliche Politikberatung habe sich in erstaunlich kurzer Zeit professionalisiert, „eine Riesenleistung“: Höhepunkt der Entwicklung sei die Gründung des Beratergremiums GECKO im Dezember 2021 gewesen, mit der versucht wurde, der Politik einen zentralen Ansprechpartner zur Seite zu stellen. Also etwa so, wie das in Großbritannien mit der „Scientific Advisory Group for Emergencies“, kurz SAGE, schon lange der Fall ist.

Instrumentalisierung der Wissenschaft

Zu Friktionen bei der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik sei es freilich auch immer wieder gekommen, so Bogner. Vor allem, wenn die Trennlinie zwischen beiden Bereichen überschritten wurde. Einerseits dann, wenn Politik „übergriffig wurde und versucht hat, ihre vorgefassten Entscheidungen im Rückgriff auf wissenschaftliche Empfehlungen zu legitimieren“. Andererseits aber auch, wenn „Wissenschaftler ihrerseits versucht haben Politik zu betreiben“.

Ein Beispiel für Instrumentalisierung der Wissenschaft war etwa die Rede im Kabinett Kurz von 100.000 Toten, die es im Verlauf der Pandemie geben könnte. Auch in den Beratungsgremien rumorte es in jüngerer Zeit. „Politiker haben auf GECKO gezeigt, um Entscheidungen zu rechtfertigen, ohne dass diese Themen überhaupt in der GECKO besprochen wurden. Das muss man zurückweisen“, sagte etwa der aus dem Gremium im Unfrieden ausgeschiedene Rettungskommandant des Roten Kreuzes, Gerry Foitik letzten März.

Apodiktische Empfehlungen

Umgekehrt hat auch die Wissenschaft immer wieder Kritik einstecken müssen. Etwa die Leopoldina in Deutschland, als sie Ende 2020 von „alternativlosen“ Maßnahmen sprach und der Politik in apodiktischem Ton Maßnahmen für die Weihnachtsfeiertage anempfahl. Ähnliche Beispiele lassen sich auch in Österreich finden, sagt Bogner. „Aus dem Dunstkreis des Future Operations Boards kamen Stellungnahmen, die eigentlich keine Stellungnahmen mehr waren, sondern politische Apelle.“

Gleichwohl: Wo gearbeitet werde, da knirsche es notwendigerweise im Gebälk, letztlich gehe es darum, aus Fehlern zu lernen, so Bogner. Und hier sollen die „Wiener Thesen“ eine Richtschnur geben. „Das heißt auch, dass die Wissenschaft dafür sorgen soll, dass der Politik nicht alle Begründungslasten abgenommen werden. Die Politik soll darstellen, warum sie sich aufgrund welcher Überlegungen zu welcher Maßnahme entschlossen hat.“

Das wäre dann also eine evidenzbasierte Politik, die ähnlichen Rationalitätskriterien genügen müsste, wie die Wissenschaft selbst. Im Idealfall ließe sich diese Forderung auch auf andere Politikfelder ausdehnen. Etwa auf Fragen der Bildung, Migration oder auch Korruption.