Orca-Mutter und Sohn
Center for Whale Research, Kenneth C. Balcomb
Center for Whale Research, Kenneth C. Balcomb
Orcas

Mütter zahlen für Söhne einen hohen Preis

Schwertwal-Mütter kümmern sich mehr um ihren männlichen als ihren weiblichen Nachwuchs. Bis ins hohe Alter teilen sie ihre Nahrung mit den Söhnen. Dafür zahlen sie lebenslang einen hohen gesundheitlichen Preis, wie Fachleute in einer neuen Studie berichten.

50.000 Schwertwale gibt es laut Schätzungen der US-Ozeanografiebehörde NOAA derzeit in den Weltmeeren. Orcas sind soziale Tiere, die ihr Leben lang in den Schulen der Mütter bleiben können. „Wir wissen seit über einem Jahrzehnt, dass erwachsene männliche Exemplare von ihren Müttern abhängig sind. Aber wir wussten nicht, welchen Preis die Mütter dafür zahlen“, sagt der Walforscher Michael Weiss von der Universität Exeter und des amerikanischen Center for Whale Research.

Der Frage ist er nun mit seinem Forschungsteam nachgegangen und hat dafür Daten von 40 weiblichen Individuen der „Southern Resident Orcas“ aus den Jahren 1982 bis 2021 analysiert. Diese Orca-Schule ist an der Westküste von Amerika und Kanada angesiedelt und eine der besterforschten Schwertwal-Populationen der Welt. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift „Current Biology“ veröffentlicht.

Orca-Mutter und Sohn
Center for Whale Research, David K. Ellifrit

Im Schutz der mütterlichen Fürsorge

Nach der Geburt eines männlichen Kalbes halbiert sich die Wahrscheinlichkeit der Orca-Kuh, ein weiteres Kalb im darauffolgenden Jahr zu gebären und durchs erste Lebensjahr zu bringen. Dieses Ergebnis der Studie könnte den Nachwuchsmangel der gefährdeten Art erklären. Denn der Fortpflanzungserfolg der Schwertwalweibchen verringert sich nicht nur in der – ein- bis zweijährigen – Stillphase nach Geburt eines männlichen Kalbes, sondern in ihrem gesamten Leben.

Söhne sind für sie also „kostenintensiv“, wie es in der Fachsprache der Evolutionsbiologie heißt. Der Nutzen dieser hohen Kosten: Männliche Orcas haben eine höhere Fortpflanzungswahrscheinlichkeit, sie erhöhen also die Chance auch ihrer Mütter, ihre Gene weiterzugeben. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese Vorteile ausreichen, um die hohen direkten Kosten [der Mütter] aufzuwiegen“, erklärt Weiss.

Ob männlich oder weiblich, die Orcas bleiben ein Leben lang in den Schulen, in die sie hinein geboren wurden. Diese werden von einer Orca-Kuh nach dem Prinzip der „Mutterlinie“ geführt. Die Mütter teilen ihre Beute mit den Kälbern. Während sie dies bei ihren Töchtern so lange tun, bis diese das fortpflanzungsfähige Alter erreichen, füttern sie ihre Söhne bis ins Erwachsenenalter – ein besonderes und möglicherweise einzigartiges Verhalten im Tierreich, wie die Forscher betonen.

Orca-Mutter und Sohn
Center for Whale Research, David K. Ellifrit

Gefährdete Arten

In der Vergangenheit war diese Fortpflanzungsstrategie offenbar erfolgreich, aktuell könnte sie die Meeressäuger aber in die Bredouille bringen. Denn mit nur noch 73 Tieren gelten die “Southern Resident Orcas“ als vom Aussterben bedroht. Wurden bisher Wasserverschmutzung, Unterwasserlärm und Nahrungsmangel als Hauptgründe für die schrumpfende Population angenommen, könnte es auch an der Fortpflanzungsstrategie der Orcas liegen. Zur geringen Reproduktionsrate der Weibchen kommt nun ein „Futterstress“, eben weil sie ihre Nahrung ein Leben lang mit ihren Söhnen teilen.

Die Southern Resident Orcas ernähren sich zu 80 Prozent aus Chinook-Lachs: eine gefährdete Lachsart, die im Süßwasser schlüpft und durch Flüsse wie den Klamath River ins offene Meer gelangt. Ende letzten Jahres wurde die größte Staudammbeseitigung der Welt im Klamath River beschlossen. Vier Dämme sollen 2024 entfernt werden und neuen Lebensraum für die Lachs Art zum Regenerieren bieten. Sollte das gelingen, könnte es wieder mehr Lachse geben – ein mögliches Gegenmittel für die unzeitgemäße Fortpflanzungsstrategie der Orcas.