Tabletten liegen auf sechs Löffeln.
dpa/Matthias Hiekel
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Studie

Hohe Medikamentenpreise nicht gerechtfertigt

Dass viele Medikamente sehr teuer sind, liegt an den hohen Kosten für ihre Forschung und Entwicklung (F&E): So lautet ein gängiges Argument der Pharmaindustrie. Eine aktuelle Studie widerspricht: Die 15 weltweit größten Pharmafirmen gaben demnach in den vergangenen 20 Jahren deutlich mehr Geld aus für Verkauf, Verwaltung und Marketing als für F&E.

Im Jahr 2008 lag der Durchschnittspreis neu eingeführter, verschreibungspflichtiger Medikamente noch bei rund 1.300 Euro. 2021 waren es bereits 140.000 Euro, schreibt ein Team um Aris Angelis von der London School of Hygiene and Tropical Medicine im “British Medical Journal".

Eine Ursache dafür sind extrem teure Mittel: Vor einigen Jahren etwa wurde ein Medikament gegen die Spinale Muskelatrophie – eine seltene, aber sehr schwere Krankheit – vorgestellt, das mit Kosten von fast zwei Mio. Euro als teuerstes der Welt galt. Und selbst alte und gängige Medikamente hätten in den letzten Jahren unerklärliche Preissteigerungen erfahren. In den USA etwa hätten sich die Listenpreise bestimmter Insulinprodukte innerhalb von zehn Jahren verdoppelt.

800 Mrd. Euro weniger für F&E ausgegeben

Die Pharmaindustrie argumentiert seit langem, dass hohe Preise erforderlich sind, um Forschung und Entwicklung für neue Medikamente aufrechtzuerhalten. Dass die Markteinführung neuer Arzneimittel mit finanziellen Risiken verbunden ist, erkennt das Forschungsteam um Angelis an. Die deutlich gestiegenen Preise würde das aber nicht rechtfertigen.

So zeigt ihre Analyse, dass die 15 größten Pharmafirmen weltweit zwischen 1999 und 2018 einen Gesamtumsatz von 7,2 Billionen Euro machten. In diesem Zeitraum gaben sie 2,1 Billionen Euro für Verkauf, Administration und Marketing aus – aber „nur“ 1,3 Billionen Euro für Forschung und Entwicklung. Die meisten der Unternehmen investierten in diesem Zeitraum auch mehr Geld für den Kauf eigener Aktien als für F&E.

Ihre Rechtfertigung hoher Arzneimittelpreise ignoriert laut den Fachleuten auch die beträchtlichen öffentlichen Investitionen in die Entwicklung von Medikamenten. Die Gesellschaft bezahle so doppelt für neue Medikamente: erstens in Form öffentlich subventionierter Forschung und zweitens durch hohe Produktpreise. Zudem würden die meisten neuen Medikamente wenig oder keinen klinischen Mehrwert bieten.

Von Massen- zu Nischenprodukten

Positiv heben Angelis und Kollegen hervor, dass die meisten zwischen 1997 und 2016 entwickelten Arzneimittel auf neuartige Wirkmechanismen abzielten. Der Fokus habe sich in diesem Zeitraum verlegt: von sehr populären Medikamenten, die verbreitete chronische Krankheiten bekämpfen und in großen Mengen verkauft werden, hin zu Nischenprodukten für seltene Erkrankungen – und diese seien viel teurer.

Dennoch lautet das Fazit der Fachleute: „Angesichts der Summe, die nicht für Forschung und Entwicklung ausgegeben wird, und der Tatsache, dass die meisten neuen Medikamente wenig oder keinen therapeutischen Wert haben, könnte die Pharmaindustrie mit den bestehenden Ressourcen theoretisch mehr medizinisch wertvolle Innovationen schaffen", schreiben sie. „Dies ist ohne politische Regulierung der Entwicklung neuer Medikamente jedoch unwahrscheinlich.“-