Spritze und Impfstofffläschchen
Adobe Stock/Daniel CHETRONI
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Coronavirus

Wie Impfgegner Todesfälle Prominenter nutzen

Coronavirus-Impfstoffe gelten als sicher, Milliarden Impfdosen sind seit Ende 2020 weltweit verabreicht worden. Doch in sozialen Netzwerken machen Impfgegnerinnen und -gegner weiter Stimmung. Eine Methode: Todesfälle von Prominenten in einen Zusammenhang mit Impfnebenwirkungen rücken – ohne irgendeinen Beleg.

So etwa im Fall Jeremy Ruehlemann: Das US-Model starb im Jänner im Alter von nur 27 Jahren. Unter die Trauer mischen sich im Netz Kommentare von radikalen Impfgegnern. Auf Twitter etwa nutzen sie den Hashtag „#plötzlichundunerwartet“. Der sarkastisch gemeinte Code drückt letztlich nur die zynische Haltung aus: Hier ist nichts unerwartet, denn wir haben ja immer gewarnt, dass die Impfung gefährlich ist. Dieses Narrativ sucht sich mit Promi-Todesfällen neue vermeintliche Beweise.

Todesursache Überdosis

Dass Medien längst über Ruehlemanns tatsächliche Todesursache berichtet haben, spielt in der Szene keine Rolle. Gegenüber der englischen Boulevardzeitung „Daily Mail“ sprach der Vater des Toten von einer Medikamentenabhängigkeit und einer tödlichen Überdosis.

Mehr Belege als einen irgendwie vermuteten Zusammenhang zwischen Impfung und Tod präsentieren Impfgegnerinnen und -gegner in der Regel nicht. Im Falle Ruehlemanns kursierte als angeblicher Beweis ein Foto, das ihn in New York bei einer CoV-Impfung zeigt. Ursprünglich hatte Ruehlemann es im Jahr 2021 auf seinem Instagram-Account veröffentlicht. Nach seinem Tod sammeln sich unter diesem alten Posting nun Kommentare wie „Natürliche Auslese“ oder „Da hat er sein eigenes Todesurteil unterzeichnet“.

Das Raunen im Netz

Solche teils menschenverachtenden Sätze zu Ruehlemann reihen sich ein in Reaktionen auf andere Todesfälle. So sammelten Impfgegner unter „#plötzlichundunerwartet“ in den vergangenen Wochen auch Verstorbene wie Sängerin Lisa Marie Presley, Skifahrerin Rosi Mittermaier und Model Tatjana Patitz. Der Herzstillstand von American-Football-Profi Damar Hamlin während eines Spiels Anfang Jänner wurde ebenfalls als Impfnebenwirkung gedeutet. Nicht immer sind bei diesen Menschen Todesursachen oder Erkrankungen bekannt, doch allen Fällen ist gemein: Auf einen Zusammenhang mit der Impfung deutet nichts hin – außer dem Raunen im Netz.

Die Hamburger Journalistikprofessorin Katharina Kleinen-von Königslöw forscht zu sozialen Netzwerken und Verhaltensweisen von Nutzerinnen und Nutzern. „Der Impfgegner-Hashtag folgt einem ganz typischen Muster von Verschwörungstheorien. Deren Reiz besteht ja darin, spielerisch Hinweise zu finden für ein größeres Muster dahinter“, sagt sie. Und tatsächlich kann jeder Nutzer mittels des Hashtags zu der Sammlung von vermeintlichen Impf-Todesfällen beitragen.

Selektive Wahrnehmung

Es gebe verschiedene Gruppen, die sich an dieser Impfschaden-Erzählung beteiligen. Neben überzeugten Impfgegnern und Menschen, die zum Beispiel ein unternehmerisches Interesse an der Verbreitung von Verschwörungstheorien hätten, seien da Menschen, „die vielleicht einfach Fan waren oder die verstorbene Person interessant fanden“, sagt Kleinen-von Königslöw. Bei dieser Gruppe bestehe die Gefahr, dass sie sich in die Verschwörungstheorie hereinziehen lasse. Denn es gebe verbreitet Unsicherheiten und „viele gute Gründe, warum man die Impfung unheimlich finden konnte: die schnelle Entwicklung der Impfstoffe und die neue mRNA-Technologie etwa“.

Die konkrete Wirkung des Hashtags „plötzlichundunerwartet“ besteht darin, dass er zu einer selektiven Wahrnehmung führt: „Wenn man einmal auf diesen vermeintlichen Trend aufmerksam gemacht wurde, fällt es viel stärker auf“, sagt Kleinen-von Königslöw. Aus vielen Einzelfällen werde so der Eindruck: Todesfälle häufen sich – und der Grund kann nur sein, dass die CoV-Impfung schädlich ist.

Schwere Nebenwirkungen sehr selten

Tatsächlich sind schwere Nebenwirkungen der Coronavirus-Impfstoffe sehr selten. Vermutete Impfnebenwirkungen werden in Österreich vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) erfasst. Seit den ersten Coronavirus-Impfungen am 27. Dezember 2020 bis zum Stichtag 22. Juli 2022 gingen 51.026 Meldungen von vermuteten Nebenwirkungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung ein – bei rund 19 Millionen verabreichten Impfungen. Der Großteil dieser Meldungen betraf Impfreaktionen, wie sie in den klinischen Studien der Zulassungsverfahren der Impfstoffe beschrieben wurden, etwa Kopfweh, Fieber, Müdigkeit oder Schmerzen an der Einstichstelle.

Im Falle von Nebenwirkungen können in Österreich alle Geimpfte einen Antrag nach dem Impfschadengesetz stellen. Seit den ersten Coronavirus-Impfungen im Dezember 2020 haben das bis August 2022 1.400 Personen gemacht. Sieben Betroffenen wurden im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens mittels Bescheid Ansprüche bewilligt. Sie entwickelten laut Gesundheitsministerium im August 2022 deutliche Gesundheitsprobleme, etwa eine Herzmuskelentzündung oder eine Thrombose.