Jemand präsentiert Salbei-Spitzen
dpa/Hannibal Hanschke
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Medikamente

„Apotheke der Natur“ wenig erforscht

Kamillentee, Salbeibonbons oder Morphium: Die Natur ist Ressource und Ideengeber für viele Medikamente. Doch bisher ist nur ein Bruchteil der Pflanzen pharmakologisch erforscht, kritisieren Fachleute – und fordern mehr Schutz für die „Apotheke der Natur“.

Neben Heiltees und Heilbädern oder Salben gäbe es auch viele Tabletten ohne Heilpflanzen nicht. Die Hälfte aller Medikamente, die in den letzten vierzig Jahren zugelassen wurden, basieren auf den Inhaltsstoffen medizinischer Pflanzen oder sind nach ihrem Vorbild entwickelt worden, das haben Forscher rund um Spyros Theodoridis vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt kürzlich recherchiert. Dass Morphium aus Schlafmohn gewonnen wird, ist wohl vielen bekannt. Weniger, dass die Salicylsäure in der Schmerztablette früher aus der Rinde von Weiden stammte. Heute wird sie, leicht verändert, technisch hergestellt.

Nur sechs Prozent pharmakologisch erforscht

Doch auch, wenn bereits viele Medikamente nach pflanzlichem Vorbild existieren, es wäre noch viel mehr möglich, meinen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Von etwa 374.000 bekannten Pflanzenarten seien bisher nur 15 Prozent chemisch analysiert – und gerade einmal sechs Prozent wurden unter pharmakologischen Gesichtspunkten untersucht. Und sie fordern in einem Artikel im Fachjournal „The Lancet Planetary Health“ : Wir sollten die Natur systematisch nach ihrer Heilwirkung untersuchen, bevor sie verschwindet.

"Die medizinischen Ressourcen der Natur sind relativ schlecht untersucht und gleichzeitig aber durch den Klimawandel und die Landnutzung ziemlich stark bedroht“, meint Marco Thines vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum. Die Forscher haben bestimmte Gebiete identifiziert, bei denen ein „Scannen“ der Pflanzenwelt besonders dringend wäre.

Gefährdete Regionen haben Priorität

Darunter fällt zum Beispiel die Arktis, weil dort die Erwärmung besonders stark voranschreitet, aber auch der Norden Islands und der Süden Zentralspaniens, meint Thines. Gerade die Pflanzenwelt in Zentralspanien sei „hochgradig gefährdet dadurch, dass dort die Verwüstung weiter voranschreitet, genau wie in Griechenland, in der Peloponnes“, so Marco Thines.

In der Mittelmeerregion dürften besonders viele Heilkräuter wachsen. Die Fachleute konzentrieren sich beim Pflanzen-Scannen auf jene Regionen, in denen sie bereits eine Heilpflanze kennen, am Mittelmeer wäre das zum Beispiel Salbei. Er hat antibakterielle Wirkstoffe. In der Gegend, in der Salbei wächst, könne man dann verwandte Arten suchen.

Bekannte Heilpflanzen als Hinweisgeber

Diese Arten werden gesammelt und auf ihre chemischen Komponenten untersucht. Auf die Art und Weise hofft man, neue Wirkstoffprofile erstellen zu können und verwandte Substanzen zu finden, die man bisher nicht entdeckt hat.

Die Heilpflanzen mit ihren bioaktiven Stoffen seien kostengünstig und effektiv. Zudem eröffne die Genforschung bei Pflanzen neue Möglichkeiten, die Produktion von heilenden Stoffen zu erforschen, meint Thines. In den letzten Jahren habe das Interesse an Heilpflanzen durch neue Analyseverfahren erneut zugenommen, schreiben die Autoren. Die rasanten Entwicklungen auf den Gebieten der Metabolomik – der Erforschung von Stoffwechselprodukten – und der Genomik eröffneten neue Möglichkeiten. So konnten zum Beispiel im Genom der Eibe jene Gene identifiziert werden, die für die Synthese des Stoffs Paclitaxel verantwortlich sind, einem wichtigen Krebsmedikament.

Zentral sei aber der Schutz der Artenvielfalt, um die Apotheke aus der Natur überhaupt zu erhalten. Und manchmal sind Pflanzen auch genau deshalb bedroht, weil sie als Heilpflanzen einen guten Ruf genießen: Bewährte Gewächse wie die Sideritis-Arten, die als griechischer Bergtee unter anderem bei Erkältungen angewendet werden, stünden durch übermäßiges Sammeln vor dem Aussterben, warnen die Forscher.