Aggressionen

Wie man Gewaltsituationen richtig einschätzt

Soll man eingreifen, wenn man Zeuge oder Zeugin eines gewalttätigen Übergriffs wird, und wie reagiert man richtig, wenn man selbst einmal betroffen ist? Ein Trainingspädagoge, der auch Sicherheitspersonal schult, erklärt, warum es vor allem wichtig ist, die Situation richtig einzuschätzen.

Eine Gruppe angetrunkener Jugendliche belästigt abends in der U-Bahn eine Frau oder bedroht einen Fahrgast. Eingreifen sollte man nur, wenn man es sich wirklich körperlich zutraut, sagt der Trainingspädagoge Swen Körner von der Deutschen Sporthochschule Köln. Keinen Sinn mache es einzugreifen, wenn Waffen wie Messer oder gar Pistolen im Spiel seien. In einem solchen Fall sei es klüger, sich zurückzuziehen, für den Täter vielleicht gar nicht erst sichtbar zu werden und im Hintergrund Hilfe zu holen.

Heiße und kalte Aggression

Egal, ob man selbst angegriffen wird oder Zivilcourage leisten möchte: Grundsätzlich könne man zwischen „heißer“ und „kalter“ Aggression des Gegenübers unterscheiden. Die heiße Aggression ist emotional aufgeladen, entsteht meist spontan und kommt oft unter Alkoholeinfluss vor, oder auch im Straßenverkehr.

„Das ist diese Hitzköpfigkeit, sehr stark getrieben von Emotionen, und da hilft es oft, einfach nachzugeben oder sich zu entschuldigen“, erklärt Swen Körner. Statt noch lauter zu werden als das Gegenüber solle man in solchen Fällen einfach zuhören, Verständnis zeigen und dem erhitzten Kontrahenten die Luft aus den Segeln nehmen.

Alkohol macht kurzsichtig

Körner bringt das Beispiel von Securities aus dem Nachtleben, die vielfach mit Bonbons arbeiten. In manchen Situationen bieten sie aggressiven Nachtschwärmern ein Bonbon an – und alles ist plötzlich nicht mehr so schlimm. Ein Phänomen, das man unter dem Begriff Alkohol-Kurzsichtigkeit wissenschaftlich breit untersucht habe, so Körner: „Wir haben unter Alkoholeinfluss einen sehr schmalen Korridor der Wahrnehmung und springen auf plakative Reize sehr gut an. Wenn Sie alkoholisiert sind und aggressiv und ich zeige Ihnen eine Pizza, wird Ihre Aufmerksamkeit vor allem auf der Pizza liegen und nicht mehr bei Ihrer Aggression.“

Buchtipp

„Verhalten bei Gewalt – Selbstschutz für Erwachsene“ von Swen Körner, Mario Staller, ISBN: 978-3-662-65039-4

Securities tragen deshalb jedenfalls gerne Süßes in ihren Taschen mit sich herum. Natürlich helfe das nicht immer, aber als erste Maßnahme bei „heißer“ Aggression durch Trunkenheit sei es durchaus einen Versuch wert.

Gewalt gegen Gewalt

Anders verhält es sich bei der kalten Aggression. Hier plant jemand ganz rational, etwa einen Raubüberfall, da hilft kein gutes Zureden. Denn das Gegenüber handelt nicht aus einer Emotion heraus, sondern verfolgt eine kühl kalkulierte Kosten-Nutzen-Rechnung.

Das einzige Mittel sei in dem Fall die Gegenaggression, um die Kosten für den Täter in die Höhe zu treiben und ihn eventuell damit zu vertreiben. Menschen, die einen Selbstverteidigungskurs absolviert haben, sind hier klar im Vorteil. Auch fliehen ist eine Möglichkeit, allerdings warnt Swen Körner auch hier vor unvorbereitetem Handeln.

Vorsicht auf der Flucht

„Wenn Sie bereits in einer direkten Gefahrensituation drin stecken, dann haben Sie in der Regel schon Stresssymptome und das macht die Flucht ebenfalls gefährlicher, denn man kann leicht über den Bordstein stolpern oder vors nächste Auto laufen“, erklärt er.

Das richtige Fliehen könne man trainieren. Im besten Fall erkennt man Gefahrensituationen sogar schon vorab und flieht, bevor es richtig stressig wird.

Gesellschaft nicht brutaler geworden

Swen Körner, der Impfpersonal, Polizei und Securities zu Verhalten bei Gewalt berät, betont aber immer wieder: Nach gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen gehe es in unserer Gesellschaft nicht gewalttätiger zu. Und auch, wenn man in letzter Zeit immer öfter von Messerangriffen in den Medien liest: Aus wissenschaftlichen Erhebungen in Deutschland zeige sich bis jetzt keine Zunahme an Waffengewalt.

Und doch warnt er vor einem Teufelskreis. Die Aggressionsforschung zeige nämlich: Wer das Gefühl habe, die Welt sei brutaler geworden, verhalte sich auch selbst aggressiver und reagiere in uneindeutigen Konfliktsituationen möglicherweise brutaler, weil er oder sie dem gegenüber ebenfalls Brutalität unterstellt.

Wer sich unsicher fühle, dem rät Swen Körner zu einem Selbstverteidigungskurs. Dort lernt man auch, Gefahren richtig einzuschätzen und sich entspannt, aber aufmerksam im öffentlichen Raum zu verhalten, „also eben nicht paranoid, hinter jedem Busch das Verbrechen zu vermuten“, so Körner, sondern mit allem rechnen, aber sich von nichts verrückt machen lassen.