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APA/HANS PUNZ
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Computeranalyse

Tweets zeichnen Stadtplan der Gefühle

Ob der Spaß im Restaurant oder die Anspannung beim Zahnarzt – in den Nachrichten auf Twitter spiegeln sich auch viele Gefühle. Ein internationales Forschungsteam hat sich das zunutze gemacht und auf Basis von Tweets eine Art Stadtplan der Emotionen erstellt.

Soziale Medien wie Twitter oder Facebook stehen immer öfter im Zentrum wissenschaftlicher Untersuchungen. Immerhin gibt es auf den verschiedenen Plattformen schier unendlich viele Nachrichten und Meldungen, die den Forscherinnen und Forschern unter anderem Rückschlüsse auf Gefühle und das menschliche Verhalten ermöglichen.

Zwei Mio. Tweets analysiert

Dabei werden etwa öffentlich verfügbare Nachrichten aus den sozialen Medien mit Standortdaten kombiniert, um so die Zufriedenheit der Menschen in verschiedenen Regionen zu vergleichen. „Viele dieser Untersuchungen haben sich bisher aber auf eine einzelne Emotion beschränkt“, erklärt der Informatiker Adam Jatowt von der Universität Innsbruck gegenüber science.ORF.at. Außerdem seien in den bisherigen Untersuchungen oft nur sehr weitreichende Standortdaten zum Einsatz gekommen – Gefühle wie Freude oder Zufriedenheit wurden demnach bisher kaum innerhalb einer Stadt verglichen. Die meisten derartigen Untersuchungen fanden laut dem Informatiker auf Landesebene oder in noch größeren Maßstäben statt.

Jatowt war nun Teil eines internationalen Forschungsteam, das rund zwei Millionen Nachrichten auf Twitter genauer analysiert hat. Alle Tweets stammten aus einem Jahr (2016/2017) und von über 200.000 Personen aus London und San Francisco. Die Städte wurden unter anderem deswegen gewählt, weil Twitter dort im Untersuchungszeitraum stark genutzt wurde. „Für die englische Sprache gibt es aktuell aber auch die besten Bilderkennungsprogramme und -Werkzeuge, was für die Analyse der Tweets von Vorteil war“, erklärt Jatowt. Das internationale Team um den japanischen Informatiker Panote Siriaraya präsentiert die Analyse aktuell im Fachjournal „PLOS ONE“.

Stadtplan der Gefühle

Die Forscherinnen und Forscher wollten herausfinden, welche Emotionen in den Tweets besonders häufig vorkamen. Dazu entwickelten und codierten sie komplexe Computer-Werkzeuge, die auch als künstliche neurale Netzwerke bekannt sind. „Grundsätzlich haben wir damit die Grundlage geschaffen, Tweets auch in anderen Städten zu analysieren. Um die Werkzeuge zu testen, haben wir uns aber zuerst auf London und San Francisco konzentriert“, so Jatowt.

Aus allen analysierten Tweets leitete das Forschungsteam acht Emotionen ab, denen es die Nachrichten zuordnete – Wut, Vorfreude, Ekel, Angst, Freude, Traurigkeit, Überraschung und Vertrauen. Danach kombinierten die Forscherinnen und Forscher die Tweets mit den Daten der Plattform Open Street Map. Das ermöglichte es, die Nachrichten einem auf rund 50 Meter genauen Ort zuzuordnen und sie so an bestimmte Standorte zu koppeln. Entstanden ist eine Liste von emotionalen Hotspots in beiden Städte.

Freude im Hotel, Wut an der Haltestelle

Die Forscherinnen und Forscher wollten herausfinden, ob die in den Tweets preisgegebenen Gefühle auch von der Umgebung abhängen, in der die Nachrichten entstanden sind. In beiden Städten hat sich gezeigt, dass sie in der Nähe von Bahnhöfen und anderen Haltestationen öffentlicher Verkehrsmittel meist weniger Freude ausdrückten. Stattdessen waren sie oft von Ekel, Angst oder Wut geprägt. Auch Krankenhäuser und Brücken sorgten für eher ängstliche Tweets. Anders sah es hingegen in Restaurants oder Hotels aus. Die dort entstandenen Nachrichten waren wie auch in der Nähe von Schwimmbädern oder Minigolf-Plätzen generell positiver gestimmt.

Zwischen San Francisco und London gab es aber auch messbare Unterschiede. Viele negative Gefühle kamen laut Jatowt zum Ausdruck, wenn die Tweets in der Nähe von Büros geschrieben wurden – jedoch nur in San Francisco. „Warum das so ist, können wir aktuell nicht sagen – dazu wären weitere Untersuchungen im Bereich der Kulturwissenschaften nötig“, erklärt der Informatiker.

Gefühlstief zur Wochenmitte

Neben der räumlichen Verteilung wurden die Tweets auch im Zeitverlauf verglichen. Im Tagesvergleich zeigte sich unter anderem, dass die Nachrichten am Wochenende am fröhlichsten waren. Unter der Woche war die Freude hingegen vergleichsweise gering – vor allem am Dienstag und Mittwoch überwog eher die Traurigkeit. Gleichzeitig stieg im Lauf der Woche aber auch die Vorfreude immer weiter an. „Die Höhepunkte dieser Emotion konnten wir am Donnerstag und Freitag, also genau vor dem Wochenende messen“, so Jatowt.

Events klar messbar

Im Untersuchungszeitraum kam es in den untersuchten Städten auch zu Protesten, umstrittenen Präsidentschaftswahlen und terroristischen Angriffen. Alle derartigen Events waren auch in der Analyse des Forschungsteams anhand von wütende und ängstlichen Tweets deutlich messbar. Im Gegensatz dazu waren die Nachrichten an Tagen wie dem Neujahrstag überwiegend positiv gestimmt.

Grundlage für weitere Analysen

Die, wie auch Jatowt selbst sagt, kaum überraschenden Ergebnisse seien ein klarer Beweis dafür, dass die Methode des Forschungsteams funktioniert. In Zukunft könnten die künstlichen neuralen Netzwerke sogar noch weiter ausgebaut werden, um zum Beispiel auch in nicht englischsprachigen Ländern zu funktionieren.

Der Informatiker sieht in der Methode jedenfalls großes Potenzial. „Die Informationen könnten etwa für Städteplaner hilfreich sein. Dort, wo besonders viele negative Tweets entstehen, könnten Maßnahmen gesetzt werden“, so Jatowt. Die Daten seien aber auch eine mögliche Grundlage für einen Gefühlstadtplan. „Dienste wie Google Maps zeigen die schnellste Route, mit unseren Informationen könnte man aber die schönste oder fröhlichste Strecke zum Ziel finden“, erklärt er. Konkrete Pläne für eine derartige Plattform gibt es laut Jatowt aber noch nicht.